Название | Ohne Liebe - nichts |
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Автор произведения | Holger Finze-Michaelsen |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783290176716 |
agapē: Bei Paulus vom Anfang an ein Hauptwort
Der 1. Thessalonicherbrief des Paulus ist nicht nur der älteste von ihm erhaltene Brief, es ist auch die älteste Schrift im Neuen Testament. Es ist wohl geradezu programmatisch zu nennen, dass Paulus bereits ganz am Anfang das Schlüsselwort agapē braucht, und es fällt schon hier eingebettet in die später auch gegenüber den Korinthern gebrauchte Kurzformel «Glaube, Hoffnung, Liebe». Er erinnert sich nämlich dankbar «an euer Werk im Glauben [griechisch: pistis], eure Arbeit in der Liebe [agapē], eure Geduld in der Hoffnung [elpis] auf unseren Herrn Jesus Christus» (1. Thessalonicher 1,3). Dass Glaube aufs Äusserste verbunden ist mit der Agape – diese seine Überzeugung wird er von nun an immer wieder, bei den verschiedensten Gelegenheiten, in den unterschiedlichsten Tonlagen in Erinnerung rufen, ans Herz legen, einklagen oder schlicht und einfach feststellen. «Liebe als geistgeschenkte |24| Verhaltensweise gehört für Paulus von Anfang an zum Leben der Christen» (Oda Wischmeyer, 1991, 142). Kern und Ausgangspunkt ist dabei die «Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn»; von ihr «vermag uns [nichts] zu scheiden» (Römer 8,39). Gott «zeigt seine Liebe zu uns gerade dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren» (Römer 5,8). Er ist die Sonne, von der alles Licht ausgeht; Gottes Welt ist, was sie ist, einzig in seinem Licht. Von ihm geht alles aus, was Agape heissen darf; an ihm muss sich alles messen, was Agape heissen will.
Gott ist «der Gott der Liebe» (2. Korinther 13,11), freilich nicht in dem Sinne, wie bei den Griechen Eros der «Gott der Liebe» genannt wurde. Die Liebe ist hier kein Gott, sondern Gottes Wesen ist Liebe. Im Kommen Jesu Christi ist sie nicht nur demonstrativ da gewesen, sondern im mehrfachen Sinne des Wortes «eingetreten»: gekommen, in Kraft gesetzt und jetzt ein gültiger Zustand, in den alle eingeschlossen sind. Das ist für Paulus wie die Luft, die er atmet, und der Boden, auf dem er steht. Überall und ohne jede Ausnahme gilt diese Zuwendung Gottes; von hier aus ist darum alles zu sagen, was es zu sagen gibt, alles zu verkündigen, was es zu verkündigen gibt – und dann eben auch alles zu tun, was es zu tun gibt.
Bei der «Liebe» geht es also nicht um ein ethisches Programm oder eine emotionale Befindlichkeit, sondern um die Beschreibung eines durch Gott gegebenen Zustandes, den der Mensch vorfindet, den er selbst also nicht erst noch schaffen muss: «Gott liebt das Wesen, das ohne ihn gar nicht da wäre, das nur durch ihn ist» (Karl Barth, 3/1, 105) und nun durch Christus auch angenommen, versöhnt und berufen ist, dieser Liebe Gottes entsprechend zu leben. Das geschieht keineswegs automatisch, als wäre mit einem grossen |25| Glauben auch eine grosse Liebe gegeben; mit einem gewissen Quantum Christlichkeit ist demnach nicht auch schon die tätige Nächstenliebe in Kraft gesetzt – die Nächstenliebe ist «Frucht des Geistes» (Galater 5,22). So ist sie einerseits nicht abrufbar als antrainierte Haltung, sondern sie ist empfangene Gabe; andererseits ist sie ein Auftrag, an den immer wieder erinnert werden muss: «Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe» (1. Korinther 16,14). Nur das ist Glaube, wenn er «sich durch die Liebe als wirksam erweist» (Galater 5,6). Und «wenn ich allen Glauben habe, Berge zu versetzen, aber keine Liebe habe, so bin ich nichts» (1. Korinther 13,2). Und das in einem universalen Sinn: «Die Liebe fügt dem Nächsten nichts Böses zu. Des Gesetzes Erfüllung also ist die Liebe» (Römer 13,10).
Nicht zu vergessen ist dabei, dass Paulus dies in Briefen an Gemeinden schreibt; es sind keine Briefe an die Weltöffentlichkeit, die an ein allseits bekanntes Weltethos appellierten. Paulus kann von «Liebe» nicht sprechen, ohne sie gebunden zu sehen an Christus und an die ihm nachfolgende Gemeinde. «Agape ist für Paulus grundsätzlich die Lebensform innerhalb der christlichen Gemeinde und wird von ihm auch nur als solche entfaltet» (Oda Wischmeyer, 1991, 142). Damit ist jedoch keine Grenzziehung zur aussergemeindlichen «Welt» gemeint, sondern nur der direkte Ansprechpartner beschrieben. Wie die Agape Gottes in Christus universal ist, so kann sie auch im menschlichen Tun keine Schranken kennen; sie kann immer nur Abbild und Entsprechung sein. In diesem Sinne ist sie menschlicher Dienst, der auf Gottes Liebe antwortet und so «in tätiger Hingabe» dem Mitmenschen «als Gottes Zeuge» begegnet (Karl Barth, 4/2, 825). Mehr kann sie nicht sein, und weniger darf sie nicht sein. Damit ist sie «die einzig sachgemässe |26| und die einzig zukunftsstarke Haltung in dieser ganzen Entscheidungszeit zwischen Kreuz und telos [Ziel und Vollendung der Welt]. Sie steht im Zeichen des Kreuzes. Sie ist Willigkeit zum Dienst und Opfer, zum Vergeben und Rücksichtnehmen, zum Mittragen und Mitleiden, zur Aufrichtung der Gestürzten und zum Aufbau der Zerbrochenen in einer Gemeinschaft, die ihre ganze Existenz der Barmherzigkeit Gottes und dem Opfertod seines Christus verdankt» (Ethelbert Stauffer, 51).
Was Paulus als Agape bezeichnet, steht also zwischen zwei Polen: dem Woher und dem Wohin. Das Woher ist die in Christus erschienene Liebe Gottes, das Wohin ist das Reich Gottes, die Vollendung der Welt; aus beidem ergibt sich das Warum und Wie. «In der Liebe sind Glaube und Hoffnung tätig, und in der Liebe geschieht das Christliche der christlichen Liebestat. Darum ist die Liebe ‹die grösste von ihnen›. Sie ist das in der Gegenwart leuchtende künftige, ewige Licht. […] So ist sie das Kontinuum. […] So ist sie jetzt schon des Christen ewiges Tun. Darum besteht die Liebe» (Karl Barth, 4/2, 953). Und darum kann Paulus sagen: «Die Liebe kommt niemals zu Fall» (1. Korinther 13,8).
In keinem anderen Brief hat Paulus sich so grundsätzlich und so ausführlich zur Agape geäussert wie im 1. Korinther. Er hatte seine Gründe dafür, und wer diese kennt, liest das Kapitel 13 mit anderen Augen. Ernst Käsemann hat recht, wenn er sagt, dass es gerade in diesem Bibelkapitel allerhand zu «verlernen» gibt, um Neues zu lernen.
Auch hier ist ein Wort «in Bewegung»: Es ist damals von A (Paulus) nach B (Gemeinde in Korinth) gereist. Jetzt hat es seine Reise – über viele andere Stationen und Generationen, die vor der jetzigen waren – nach C fortgesetzt und steht, vor uns aufgeschlagen, da: Agape.
|27| III. Paulus schreibt nach Korinth
Paulus tritt uns entgegen als Briefschreiber. Was wir an direkter Kenntnis von ihm haben, stammt in ganz elementarem Sinne aus Wörtern «in Bewegung» – aus dem Briefverkehr zwischen ihm und verschiedenen Gemeinden, wobei uns allerdings weder deren mögliche Anfragen noch Antworten überliefert sind. Auf langen Reisen wurden die Schreiben von Gemeindegliedern transportiert, meist zu Fuss, teils per Schiff. Man besuchte sich, man schrieb sich, man wusste voneinander. In den Zusammenkünften wurden die Briefe verlesen und besprochen, danach auch weitergeleitet an andere Gemeinden.
«Meine geliebten Kinder»
Paulus kam in diesem Briefverkehr eine besondere Rolle zu: Er war der erste Apostel, der als Missionar den Schritt weit über das Land Israel und das Judentum hinaus tat. Auf seinen Missionsreisen – er soll Schätzungen zufolge im Laufe seines Lebens etwa 16 000 Kilometer zurückgelegt haben – gründete er etliche Gemeinden. Eine von ihnen war Korinth. Von etwa Anfang 50 bis Mitte 51 nach Christus hielt er sich in der Stadt auf, also anderthalb Jahre. Den 1. Korintherbrief schrieb er vier bis fünf Jahre später, im Frühjahr 54 oder 55, und zwar von Ephesus aus, wo ihn eine Dreierdelegation der Gemeinde besuchte, bestehend aus Stephanas, Fortunatus und Achaikus (vgl. 1. Korinther 16,17).
Zur Gemeinde hatte er ein ausgesprochen väterliches Verhältnis. Er nennt sie «meine geliebten Kinder» (z. B. 1. Korinther 4,14–15). Er sieht sich als den, der die Gemeinde «gepflanzt» und der «als kundiger Baumeister das Fundament gelegt» hat, korrigiert aber sofort wieder und tritt vor Gottes |28| Wirken zurück: Es zählt ja «weder der, der pflanzt, noch der, der bewässert, sondern Gott, der wachsen lässt»; und «ein anderes Fundament kann niemand legen als das, welches gelegt ist: Jesus Christus» (3,6–7.10–11). Die Gründung der Gemeinde ist also nicht sein Werk; er sieht sich «als Diener des Christus und als Verwalter der Geheimnisse Gottes» (4,1).
Der Kern dessen, was Paulus als «das Evangelium verkündigt» (1. Korinther 1,17;