Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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die Straße zwischen die fahrenden Autos segeln.

      »Jo, Herrschaftszeit’n!«, schrie der ehemalige Hutträger und lief violett an.

      »Ja, hier«, sagte Veedelnoh und stand plötzlich neben ihm.

      »Hier auch«, sagte ich und stellte mich neben den anderen.

      »Und hier«, brachte sogar Oblong einen fast vollständigen Satz zustande und tippte beiden von hinten auf die Schultern. Sie drehten sich um, erst wütend, dann ließen sie verdutzt die Kinnladen sinken. Man muss vielleicht dazusagen, dass Oblong sich fein gemacht hatte, fürs Fernsehen. Er trug einen violett und gold gestreiften Kaftan aus glänzender Seide, darunter weiße Cowboystiefel mit zehn Zentimeter hohen Absätzen und darüber, über sein mächtiges Tönnchen von Wampe gespannt, einen abgewetzten Patronengurt aus dunkelbraunem Leder, in dessen Schlaufen vierundzwanzig Minifläschchen diverser Kräuterschnäpse steckten. Von Apfelkorn bis Zwetschgenwasser. Auf seiner frisch rasierten und blank polierten Glatze thronte ein drei Nummern zu kleiner blauer Strohhut, in dessen gelbem Hutband das berühmte Playgirl-Photo vom nackten Burt Reynolds prangte. Und natürlich war der Kaftan nicht längs-, sondern quergestreift – von wegen: Längsstreifen machen schlank …

      Ich trug meine übliche Tourmontur – rotbraune Lederhose mit silbernen Gaffa-Tape-Flicken, schwarzbraune, verschlissene Lederjacke über einem karierten Holzfällerhemd, die Haare offen bis zu den Brustwarzen, wo sie sich mit den Enden meines Backenbarts trafen.

      Veedelnoh hatte sich zur Feier des Tages in einen schick schimmernden dunkelgrauen Anzug geworfen, darunter leuchtete ein hellgrünes T-Shirt, auf dem um einen fetten rosigen Pimmel herum in grün schattiertem Rot Ich treffe auch im Stehen! stand. Seine wilden Locken wurden gekrönt von einer blauen Badekappe, an der ein Dutzend abgeschnittener roter und weißer Spiralkabel baumelte.

      Und Emerson hatte sich mal wieder in seinen uralten KVBler gezwängt, die blaugraue Uniform seines Großvaters, der Straßenbahnschaffner bei den Kölner Verkehrs-Betrieben gewesen war. Mit Mütze über dem Afro, mechanischem Geldzählautomaten vor der Brust, Fahrkartenzange und allem. Ach ja, und knallrote, wadenhohe Boxerstiefel mit offenen gelben Schnürsenkeln.

      Gegen uns wirkte Bruni geradezu schlicht – ein schneeweißes Herrenoberhemd und weiße Riemchensandalen war alles, was sie trug, ihre Glatze war auf Hochglanz poliert, wie immer. Als sie am Morgen in den Bus gestiegen war, hatte ich erst nach Luft geschnappt, dann schleunigst meine Beine übereinander geschlagen und schnell aus dem Fenster geguckt – wie ein Kind, das etwas Verbotenes gesehen hat.

      »Pfüat’s ei«, sagte sie zu ihren Verehrern, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab beiden ein Küsschen auf die Wange. Nicht ohne ihnen kurz gegen den Hosenstall zu schnipsen. Daraufhin kriegten sie ihr Maul überhaupt nicht mehr zu.

      »Ich dachte, Kiffen macht friedlich«, sagte ich zu Emerson im Foyer des Funkhauses.

      »Und wie«, sagte er. »Aber ich hatte heute erst einen.«

       11 – Heinz

       Stuttgart, Dienstag, 22. Juli 1986

      »Du wirst ja wohl hoffentlich die Klappe halten«, sagte Heinz zu dem funkelnagelneuen, dreitürigen Allibert, den er sich und seiner Wohngemeinschaft spendiert hatte. Scherben bringen Glück, hatte er sich nach seinem ersten Schrecken gedacht, allerdings erst, nachdem er sich mit Hilfe einer weiteren Dosis von Schneidereits Stöffchen von diesem Schrecken erholt hatte. Er hatte zwei Straßenportiönchen des Heroins abgepackt, mit etwas Milchpulver auf beeindruckendes Format gestreckt und an eine alte Freundin verkauft. Eine misstrauische alte Freundin. Sie hatte erst die angefeuchtete Spitze ihres kleinen Fingers in eins der Päckchen gesteckt und dann eine Weile an dem Finger genuckelt, ehe sie verwundert die Augen weitete und gleichzeitig versuchte, den Kopf zu schütteln und zu nicken.

