Название | Ohne Liebe - nichts |
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Автор произведения | Holger Finze-Michaelsen |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783290176716 |
Zwischen «Liebesnest» und «Ordnungsliebe»: «Liebe» auf Deutsch
«Liebe» gehört wohl zu den vielseitigsten Wörtern unserer Sprache. Nur «in Bewegung», also im Zusammenhang, wird verständlich, was damit gemeint ist. Wenn ein Ehepaar seine Goldene Hochzeit feiern kann, wird der Festredner die fünfzig Jahre Ehe kaum als «Liebelei» bezeichnen. Einer Pflegefachfrau, die sich mit grossem Engagement, Sachwissen und Verantwortungsgefühl ihrer Arbeit widmet, wird man nachsagen, dass sie sich der Patienten «liebevoll» annimmt; man wird sie aber nicht eine «Liebesdienerin» nennen. Eine Fastfood-Kette wirbt für ihre Hamburger mit dem Slogan «Ich liebe es»; jene Restaurants sind deshalb aber keine «Liebesnester». Man singt im Volkslied «Wie lieblich ist der Maien»; es käme aber niemand auf die Idee, diesen Monat «liebenswürdig» zu finden. «Wir liebten uns» klingt am Morgen nach einem erotischen Abenteuer anders als im Lebenslauf zweier hochbetagter Geschwister, deren Verhältnis zueinander nie getrübt war. Man mag eine ausgeprägte «Ordnungsliebe» haben, wird deshalb aber kaum in «Liebeskummer» verfallen. Eine Frau kann einen «Liebhaber» erwarten; deren Zusammensein ist aber keine «Liebhaberei». Nicht jeder Brief, der mit «Lieber Max» beginnt, ist ein «Liebesbrief». Max kann mir nämlich sehr «lieb» sein, aber darum bin ich noch lange |14| nicht in ihn «verliebt». – Was für eine Flut von Wörtern, die -lieb- verwenden! So wie man den Eskimos (leider ist es eine Legende) nachsagt, sie hätten etliche hundert Wörter für die Beschaffenheit von Schnee, weil das gefrorene Wasser in unzähligen Zuständen nun einmal ihre Welt sei, so dürften wir Entsprechendes in Bezug auf «Liebe» sagen.
Die Vielzahl der Wort- und Sinnkombinationen lässt darauf schliessen: Liebe ist eines der prominentesten Themen unserer Lebens. Welches Gewicht hat die Zuwendung der Eltern für ein Kind in den ersten Jahren; wie kann hier im Grundvertrauen oder im Grundmisstrauen ein lebenslang wirksamer Boden bereitet oder zerstört werden! Angenommen zu sein ist kein Bedürfnis einer Minderheit; jeder braucht diese Variation von Liebe, die einen Menschen gelten lässt, wahrnimmt und hineinnimmt in eine Gemeinschaft. Liebe hat immerhin auch Unterhaltungswert. Ein erfahrener Rockmusiker meinte in einem Interview, dass es in der Rock- und Popmusik zu 90 Prozent um das Thema «Liebe» gehe (bei den Schlagern käme man wohl auf 95 Prozent). Was wäre das Theater ohne den Dauerbrenner-Stoff «Romeo und Julia»? Was wäre Hollywood ohne seine Liebesfilme? Dabei geht es ja nicht nur um Suchen, Finden, Verlieren, wieder Finden, Happy End, sondern auch um Ehebruch, Rosenkrieg, Intrige – bis hin zu Mord und Totschlag. Das kommt nicht von ungefähr: In der internationalen Statistik der Ursachen für Tötungsdelikte rangiert ganz oben neben «Geld» die unheimliche Schwester der Liebe, die Eifersucht. Ja, und «Liebe» gehört zu den Hauptwörtern der grossen Weltreligionen: Im Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus und Christentum ist «Liebe» kein Fremdwort – keine trägt es nur irgendwo am Rande durch die Zeit.
|15| Ein Wort neu lernen
Wir haben also wirklich keinen Grund, beim Lesen des Briefes des Apostels Paulus über die Liebe so zu tun, «als ob es sich dabei um eine jedermann geläufige und bekannte Sache handelte.» Das gilt natürlich auch oder sogar besonders für die biblisch-christlich-kirchliche Seite, die jetzt genauer zu betrachten ist. «Liebe» gehört ohne Zweifel zu den Schlüsselwörtern des christlichen Glaubens. Die Liebe als das Wesen Gottes, umgekehrt auch die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten – das sind Leitgedanken, die in der Bibel überall gegenwärtig sind. Was aber Paulus mit «Liebe» meint und warum er überhaupt von «Liebe» spricht, will genau in Erfahrung gebracht werden. Sonst geschieht es, dass nicht er gehört wird, sondern die eigene Vorstellung davon, was er wohl meinen könnte. «Wieder gilt wie so oft beim Lesen und Hören der Schrift, dass wir nur dann lernen, wenn wir zugleich zu verlernen bereit sind» (Ernst Käsemann, 104–105). Zu verlernen gäbe es in diesem Falle viel: «Leider haben wir dieses Kapitel schrecklich sentimentalisiert, ihm die kitschige Überschrift eines ‹hohen Liedes› gegeben und es bevorzugt bei Hochzeitsfeiern verwandt, als wären die ineinander gelegten Hände eines jungen Paares die beste Illustration zu unserem Text. So wird verdeckt, dass hier christliche Gemeinde auf die Schanze gerufen wird.» In der Tat geht es hier nicht um Ein- oder Zweisamkeit, sondern um die tätige Existenz der christlichen Gemeinde in der Welt. Das soll jetzt – bevor wir uns dem 13. Kapitel des Briefes zuwenden – an zwei Faktoren abgelesen werden: Zum einen an dem bestimmten Wort, das Paulus hier für «Liebe» braucht, und zum anderen am ganzen Zusammenhang des Briefes an die Gemeinde in Korinth.
