Название | Ohne Liebe - nichts |
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Автор произведения | Holger Finze-Michaelsen |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783290176716 |
VII. Was vergehen wird und was bleibt (1. Korinther 13,8–10)
Die Liebe: Roter Faden ohne Ende
Das Vollkommene ersetzt das Stückwerk
VIII. Im Präsens leben, das Futur erwarten (1. Korinther 13,11–12)
Ich werde gedacht, also bin ich
IX. Glaube und Hoffnung – beides in Liebe (1. Korinther 13,13)
Fragezeichen hinter eine berühmte Formel
X. 1. Korinther 13: Der Pfahl im Fleisch
|9| Vorwort
Es gibt Bibeltexte, von denen sich ein beruflich mit der Auslegung und Verkündigung Beauftragter besonders angezogen fühlt. Und es gibt umgekehrt Bibeltexte, um die er nach Möglichkeit einen Bogen macht. Für beides kann es ganz verschiedene Gründe geben. Zu der letztgenannten Sorte gehörte für mich das 13. Kapitel im 1. Korintherbrief des Apostels Paulus, das die Liebe zum Thema hat. Ich empfand diese Abneigung, weil mir die Worte, deren Schönheit und Tiefe für mich immer ausser Frage standen, allzu oft im Tonfall von Sentimentalität, Liebesschwärmerei und Gefühlsseligkeit ans Ohr gekommen waren. Verliebtheit, Hochzeit und manchmal auch ein Todesfall bildeten den Rahmen für die Rede von «der Liebe» – aber meist nicht im Sinne des Paulus: Dass der Apostel sie hier nämlich beunruhigend, mit scharfer Polemik und beschämenden Worten zum Thema macht, fiel dabei meist unter den Tisch. Ich gebe zu: Das ärgerte mich. Und Ärger ist ein schlechter Ratgeber zur Vorbereitung einer Predigt. Darum machte ich den besagten Bogen um das 13. Kapitel.
Im Jahr 2007 begann ich, alter reformierter Tradition entsprechend, mit der fortlaufenden Auslegung des 1. Korintherbriefes in den Sonn- und Feiertagspredigten der Reformierten Gemeinde Zweisimmen (Kanton Bern). Dass ich dabei auch einmal bei jenem 13. Kapitel ankommen würde, lag in der Natur der Sache und war also unumgänglich. Ich entschloss mich, dieses Kapitel über die Liebe gewissermassen im Trippelschritt zu durchlaufen, an acht Sonntagen. Dabei erkannte ich noch mehr als früher, wie sehr es eingebettet ist in den Zusammenhang des gesamten Briefes. Das bewog |10|mich, in den folgenden Jahren der «Agape» bei Paulus weiter nachzugehen. Meine Beobachtungen und Überlegungen sind nun hier zusammengefasst. Es ist der Versuch, von Paulus aus weiterzudenken und sein grosses Thema – das christliche Leben, das ohne Liebe nichts ist – für unsere Zeit zu verstehen.
Der 1. Korintherbrief hat viele Auslegungen erfahren. Die Leserinnen und Leser werden feststellen, dass ich jene von Karl Barth und Wolfgang Schrage mit besonderem Gewinn gelesen habe.
Herrn Samuel Arnet vom TVZ bin ich sehr dankbar für seine minutiöse Aufmerksamkeit, mit der er den Weg zur endgültigen Fassung des Manuskriptes begleitet und mich als «primus lector» beraten hat.
Bei der Wiedergabe der Bibeltexte folge ich in der Regel der neuen Zürcher Bibel (2007). Zum Vergleich werden einige andere Varianten erwähnt, um die Bandbreite der Verständnismöglichkeiten aufzuzeigen.
Jenaz (Kanton Graubünden), im Winter 2011
Holger Finze-Michaelsen
|11| Teil 1 Voraussetzungen zum Verstehen
I. «Liebe» ist nur ein Wort
Paulus schreibt im berühmten 13. Kapitel seines Briefes an die Gemeinde in Korinth über «Liebe». Liebe ist für keinen, der deutsch spricht, ein Fremdwort. Jeder weiss damit etwas anzufangen: Für jeden verbinden sich mit dem Wort Erfahrungen, Gefühle, Lebensgeschichten und Lebensweisheiten. Jeder kennt dieses eigentümliche Wechselspiel von Geben und Nehmen, das sich auf tausend Weisen jeden Tag ereignet. Und dennoch wäre es fatal, beim Aufschlagen von 1. Korinther 13 so zu tun, «als ob es sich dabei um eine jedermann geläufige und bekannte Sache handelte» (Georg Eichholz, 174). Warum?
Wörter sind auf Reisen
Wörter gehen vom sprechenden Mund des einen Menschen in das hörende Ohr des anderen, von der schreibenden Hand des einen Menschen in die lesenden Augen des anderen. Wörter machen diesen langen, hindernisreichen und manchmal auch gefährlichen Weg vom einen Menschen zum anderen, einen Weg mit tausend Schwellen, Kurven, Abgründen, Verzweigungen. Finden Wörter Gehör und werden sie so verstanden, wie sie gemeint waren, sagen wir von ihnen, als wären sie Reisende auf dem Weg von A nach B: «Sie sind angekommen.»
Aber so leicht, so schnell reisen Wörter in der Regel nicht. «Wörter allein – Glück, Gerechtigkeit, Wahrheit |12| etc. – haben ein faules Flair. Sie stehen da wie Ölgötzen. In Bewegung kommen sie erst, wenn sie verwendet werden, in immer wieder verschiedenen Zusammenhängen auftreten» (Dieter Thomä, 298). Dem grossen Wort «Liebe» geht es nicht anders: Es kann nichts, gar nichts heissen. Es kann nur eine Worthülse sein, die sich als floskelhaft, leer, abgedroschen und letztlich tot erweist. Es kann ein Wort sein, das man nur aus purer Gewohnheit, aus antrainiertem Anstand oder aus Phantasielosigkeit braucht, ohne sich dabei etwas (oder etwas Wesentliches) zu denken. Es kann ein Wort sein, das durch allzu häufigen Gebrauch abgegriffen erscheint wie eine Münze, die durch unzählige Hände gegangen ist.
Und ein Wort kann alles heissen. Ein prall gefüllter Begriff, in dem sich die Summe von Wahrheit, Lebenshaltung und Sinn ausdrückt. Ein gewichtiges Wort, das überrascht, verwirrt, berührt, weil es Tiefgang hat. Ob leer oder gefüllt, das entscheidet sich offenbar erst dann, wenn ein Wort gebraucht und so zum Reisenden wird von A nach B. Erst wenn seine eigene Dynamik erkennbar wird, kommt es beim Hörer und Leser an.
«Liebe» steht da «wie ein Ölgötze». Es ist zunächst nur ein Wort, bestehend aus fünf Buchstaben. Aber es gehört in seiner Kleinheit zu den Zauberworten unserer Sprache: