Название | Die Gleichgültigen |
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Автор произведения | Alberto Moravia |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783945386224 |
»Ihre Tochter«, sagte Leo mit geheucheltem Ernst, »ist so schön, dass sie jederzeit Verehrer finden würde.« Er sah Carla an und zwinkerte ihr zu, aber eine tiefe, unterdrückte Wut erfüllte das Mädchen: »Wer soll mich denn heiraten«, hätte sie ihrer Mutter am liebsten ins Gesicht geschrien, »mit diesem Mann im Haus und bei deiner Verfassung?« Sie war gekränkt und verletzt durch die Unbefangenheit, mit welcher die Mutter, sonst nie sehr um sie bemüht, sie jetzt als nützliches Argument für ihre Zwecke ins Feld führte. Das alles musste ein Ende haben, sie würde sich Leo hingeben, und so würde niemand sie mehr zur Frau wollen. Sie schaute der Mutter in die Augen: »Lass mich aus dem Spiel, Mama«, sagte sie hart, »ich habe mit dieser Sache nichts zu tun, und so soll es auch bleiben.«
In diesem Augenblick ertönte aus der Ecke, wo Michele saß, ein bitteres und in seiner Falschheit schmerzliches Lachen; die Mutter wandte sich um. »Weißt du«, sagte er, wobei er sich anstrengte, seiner gleichgültigen Stimme einen sarkastischen Tonfall zu verleihen, »weißt du, wer uns als Erster verlassen wird, wenn wir aus der Villa ausziehen? Rate mal.«
»Ich weiß nicht.«
»Leo«, brach es aus ihm hervor, und er zeigte mit dem Finger auf den Mann, »unser Leo.«
Leo wollte protestieren. »Ach, Merumeci?«, entgegnete die Mutter beeindruckt und verunsichert, und sie blickte ihren Geliebten an, als wollte sie in seinem Gesicht lesen, ob er tatsächlich eines solchen Verrats fähig wäre. Dann plötzlich, mit pathetischem Sarkasmus in den Augen und im Lächeln, brach es aus ihr heraus: »Aber sicher …, natürlich, wie dumm von mir, dass ich nicht selbst draufgekommen bin …« An ihre Tochter gewandt wiederholte sie: »Natürlich, Carla, Michele hat recht … Der Erste, der so tun wird, als hätte er uns nie gekannt, natürlich erst, nachdem er das Geld kassiert hat, wird Merumeci sein … Nein, protestieren Sie nicht …« Ihr Lächeln wurde beleidigend: »Es ist ja nicht Ihre Schuld, so sind die Männer alle, ich könnte schwören, er wird mit einer seiner ach so reizenden und eleganten Freundinnen an mir vorbeistolzieren, und kaum sieht er mich, wird er den Kopf abwenden, natürlich, mein Lieber, dafür könnte ich die Hand ins Feuer legen …« Sie schwieg einen Augenblick. Dann schloss sie verbittert und resigniert: »Natürlich, schon Jesus wurde von seinen besten Freunden verraten.«
Unter diesem Schwall von Beschuldigungen legte Leo seine Zigarre ab: »Du bist ja noch ein Junge«, sagte er, an Michele gewandt, »deshalb nehme ich dich nicht ernst.« An die Mutter gewandt fuhr er fort: »Aber dass Sie, gnädige Frau, auf die Idee kommen, ich könnte wegen irgendeines Verkaufs meine besten Freunde verlassen, das hätte ich nicht erwartet, nein, wirklich, das nicht.« Er schüttelte den Kopf und griff wieder zu seiner Zigarre.
