Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug. Gottfried Zurbrügg

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Название Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug
Автор произведения Gottfried Zurbrügg
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783960085577



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schwarze Bluse, die doch alles bedeckte. Darunter?

      „Nichts“, sagte ihr Spiegelbild. „Du kannst dir das leisten.“

      „Lass das!“, sagte sie und schloss die Schranktür. „Ich bin als Journalistin dort.“ Und wenn sie zunächst die Jacke anbehielte? Warum nicht? Sie öffnete erneut den Schrank und nahm entschlossen die Kleidung heraus.

      Ihr Spiegelbild in der Schranktür grinste sie an. „Du wagst eine ganze Menge!“

      „Aber gern!“, gab sie zurück.

      Dagmar Scherrer fuhr mit ihrem Wagen langsam den Ring entlang nach Durlach. Der Tag war gut gelaufen. Die Verhandlungen hatten den gewünschten Erfolg gezeigt. Sie freute sich auf den Abend und kontrollierte ihr Aussehen im Rückspiegel. Das Make-up saß nach dem langen Tag noch tadellos. Auch die langen blonden Haare hielten in der hochgesteckten Frisur. Ob ihr Mann schon zu Hause sein würde? Heute lagen keine besonderen Konferenzen an. Jedenfalls hatte er nichts dergleichen gesagt. Sie bog in die Straße ein und sah zum Haus hoch. Aus dem Arbeitsraum ihres Mannes leuchtete schwach die Abendbeleuchtung. Er war also nicht da. Für einen Augenblick spürte sie die Enttäuschung wie einen Stich durchs Herz. Aber hatte sie wirklich erwartet, dass er schon zurück wäre? Mechanisch fuhr sie den Wagen in die Garage und ging zum Haus hoch. Irmgard kam ihr entgegen. „Ist mein Mann da?“, fragte sie und wusste schon die Antwort.

      „Nein, er hat eine Nachricht gesandt, dass er spät kommen wird. In der Badischen Weinstube findet eine Konferenz für Journalisten statt. Es geht um …“

      „Danke“, unterbrach Dagmar Scherrer. „Ich weiß.“ Sie ließ offen, was sie wusste.

      „Möchten Sie zu Abend essen?“, fragte Irmgard besorgt. „Wo darf ich servieren?“

      „Danke, ich werde warten.“

      Irmgard knickste und zog sich zurück.

      Als Dagmar Scherrer das Haus betrat, fiel ihr das Gesicht der Katzengöttin auf. Jeden Abend war sie an dieser Statue vorbeigegangen, aber heute hatte sie den Eindruck, die gemeißelten Augen würden sie aus dem schwarzen Granit anschauen. Erstaunt legte sie den Mantel ab und ging in das Arbeitszimmer ihres Mannes. Durch das große Fenster sah man die Silhouette von Karlsruhe gegen den Abendhimmel. Sie blieb am Fenster stehen, bis die Schatten nicht mehr zu sehen waren und überall in der Stadt die Lichter angingen.

      „Unsere Zeit war schön, Edwin, und ich danke dir. Jetzt gehen wir beide ganz unterschiedliche Wege“, sagte sie leise. Sie lauschte dem Klang ihrer Worte nach und vermisste die Trauer darin. „Jeder geht schon lange seinen eigenen Weg. Hoffentlich ist deiner ein guter Weg.“

      „Brauchen Sie noch etwas?“, fragte Irmgard, die zur Tür hereinschaute.

      „Nein, danke, Irmgard. Ich möchte nicht mehr gestört werden.“

      Sie setzte sich in den großen Sessel und zündete eine Zigarette an. Es wurde dunkel im Zimmer. Die Skulpturen verschwammen zu Schatten, und nur die Glut der Zigarette leuchtete wie ein roter Stern.

      Sybille hastete am Schloss vorbei durch den alten Botanischen Garten. Das Halbrund der Badischen Weinstube war nur wenig beleuchtet. Es war noch zu kühl, um draußen zu sitzen. Rasch stieg sie die Stufen hoch. An der Tür kam ihr Scherrer bereits entgegen.

      „Wie schön, dass Sie kommen konnten.“ Scherrer lächelte überlegen. „Ich habe gedacht, dass Sie ein privates Gespräch vorziehen würden. Ich hoffe, es ist Ihnen recht so.“ Seine blauen Augen sahen sie auffordernd an.

      Sybille nickte. „Sie hätten aber nicht so viele Umstände machen sollen“, sagte sie verlegen.

      „Umstände?“ Er lachte mit angenehmer, tiefer Stimme. „Aber ich bitte Sie. Kommen Sie. Ich habe einen Tisch bei meinem guten Freund Natan bestellt. So hat man einen schönen Blick auf den Garten. Möchten Sie ablegen?“

      Natürlich, sie hatte ja noch die Jacke an. Einen kurzen Augenblick zögerte sie, dann lächelte sie und sagte: „Danke, gerne, Herr Professor.“

      Gewandt half er ihr aus der Jacke. Einen kleinen Augenblick bedauerte sie, dass sie nicht wenigstens einen BH unter der fast durchsichtigen, schwarzen Bluse trug. Aber dann sah sie die Überraschung in seinen blauen Augen aufblitzen. Man kann nur etwas sehen, aber noch nicht alles, dachte sie. Appetit machen darf man. Wäre ein Tisch bei Don Juan nicht ehrlicher gewesen, Herr Professor?

