Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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der erste sein rotes Werk vollendete, die Blechwand von oben nach unten bis zum rechten Rand in leuchtendes Rot getaucht hatte, überpinselte der andere das Rot mit weißer Farbe, und während der Schlagzeuger den schnellen Swing-Rhythmus wieder aufnahm und Heinz sich langsam von spitzen Möwenschreien wieder in lallende Tonfolgen vorarbeitete, nahm der erste Anstreicher in aller Seelenruhe seinen Eimer, ging an dem zweiten vorbei zurück zum linken Rand der Wand und begann ungerührt, das Weiß wieder mit roter Farbe zu übertünchen – Sysiphos, während das Publikum Tantalusqualen erlitt. Die ersten ergriffen bereits die Flucht – mehr leave me als love me, dann doch –, als Heinz ein zweites Effektgerät in Betrieb nahm. Das war ein Verzerrer, ein Big Muff, wie Jimi Hendrix ihn benutzt hatte, und plötzlich klang das Saxophon wie ein ganzer Affenfelsen voller Brüllaffen, um den eine Horde ausgebüxter Rasenmäher herum karriolten, die wiederum von einem Polizeikordon per Megaphon aufgefordert wurden, schnellstens in den heimischen Schrebergarten zurückzukehren.

      Die Anstreicher pinselten schneller und heftiger, der Perkussionist machte sich über ein Set aus voluminösen afrikanischen Trommeln her, als sei dies seine letzte Chance, nach einem langen wasserlosen Sommer die Regengötter herbeizurufen, der Schlagzeuger versuchte, Elvin Jones, Tony Williams und Han Bennink gleichzeitig zu sein und prügelte sämtliche Pegelmesser im Ü-Wagen des Südwestfunks jenseits ihrer dunkelroten Begrenzungen, dem zweiten Perkussionisten zerschellten die ersten Flaschen, weil er so heftig auf sie einschlug, und Heinz, der große, innovative German Heinz, hatte sich inzwischen entschieden, seine drei Töne gefunden zu haben – love me or leave me, love me or leave me, love me or leave me, spielte er, immer und immer wieder, in immer wieder neuen Klangfarben, gerotzt, geheult, gesäuselt, trompetet, gepfiffen, gebellt, gehustet, gekreischt, in immer neuen Phrasierungen hervorgestoßen, wie verzweifelt hinausgeschrieen – liebt mich oder verpisst euch, liebt mich oder verpisst euch! – und wenn er gelegentlich ein Auge einen Spalt öffnete, konnte er sehen, wie viele da unten ihn liebten und wie viele – sehr viel mehr – es vorzogen, das Weite zu suchen. Er konnte in vor Empörung aufgerissenen Augen und Mündern sehen, dass sie ihn nicht verstanden, dass sie ihn nicht liebten, dass sie ihn nicht lieben konnten, weil sie ihn nicht verstanden, ihn nicht verstehen konnten, weil er nicht von ihrer Welt war, nicht in ihrer Zeit, ihrer Zeit voraus, weit voraus, und er schaltete die Echos ab, schaltete den Verzerrer ab, beschränkte sich auf eine einzige Klangfarbe, ein giftiges, spöttisch-verächtliches love me or leave me, wobei er das leave me jedes Mal wiederholte, und er schnappte sich das Mikrophon aus seiner Halterung, ließ es in den Trichter seines Instruments fallen und begann, am Bühnenrand auf und ab zu marschieren, das Mikrophonkabel hinter sich her schleppend wie eine Sträflingskugel, seine Phrase den Zuschauern ins Gesicht spuckend, und die Blechwand wurde abwechselnd rot und weiß, und die Farben vermischten sich immer mehr, bis es aussah, als würden Ströme von Blut eine rosa-weiße Wand hinab laufen; aber das war nicht das einzige Blut an diesem Abend, denn den verschwitzten Händen des Flaschenmanns waren inzwischen seine Stahlklöppel entglitten, und er hielt eine der letzten heil gebliebenen Flaschen mit beiden Händen und schlug sie sich im Rhythmus gegen die Stirn, dass ihm das Blut in Strömen übers Gesicht lief, und dem Voodoo-Trommler platzte die Haut an den Händen auf und bei jedem Schlag auf seine blutverschmierten Trommelfelle spritzten kleine rote Fontänen hoch …

      Und der Leierkasten orgelte sein Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, als habe er mit all dem nichts zu tun und dächte bloß an die sagenhaften zweihundert Mark Gage, die er heute bekommen sollte.

