Ohne Liebe - nichts. Holger Finze-Michaelsen

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Название Ohne Liebe - nichts
Автор произведения Holger Finze-Michaelsen
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290176716



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Gottes Weisheit» (1,24). Das hat universale Gültigkeit und gilt jedem Menschen: «Wie in Adam alle sterben, so werden in Christus auch alle zum Leben erweckt werden» (15,22). Es ist eine neue Zeit, eine neue Zukunft angebrochen. In das Jetzt ragt hinein das Ziel der Zeit, das Ziel der Welt, «wenn er alle Herrschaft, alle Gewalt und Macht zunichte gemacht hat»; «als letzter Feind wird der Tod vernichtet» (15,24.26) – und mit diesem letzten auch der grösste Feind des Menschen, dem dieser als aus dem Garten Eden Vertriebener tagtäglich ins Auge sehen muss. Der «Stachel» (15,55–56), also das Schmerzhafte des Todes, ist, dass er auf die schärfste Weise zum Ausdruck bringt, dass wir von Gott getrennt sind. Das ist der innere Zusammenhang zwischen unserer Sterblichkeit und unserer Sündhaftigkeit, ebenso die allen Menschen eigene Adams-Natur.

      Das «Wort vom Kreuz» (1. Korinther 1,18) ist für Paulus die Richtschnur nicht nur dafür gewesen, was zu verkündigen sei als Evangelium, sondern auch in der Art, wie es weiterzugeben |29| sei: Man könnte es «kreuzweise» nennen. «Ich kam in Schwachheit und mit Furcht und Zittern zu euch, und meine Rede und meine Verkündigung baute nicht auf kluge Überredungskunst» (2,3–4). Starpredigertum, geniale Rhetorik und glänzende Auftritte sieht Paulus im Widerspruch zum «Wort vom Kreuz». Schliesslich hat Paulus selbst nur «empfangen» (15,3), was er verkündigt. Und die in Korinth haben es «angenommen», «stehen in ihm fest» und sollen es nun auch in Zukunft «genau so festhalten, wie ich [Paulus] es euch verkündigt habe» (15,1–2).

      Zu diesem «Annehmen» der Botschaft gehört die Taufe. Sie bedeutet «abgewaschen», «geheiligt» und «gerecht gemacht worden [sein] durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes» (6,11). Paulus betont, er selbst habe in Korinth nur wenige getauft: «[…] niemanden von euch […] ausser Krispus und Gaius – so kann niemand sagen, ihr wärt auf meinen Namen getauft worden. Das Haus des Stephanas habe ich zwar auch noch getauft, im Übrigen aber wüsste ich nicht, dass ich noch jemanden getauft hätte. Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkündigen» (1,14–17). So sind sie in Korinth nicht vereinzelte Menschen, die für sich im Glauben sagen: «Herr ist Jesus!» (12,3), sondern es ist dort «die Gemeinde Gottes» aus «in Christus Jesus Geheiligten» und «zu Heiligen Berufenen» (1,2). Diese Christuswirklichkeit verbindet sie stärker als alle anderen kulturellen, sozialen und geschichtlichen Wirklichkeiten ihres bisherigen Lebens. «Denn durch einen Geist wurden wir ja alle in einen Leib hineingetauft» (12,13). Von diesem Geist (griechisch pneuma), in dem Christus in der Gemeinde lebendig ist, lebt die Gemeinde. Es ist «ein und derselbe Geist, der jedem auf besondere Weise zuteilt, wie er es will» (12,11).

      |30| Genau dieses «Zuteilen» von Geistesgaben (griechisch charismata), die bei der Gemeinde in Korinth hoch im Kurs stehen, wird von Paulus kritisch beleuchtet. «Jene Gemeinde damals in Korinth war keine kümmerlich dahinvegetierende oder gar tote Gemeinde, sondern eine nach unsern Vorstellungen bis in die unerhört bewegte und leidenschaftliche Atmosphäre ihrer Gottesdienste hinein höchst lebendige Gemeinde mit ihren Gruppen der Gnostiker und Ekstatiker, mit den eindrucksvollen Erscheinungen von Zungenrede, mit der Bereitschaft zu wirklichen Opfern, ja zum Martyrium» (Günter Jacob, 103). Für Paulus bleiben noch einige Fragezeichen; die Weise, wie das Christentum in Korinth floriert, ist ihm unheimlich. Dieses «Unheimliche» sieht Paulus im Defizit an Agape, Liebe.

      Um den Hintergrund des Briefes an die Korinther und somit Paulus’ Aussagen über die Liebe verstehen zu können, ist es nötig, uns die antike Hafen- und Weltstadt Korinth – den Lebensraum der Gemeinde – vor Augen zu führen. Zunächst muss betont werden, dass es sich um eine Stadt handelt, denn der Graben zwischen Stadt- und Landbevölkerung war damals weitaus tiefer als in unserer Zeit. In der Stadt sprach man die Universalsprache Griechisch, ausserhalb wäre man damit, angesichts der Vielzahl der lokalen Dialekte, kaum von allen verstanden worden; ähnlich kann es einem noch heute mit Englisch ergehen. Das Stadtleben beeinflusst einen Menschen auf vielfältige Weise: in seinem Konsumverhalten, in seiner kulturellen Bildung, in seinen Begegnungen mit Menschen |31| anderer Herkunft und anderer Prägung, in seiner Kenntnis von Neuigkeiten und Ereignissen.

      Korinth gehörte damals zu den grossen und bedeutenden Städten des Mittelmeerraumes, die in wenigen Jahrzehnten eine regelrechte Bevölkerungsexplosion erlebt hatte. Der Handel und die Schifffahrt an der Schnittstelle von Orient und Okzident liessen sie reich werden. Der eine Hafen war nach Italien, der andere nach Asien ausgerichtet. Neben dem regen Hafenbetrieb gab es das Handwerk, für das Korinth ebenso berühmt war: Töpfereien, Keramikbetriebe, die Vasen und Tonziegel herstellten, Teppichwebereien und Metallbetriebe. Manch ein wandernder Handwerker schlug hier für eine Weile seine Werkstatt auf, so auch Paulus als Zeltmacher (Apostelgeschichte 18,3). Das Gespräch mit der Kundschaft war, wie man sich vorstellen kann, ein wichtiger Faktor bei der Verbreitung von Nachrichten, Ideen und religiösem Denken. Der private Lebensraum war für die meisten äusserst beengt; das Leben spielte sich darum hauptsächlich auf Plätzen und Strassen ab. «Ein fahrender Händler mit Kupferpfannen und Zauberamuletten, mit Horoskopen oder irgendeiner Offenbarung konnte sich darauf verlassen, dass sich die Nachricht von diesen Wunderdingen – war der anfängliche Kontakt erst einmal hergestellt – rasch herumsprechen würde» (Wayne A. Meeks, 64). Die wirtschaftliche Blüte gab der Stadt ein starkes internationales Flair. Hier trafen sich viele Sprachen, Gebräuche – und auch Religionen. Korinth war «ein Ort zahlreicher Kulte und Tempel, sozusagen ein Modellfall des antiken Synkretismus. Gottheiten und Kulte des alten Griechenland waren ebenso vertreten wie die ägyptischen Mysterienreligionen und die Institutionen des Kaiserkults» (Wolfgang Schrage, 1, 27). Auch eine jüdische Gemeinde war vertreten; man schätzt, |32| dass ihr Bevölkerungsanteil in Städten dieser Grösse bei zehn bis fünfzehn Prozent lag. Hier gab es nichts, was es nicht gab. «Dieses tolerante, multireligiöse Klima war einerseits für die Ausbreitung des Christentums günstig, brachte andererseits aber auch die Gefahr einer pluralistischen Einebnung mit sich» (Helmut Merklein, 1, 28).

      Der Ruf der Stadt war – wie oft bei grossen Hafenstädten – denkbar schlecht. Im Gegensatz zum traditionsbewussten Athen sagte man den Korinthern Laxheit und Genusssucht nach. «Das ausschweifende und lasterhafte Leben dieser Hafengrossstadt war sprichwörtlich» (Wolfgang Schrage, 1, 29). Eine entsprechende Wortschöpfung dieser Zeit belegt das: Man sprach griechisch von korinthiazesthai, zu übersetzen etwa mit «herumkorinthern», wenn jemand ein sexuell ausschweifendes Leben führte. In der Tat war neben dem Handel und den alle zwei Jahre hier stattfindenden Isthmischen Spielen die Prostitution die Haupteinnahmequelle der Stadt.

      Über die äusseren Verhältnisse der christlichen Gemeinde wissen wir wenig; meist lassen sich Rückschlüsse aus Anmerkungen, Anspielungen und beiläufigen Erwähnungen des Paulus ziehen. Die (teils römischen, teils griechischen) Namen von 14 Männern und Frauen sind bekannt. Wie gross die Gemeinde zur Zeit des Paulus war, lässt sich schwer abschätzen. Das «Haus» als Lebensgemeinschaft wie auch als «Hauskirche», zu der andere hinzustiessen, hatte eine fundamentale Bedeutung für das frühe urbane Christentum. Immerhin wissen wir, dass die Gemeinde sich zeitweise im |33| Haus des Gaius versammelte (Römer 16,23). Man geht angesichts der durchschnittlichen Grösse damaliger Wohnhäuser davon aus, dass hier Platz für 30 bis 40 Personen war. Doch die Gemeinde wird wohl grösser gewesen sein; im östlich gelegenen Hafenviertel von Kenchreä hatte sich sogar ein Ableger gebildet, in dem Phöbe die Diakonin war (Römer 16,1). Keinesfalls darf man sich jedoch vorstellen, dass die Gemeindeglieder einen markanten Anteil der Bevölkerung ausmachten; die christliche Gemeinde in Korinth zur Zeit des Paulus war nichts anderes als ein Winzling. Freilich einer, der Paulus besonders am Herzen lag – vielleicht, weil er sich dort so lange aufgehalten hatte, weil der Gemeinde eine wichtige geographische Stellung als Brückenkopf zum Westen hin zukam oder auch, weil er hier bedenkliche Phänomene beobachten konnte, die kurz oder lang auch die anderen, weniger grossstädtischen Gemeinden erreichen mussten und darum frühzeitiger Klärung bedurften.

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