»Wie falsch er ist«, dachte Michele amüsiert. Dann wurde ihm plötzlich wieder klar, dass er der Bestohlene war, der Gefoppte, der Geschmähte, dass sein Erbe und seine Würde und die seiner Mutter auf dem Spiel standen. »Beschimpfen müsste man ihn«, dachte er, »eine Szene machen.« Er begriff, dass er an diesem Abend schon ein Dutzend besserer Gelegenheiten hatte verstreichen lassen, um einen Streit zu provozieren. Zum Beispiel, als Leo einen weiteren Aufschub verweigert hatte. Jetzt war es zu spät: »Das hättest du nicht erwartet, was?«, sagte er, lehnte sich im Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. Er zögerte, dann fügte er ohne jede Regung hinzu: »Gauner.«
Alle wandten sich um, die Mutter überrascht, der Mann langsam, die Zigarre aus dem Mund nehmend: »Was hast du gesagt?«
»Ich will sagen«, hob Michele an und ergriff mit beiden Händen die Armlehnen seines Sessels, weil er in seiner Gleichgültigkeit nicht die Gründe fand, die ihn zu dieser vehementen Beschimpfung provoziert hatten. »Ich will damit sagen, dass Leo uns ruiniert hat und jetzt noch so tut, als wäre er unser Freund, obwohl er es nicht ist.«
Schweigen. Missbilligung. »Hör mal zu, Michele«, sagte Leo und schaute den Jungen aus zwei völlig ausdruckslosen Augen an, »mir ist schon vor einer Weile aufgefallen, dass du heute Abend Streit provozieren willst, warum, weiß ich nicht. Das tut mir leid, aber ich sag dir gleich, das klappt nicht. Wärest du ein Mann, dann wüsste ich, wie ich dir zu antworten hätte. Aber du bist ein verantwortungsloser Junge … Deshalb ist es das Beste, du gehst ins Bett und schläfst erst mal eine Nacht darüber.« Er schwieg und nahm wieder seine Zigarre. Dann fügte er plötzlich hinzu: »Und du fängst gerade jetzt damit an, wo ich drauf und dran bin, euch die günstigsten Bedingungen vorzuschlagen.«
Schweigen. »Merumeci hat recht«, warf nun die Mutter ein, »wirklich, Michele, er hat uns nicht ruiniert, und er ist immer unser Freund gewesen … Warum beschimpfst du ihn so?«
»Ach so«, dachte der Junge, »jetzt verteidigst du ihn!« Er war plötzlich zutiefst irritiert über sich selbst und die anderen. »Wenn ihr nur wüsstet, wie gleichgültig mir das alles ist«, hätte er ihnen am liebsten ins Gesicht geschrien. Sie alle, die aufgeregte und egoistische Mutter, der falsche Leo und sogar Carla, die ihn verdutzt ansah, erschienen ihm in diesem Augenblick lächerlich, aber gleichzeitig beneidenswert, weil sie in dieser Wirklichkeit verhaftet waren und das Wort »Gauner« als eine echte Beschimpfung erachteten, während für ihn dies alles, die Gesten, die Worte, die Gefühle, nur ein müßiges Schauspiel waren.
Nun wollte er jedoch seinen einmal begonnenen Weg bis zum Ende gehen: »Was ich gesagt habe, ist die reine Wahrheit«, verkündete er ohne Überzeugung.
Leo zuckte angewidert und missmutig die Schultern: »Tu mir einen Gefallen«, entfuhr es ihm, und er klopfte heftig die Asche seiner Zigarre ab, »tu mir nur diesen einen Gefallen …« Schon wollte die Mutter ihrem Geliebten mit einem »Du hast verdammt noch mal unrecht, Michele« beispringen, da öffnete sich hinten in der Ecke, wohin nur wenig Licht drang, ein Stück weit die Tür, und der blonde Kopf einer Frau erschien.
»Gestatten?«, fragte der Kopf, und alle drehten sich um. »Oh, Lisa«, rief die Mutter aus, »ja, komm nur herein!« Die Tür öffnete sich ganz, und Lisa trat ein. Ihr türkisfarbener Mantel umhüllte den fülligen Körper und reichte ihr bis fast zu den winzigen Füßen. Der Kopf mit dem runden, silberblauen Hütchen erschien noch kleiner über den breiten Schultern, die der Wintermantel zusätzlich betonte. Der Mantel war weit geschnitten, und doch zeichneten sich die Brust und die üppigen Hüften in einer Fülle schwellender und geschwungener Linien darunter ab. Hingegen erstaunten die Hände und die Füße durch ihre Feingliedrigkeit, und unter der wuchtigen Glocke des Mantels konnte man bemerkenswert schlanke Fesseln ausmachen.
»Störe ich auch nicht?«, fragte Lisa, während sie näher kam, »es ist spät, ich weiß, aber ich habe hier in der Nähe zu Abend gegessen, und da ich durch eure Straße kam, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, euch einen Besuch abzustatten, und so bin ich hier …«
»Ich bitte dich«, sagte die Mutter, sie stand auf und ging der Freundin entgegen. »Ziehst du den Mantel nicht aus?«, fragte sie.
»Nein«, entgegnete Lisa, »ich bleibe nur kurz, dann gehe ich wieder. Nun, ich werde ihn aufknöpfen, damit mir nicht zu warm wird.«
Sie machte den Gürtel auf, und ein auffälliges, glänzendes Kleid aus schwarzer Seide kam zum Vorschein, mit großen bläulich schimmernden Blumen. Sie begrüßte Carla, »guten Abend, Carla«, dann Leo, »ah, Merumeci ist auch da, unmöglich, ihn hier nicht zu treffen«, und Michele, »wie geht’s, Michele?« Dann setzte sie sich neben die Mutter auf das Sofa.
»Was hast du für ein schönes Kleid an«, sagte die Mutter und zog Lisas Mantel ein wenig auf. »Nun, was gibt es Neues?«
»Gar nichts«, entgegnete Lisa und blickte in die Runde. »Aber was macht ihr für komische Gesichter, man sollte meinen, ihr hättet euch gestritten und ich hätte euer Streitgespräch durch mein Kommen unterbrochen.«
»Aber nicht doch«, protestierte Leo und bedachte Lisa durch den Rauch seiner Zigarre hindurch mit einem heuchlerischen Blick. »Nicht doch, die allergrößte Fröhlichkeit hat hier bisher geherrscht.«
»Wir haben über alles und nichts gesprochen«, sagte die Mutter, nahm eine Zigarettenschachtel und hielt sie der Freundin hin. »Rauchst du?«