      Und dann blutete auch Heinz, denn irgendjemand da unten, der ihn ganz besonders wenig liebte, hatte ihm eine Bierflasche an den Kopf geworfen. Blut sickerte aus einem üblen Schnitt in seiner Braue, wurde vom Druck seines Pulses, seines unverdrossen weiter hervorgestoßenen Mantras in Wellen aus seinem Schädel gepumpt, und als er einmal zwischen zwei Phrasen benommen den Kopf schüttelte, glänzte plötzlich sein ganzes Gesicht nass und rot, und als die Blondine zurück auf die Bühne gerannt kam und versuchte, Heinz davon herunter zu zerren, und, als der sich weigerte, anfing, ihr Gewand zu zerreißen und, halb nackt da stehend, Heinz mit den Fetzen das Blut aus dem Gesicht zu wischen, die Blutung zu stillen, da flog ein hölzerner Klappstuhl auf die Bühne, erst einer, dann noch ein paar, und Heinz und seine Athene gingen getroffen zu Boden.

      Der Mann am Lichtpult fuhr das Bühnenlicht herunter und schaltete die Laternen rund um den Zuschauerraum ein, sein Kollege am Mischpult zog mit der raschesten aller Ausblendungen die Summenregler nach unten, und im Ü-Wagen warf einer der Tontechniker seinen Kopfhörer in eine Ecke und sagte: »I geh z’rück zum Schport!«

      Eine Grenze war überschritten.

      »Scheißer!«, zischte Heinz. »Wichser!«

      Die linke Spiegelscherbe, ein Zacken wie der Schweif des Sterns, der die Heiligen Drei Könige nach Bethlehem geführt hatte, funkelte ihn an, als würde sie ihn auslachen, er konnte ihr mitleidig-spöttisches Kichern förmlich hören, und er schlug mit der Faust auf sie ein, bis auch jetzt wieder Blut spritzte, er riss das Klebeband ab und jagte sich die Spitze des Schweifs in den Unterarm, wischte mit der Hand das Blut ab, schmierte es sich ins Gesicht, beugte sich nach vorne über das Waschbecken und starrte die beiden restlichen Scherben an der Wand an, zu allem bereit. »Und? Und jetzt? Habt ihr auch noch was zu sagen?«

      »Nein, nein!«, jammerten die beiden. »Nein! Wir wollten nur …«

      »Was?!«

      »Na ja … Dein Plan mit dem Strom …«

      »Ist ein Scheißplan.«

      »Eh …, ja. Irgendwie.«

      »Als wenn mir das nicht schon selber klar geworden wäre«, sagte Heinz, drehte den Wasserhahn auf und begann sich das Blut vom Gesicht zu waschen. »Aber es gibt einen neuen Plan.«

      »Oh! Ah!« und »Toll!«, machten die Scherben.

      »Immerhin weiß ich, wo der Kifferkönig wohnt. Und weiß, dass er nächtliche Gesellschaft nicht ab kann. Schon gar nicht in seiner Jägerhütte. Hinfahren, abends, abwarten, bis seine Jünger und seine Mädels sich vom Acker gemacht haben. Anklopfen, ‚Hallo, Sallinger’ sagen, ihm das Ding hier in den Hals rammen«, er hielt den Sternschweif hoch, »ein bisschen ‚Hippies raus!’ und ‚Scheiß-Kiffer!’ und ‚Kinderschänder!‘ und ein paar Hakenkreuze an die Wände malen und weg.«

      »Wow!«, machten die Scherben.

      »Seht ihr«, sagte Heinz zufrieden. »Ein bisschen Grips, ein bisschen Fantasie, ein gutes Stöffchen – und schon kriegt man alles hübsch in den Griff.«

      Er wollte gerade anfangen, sich im Beifall seiner Spiegelgeister zu suhlen, als es von draußen an die Badezimmertür bollerte.

      »Mensch, Heinz, was machste’n so lang da drinnen?! Ich krieg’ den flotten Otto!«, rief einer seiner beduselten Wohngenossen.

      »Ich krieg’ den Bayrischen Verdienstorden!«, schrie Heinz zurück und bekam einen Lachanfall.

       10 – Büb

       München, Dienstag, 22. Juli 1986

      Natürlich bekam Bruni mehrere eindeutige Angebote auf dem Weg zum Studio – der Bayrische Rundfunk liegt gleich neben dem Münchener Hauptbahnhof. In einem Fall hatte sie ziemliche Mühe, Emerson davon abzuhalten, sich mit zwei Max-Strauß-Doubles in Trachtenkleidung zu prügeln, die, vielleicht aufgrund von Sprachverständigungsschwierigkeiten, absolut nicht einsehen wollten, dass sie an der falschen Adresse waren. Nach dem Motto »Die is’ schwarz, die is’ jung, die is’ schön, die läuft am Bahnhof rum – also muss sie doch ’ne Nutte sein!« wollten sie schon anfangen, Bruni in die Zange zu nehmen, als unser Keyboarder dazwischen ging.

      »Verpisst euch, ihr Saftärsche!«, sagte er freundlich zu ihnen.

      »Wos is’?«

      »Abflug!«, sagte Emerson und wedelte mit den Händen.

      »Schleich