      »Astrein, ey! Hätt’ ich gar nich’ von dir gedacht, ey, Heinzi …« Dann hatte Bella ihn »auf eine Zigarette« auf den Balkon geschickt und hinter ihm die schweren blauen Vorhänge zugezogen, damit er nicht mitbekam, wo sie ihre Kohle gebunkert hatte. Als hätte er das nicht schon vor Jahren herausgefunden. Als hätte ihn das in diesen Jahren nicht schon zweimal vor einem kalten Entzug gerettet. Was sie nicht einmal gemerkt hatte, weil die Schatulle hinter den Stricksachen und dem Ende der 60er Jahre angefangenen kanariengelben Pullover bis zum Rand voll gepackt war mit zerknüllten Scheinen – sie bekam jeden Monat ein ganzes Bündel von ihrem Alten, der am Großmarkt einen Stand mit Lammfleisch betrieb. Dem ging’s gut, die türkische Gemeinde in München wuchs und wuchs; also ging’s auch Bella gut.

      Ergo hatte Heinz brav seine Kippe geraucht und bloß still in sich hinein gegrinst – was wusste man schon, wann man dieses Wissen noch einmal gut gebrauchen könnte.

      Natürlich hatte Bella sich den ersten Schuss gleich nach der Geldübergabe gesetzt, noch während er die Scheine glättete und in seinen Hosentaschen verstaute; aber natürlich nicht, ohne vorher die völlig verkratzte und eiernde Platte mit Puccini-Arien aufzulegen, ohne die »der Stoff in meinem Body irgendwie nicht die richtige Richtung findet«, wie sie ihm mal erklärt hatte, als sie noch zu zweit auf einem Zimmer gehaust hatten. Damals schon hatte er ihr geraten, sich doch mal ein neues, unbeschädigtes Exemplar zuzulegen, sie habe doch Geld genug, aber nein, das Kratzen und Eiern gehörte mit zu dem inneren Wegweiser.

      Funktionierte auch diesmal astrein – E Luceven Le Stelle –, und natürlich fiel ihr wenig später auch wieder ein, wie gerne sie beide früher mal miteinander gevögelt hatten, und nachdem sie lange genug an ihm herum gefummelt hatte, ließ er sich auch diesmal wieder darauf ein, und natürlich wurde es auch dieses Mal wieder ein Fiasko – sie wurde immer hektischer und hektischer, und ihm verging die Lust immer mehr, und nachdem er zum fünften Mal aus ihr heraus geglitten war, gaben sie es auf, wieder einmal.

      Aber eine zusammen rauchen könnten sie doch noch, meinte sie, und da die Platte inzwischen abgelaufen war, ließ er sich auch darauf ein, und so lagen sie halbnackt, die Beine ineinander verhakt, ihr Kopf in seiner Armbeuge, auf ihrem Bett, lauschten dem Knacksen der Auslaufrille und den Nachbeben des Orgasmus, den Bella sich flott eigenhändig verschafft hatte, und rauchten.

      »Du solltest echt mal mit zu meinem Guru gehen«, sagte sie schläfrig. »Der weiß, wie man – als Mann! – fünf-, sechsmal hintereinander kommt. Und wie …!« Sie interessierte Heinz als Frau kein bisschen mehr, aber das versetzte ihm einen unerwarteten Stich der Eifersucht.

      »Kann ich auch«, hörte er sich sagen. »Aber ich hab’ im Moment andere Probleme.« Und noch während er sprach, fragte er sich, welcher Teufel ihn denn nun wieder ritte. »Ich mach’ den Sallinger kalt.«

      »Was hat der dir denn getan?« Als habe er gerade gesagt, er würde sich einen neuen Badezimmerspiegel kaufen.

      »Ich find’ seine Mucke Scheiße«, platzte es aus Heinz heraus, und sie bekamen beide einen Lachanfall, der dazu führte, dass sie vom Bett plumpsten, sich plötzlich neben dem Bett auf dem Boden wälzten, immer enger umschlungen, immer atemloser, und der damit endete, dass sie doch noch miteinander schliefen – Eifersucht ist eine Motivationskünstlerin.

      Als Heinz ging, wurde es bereits dunkel, und Bella war sehr zufrieden mit ihm. Auch wenn er mit ihrem blöden Guru nicht hatte mithalten können. Zum Abschied rauchte sie sogar noch einen Joint mit ihm, den sie großzügig mit einer ordentlichen Prise Heroin (und Milchzucker) angereichert hatte.

      Auch er selbst war ziemlich zufrieden mit sich, nicht nur dank der üblichen postkoitalen Selbstgefälligkeit, sondern weil ihm eine prima Idee gekommen war. Na gut, es war eigentlich Bellas Idee gewesen

      »Das klappt«, sagte Heinz zum stumm vor sich hin leuchtenden Allibert. »Das klappt«, wiederholte er, wie um es sich selbst einzureden. »Aber dann …« Angestrengt nachdenkend, näherte er sich seinem Spiegelbild, bis seine Nase das Glas berührte. »Wenn’s dann geklappt hat – schön und gut. Aber wie werd’ ich diese verdammten Verfassungsheinis wieder los?«