|16| II. Der lange Weg vom Rand in die Mitte: das Wort agapē
Wörter haben ihre Geschichte. Sie sind im Werden und sind irgendwann ein selbstverständlicher Begriff in der Alltagssprache. Martin Luther kannte noch keinen «Arbeitsmarkt», Hildegard von Bingen kein «Pensionsalter», Johann Sebastian Bach keine «Alzheimer-Krankheit». Ebenso können Wörter in einem langsamen Prozess vergehen, weil sie immer weniger gebraucht werden. Vom «Bader», dem Knecht in den mittelalterlichen Badestuben, spricht heute niemand mehr. Keiner kämpft mehr «ritterlich». Man zückt zwar noch den «Geldbeutel», weiss jedoch, dass dieser altertümliche Ausdruck längst nicht mehr zutreffend ist. Wörter kommen und gehen. Dass sie uns vertraut sind, heisst nicht, dass sie immer schon da waren.
So ist es mit dem Leitwort von 1. Korinther 13: Liebe. Paulus, der seine Briefe alle auf Griechisch, der damaligen Verkehrssprache des Mittelmeerraumes, schrieb, spricht von agapē; im griechischen Lebensalltag wurde es kaum verwendet, nur im Judentum war es zu einem wichtigen Begriff geworden. Es war (neben Johannes) vor allem Paulus, der es in seinen Briefen in die Mitte der Aufmerksamkeit holte, und so wurde agapē zum Schlüsselbegriff des Christentums. Der Weg dahin war allerdings lang.
Die Hebräische Bibel wird griechisch
Was heute in der Christenheit gewöhnlich als das «Alte Testament» bezeichnet wird (oder auch als das «Erste Testament» oder die «Hebräische Bibel»), ist hauptsächlich |17| in der hebräischen Sprache überliefert. Neben Jüdinnen und Juden können heute nur wenige in dieser Originalsprache einen biblischen Text lesen; diese wenigen sind meist die, die beruflich mit der Auslegung der heiligen Schrift beschäftigt sind. Für den persönlichen Gebrauch und auch im Gottesdienst stehen Bibelübersetzungen in der jeweiligen Alltagssprache zur Verfügung. Hinter diesem selbstverständlich gewordenen Sachverhalt steht die Überzeugung, dass es nicht allein um die wort- und sprachengetreue Wiedergabe und Aneignung einer Botschaft geht, sondern um das Verstehen dieser Botschaft. Der Islam hat ein anderes Verständnis der Sprache; der Koran wird weltweit in seiner Originalsprache, auf Arabisch, rezitiert. Im Judentum erfolgen die Lesungen in der Synagoge und im Haus wie auch die täglichen Gebete auf Hebräisch.
Was uns hier interessiert, ist ein folgenreiches Grossereignis in der Geistesgeschichte. Etwa um die Mitte des 3. Jahrhunderts vor Christus begann die Arbeit, die Hebräische Bibel in die sich auf dem Vormarsch befindende griechische Sprache zu übersetzen. Weil einer Legende zufolge etwa 70 Gelehrte daran mitwirkten, bürgerte sich für diese Übersetzung der Begriff «Septuaginta» (meist mit der römischen Zahl LXX abgekürzt) ein. Es waren zunächst die griechischsprachigen Juden in Ägypten, die ihre ursprüngliche Muttersprache nicht mehr verstanden und denen auf diese Weise entgegengekommen werden sollte; später waren es geschätzte sechs bis sieben Millionen Juden in der Diaspora, die auf diese Weise ihre «neue» Bibel bekamen.
Wird ein Text übersetzt, werden nicht nur Wörter der einen in Wörter der anderen Sprache transportiert; ebenso wichtig ist es, dass der ganz spezifische Sinn eines Wortes – ein Nebensinn, ein Unterton, eine besondere Tradition – oder |18| Assoziationen, die ausgelöst werden bei denen, die die Sprache kennen, nicht verlorengehen.