      „Zum Wohl!“ Sie stießen mit Sherry an.

      Dann kamen die Köstlichkeiten des Hauses auf den Tisch: Schnecken und Krustentiere. Professor, willst du mich prüfen? Aber das ist kein Problem, dachte Sybille amüsiert. Geschickt ließ sie sich die Gerichte schmecken. Schwieriger war es, den unterschiedlichen Weinen standzuhalten, die zu den Gängen serviert wurden. Ihm schien das nichts auszumachen. Er plauderte nebenbei über Journalismus und Gentechnik. Was er gesagt hat, ist wichtig, dachte Sybille, aber ich kann doch jetzt keinen Block herausnehmen und mitschreiben. So stellte sie interessierte Zwischenfragen und merkte, wie es für sie immer schwieriger wurde, dem Gespräch zu folgen. Plötzlich lachte sie laut. „Ich glaube, ich habe einen Schwips. Professor, Sie haben mich betrunken gemacht, weil Sie mich verführen wollen. Ich hätte auch so mit Ihnen geschlafen!“

      „Schade, wir waren so gut ins Gespräch gekommen!“, bedauerte Scherrer.

      Hatte sie alles verdorben? In ihrem Kopf drehten sich die Gedanken und fanden weder Anfang noch Ende.

      „Ich bringe Sie heim“, schlug Scherrer vor, als sei er um sie besorgt. Er stand auf, wartete, bis auch sie aufgestanden war, half ihr in die Jacke, nahm sie sorgsam am Arm und führte sie aus dem Restaurant, nachdem er dem Kellner rasch seine Karte gegeben hatte. Alles war so leicht, so schwebend.

      „Professor, ich möchte Sie auf der Stelle küssen“, gestand Sybille. „Ich habe mich gleich in Sie verliebt, als ich Sie das erste Mal sah!“ Mit diesen Worten fiel sie ihm einfach um den Hals.

      „Bitte rufen Sie uns ein Taxi“, forderte Scherrer den Kellner auf, der ihnen gefolgt war.

      Als es da war, führte er Sybille zum Wagen und stieg mit ein. Sybille war wach genug, ihre Adresse zu nennen und auch noch die Haustür aufzuschließen. Aber dann fiel sie in seine Arme und schlief fast. Scherrer brachte sie in das Schlafzimmer ihrer kleinen Wohnung.

      Der Mond schien ins Zimmer, als Scherrer sie verließ. An der Tür blieb er stehen und sah zurück auf die schlanke Frau im Bett. „Ich danke dir, Sybille“, flüsterte er. Sybille drehte sich, als habe sie etwas gehört, und schob die Decke zur Seite. Aber dann lag sie still auf dem Rücken und der Mond streute sein fahles Licht über sie. Ihr weißer Körper verschwamm mit dem Weiß des Bettlakens, nur ihr schwarzes Dreieck hob sich deutlich im Dunkel ab. Scherrer stutze einen Augenblick. „So ist das gemeint“, sagte er leise. „Ihr Ägypter habt gut beobachtet. Der Schoß der Isis! Die Gestalt der Göttin verschwimmt mit dem dunklen Blau des Himmels, aber ihr Schoß ist deutlich zu sehen.“

      Ein plötzlicher Hustenanfall nahm ihm den Atem. Er versuchte ihn zu unterdrücken. Alles begann sich um ihn zu drehen, auch die weiße Frau auf dem Bett. Die Farben verkehrten sich ins Gegenteil: Das Laken und die Frau wurden schwarz, und weiß leuchtete ihr Dreieck im wilden Wirbel, bis nur noch ein leuchtender Punkt zu sehen war. Das ist das Ende, dachte Scherrer merkwürdig unberührt und hielt sich an der Tür fest. Werde ich die Götter sehen oder wird sich gleich ein schwarzer Wirbel auftun und mich herabziehen? Aber dann bekam er wieder Luft. Der Krampf in seinem Hals löste sich und er richtete sich auf.

      Leise ging er zu Sybille und deckte sie zu. Dann hauchte er einen Kuss auf ihre Stirn und ging zur Tür. Geräuschlos öffnete er, sah sich noch einmal um und verschwand. Sirius! Wie nah war ich den Sternen, wie nah dem Paradies, dachte Scherrer, als er zur Haltestelle ging.

      Der Morgen wurde dunkelblau, als Scherrer in die erste Bahn stieg. Er sah noch einmal zurück zu den Fenstern. Nein, dachte er, Leben will ich. Das Leben suche ich und nicht den Tod. Er unterdrückte den Husten, der wieder aufkommen wollte. „Deine Medikamente, Robert, haben genau so lange gehalten, wie ich es brauchte“, stellte er fest, als die Bahn