Der Ausweg. Gundolf S. Freyermuth

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Название Der Ausweg
Автор произведения Gundolf S. Freyermuth
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870219



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      „Ich bin nicht aufgeregt, Brauchangen, ich bin wütend. Scheiß wütend. Und ich habe auch die Faxen Ihres superschlauen Kanzlers dicke!“

      Allmählich spürte Paps fast so etwas wie Mitleid mit dem Sendboten der Regierungspartei. Karin Block hatte einen ihrer berüchtigten Wutanfälle. Jeder, der sie kannte, wusste, dass es da nur eins gab: Man musste ihr für eine Weile aus dem Weg gehen. Aber genau das konnte von Brauchangen nicht. Der pompöse Professor hatte schlechte Karten. Zumal Karin Block, wie Paps die Sache verstanden hatte, allen Grund besaß zu toben. Sie hatte bezahlt, jahrelang, für geringe Gegenleistungen. Und nun, da sie zum ersten Mal wirklich etwas für ihr Geld verlangte, machten die Empfänger der Wohltaten einen rasanten Rückzieher.

      „Wineck ist nicht zu halten.“ Von Brauchangen gab sich hörbar alle Mühe, seine Stimme fest und wissend klingen zu lassen. „Nicht in dieser Situation. Man hat sich auf ihn eingeschossen. Er war so unklug, sich in Widersprüche zu verwickeln. Dem Mann ist nicht mehr zu helfen. Ehrlich gesagt, ich begreife auch nicht, warum Sie an seinem Schicksal solches Interesse ...“

      „Sie scheinen zu vergessen, dass Sie eigentlich viel tiefer drinstecken als Wineck, mein Lieber.“

      „Aber ich stehe nicht an so prominenter Stelle, mich hat man nicht wegen meiner Verdienste um die Finanzierung unserer Partei zum Minister gemacht! “ Paps hörte den Hauch von Befriedigung in von Brauchangens Stimme. „ Also hat man sich nicht auf mich eingeschossen. Ich bin viel zu unwichtig. Wineck hat Pech gehabt, er muss nun seinen Kopf hinhalten. Daran wird sich kaum etwas ändern lassen ...“

      „Nur leider ist Wineck nicht bereit, den Sündenbock zu spielen! Er hat mir gedroht ...“

      „Er will Geld? Wir werden uns darum kümmern! Man wird ihm Zusagen machen.“

      „Wenn Wineck Geld wollte, bräuchte ich Ihre Hilfe nicht. Dann hätten wir kein Problem. Wineck verlangt politischen Schutz, er will aus der Sache sauber herauskommen. Er hat Angst um seine Karriere.“

      „Er wird auch Geld nehmen ...“

      Ein Scharren gefolgt von einem gigantischen Knall ließ Paps zusammenzucken. Er griff zum Feldstecher.

      „Sie sind ein Idiot! Sie und Ihre bekloppten Parteifreunde! Ich weiß nicht, was Sie sich einbilden! Glauben Sie vielleicht, ich hätte dem Kerl nicht schon Unsummen geboten?“

      Karin Block war aufgesprungen und hatte dabei ihren Stuhl umgeworfen. Die Lehne war auf die Marmorplatten geknallt, nur ein paar Zentimeter von dem Blumenbeet mit dem Sender entfernt.

      „Ihr verkehrt doch nur mit euresgleichen und habt keine Ahnung davon, was im wirklichen Leben los ist! Da geht’s nicht nur ums Umverteilen von Pöstchen und Pfründen!“ Karin Block rannte aufgeregt auf und ab. Ihre Absätze bearbeiteten den Boden der Terrasse, dass Paps Mühe hatte, die gebrüllten Beleidigungen zu verstehen. „Irgendwo muss das Geld schließlich herkommen, und rausrücken tut keiner was freiwillig. Hier geht’s auf Leben und Tod.“ Abrupt hielt sie inne: „Ich werde die Sache selbst in die Hand nehmen!“

      Auch von Brauchangen war jetzt aufgestanden. Paps sah ihn beschwörend die Hände heben.

      „Liebe gnädige Frau, so beruhigen Sie sich doch ...“

      „Und wenn Ihr Schmeißfliegen noch jemals einen Pfennig von mir bekommen wollt, dann haltet ihr mir dabei die Polizei vom Hals!“

      „Aber ich bitte Sie, wir werden ...“

      „Richten Sie das aus! ... Ach was, das ist mir alles zu blöd.“ Karin Block schleuderte die Serviette, die sie zwischen den Händen geknetet hatte, auf den Tisch. Sie landete auf dem Teller mit dem Lachs. „Es ist schon eine Unverschämtheit von dem Kerl, die Sache auf Sie abzuwälzen. Sagen Sie ihm, ich bin am Montag in Bonn!“

      „Selbstverständlich, gnädige Frau. Ich bin sicher, der Kanzler wird ...“

      Karin Blocks Lachen, ein böses Lachen unterbrach ihn. „Das bin ich mir auch ...“

      Sie machte einen Schritt auf von Brauchangen zu, der immer noch hilflos vor seinem Stuhl stand und unentschlossene, fast ängstliche Blicke auf den gedeckten Tisch warf. Ihre Stimme klang ruhiger.

      „So, und jetzt rufen wir Herlois an und teilen ihm unseren Entschluss mit. Und dann frühstücken wir gemütlich weiter.“ Karin Block setzte sich wieder.

      Gemütlich frühstücken, wusste Paps, bedeutete Champagner. Im Feldstecher sah er, wie sie zu dem Funktelefon auf dem Beistelltisch griff und eine lange Reihe von Zahlen eintippte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis auf der anderen Seite der Welt jemand den Hörer abnahm.

      „Block“, sagte Karin Block, „ich hätte gern ... Ach, Herlois, du bist es selbst ...“

      Paps kannte die vierzehnstellige Nummer, die sie gewählt hatte; und er kannte den Mann am anderen Ende der Leitung. Gut konnte er sich den schmierigen Pater hinter dem abgewetzten Schreibtisch vorstellen, von dem aus Herlois einen hervorragenden Blick auf das untere, nicht so feine Ende des Ku’damms hatte.

      „Professor von Brauchangen ist bei mir.“ Karin Blocks Feststellung war eine recht eindeutige Warnung, gewisse Themen nicht anzuschneiden. „Nein, leider nicht. Aber wir werden die Sache unter uns regeln. Ich komme Anfang der Woche rübergeflogen.“

      Karin Block lauschte der fernen Stimme, von Brauchangen kaute schon wieder. Die Sonne näherte sich ihrem höchsten Punkt.

      Paps streckte sich, was die Hollywoodschaukel mit einem wilden Quietschen beantwortete. Allmählich wurde es Zeit, dass Mamma aus den Federn kam und das Mittagessen zubereitete. Herlois hielt gewiss eine seiner endlosen Ansprachen. Paps dachte an Berlin, an die Kriegsjahre in der Prinz-Albrecht-Straße, an die Wache in der Keithstraße, an die langen Nächte bis zu seiner Pensionierung. War es um diese Zeit schon dunkel in Berlin?

      „In Ordnung.“ Die Ungeduld in Karin Blocks Stimme war nicht zu überhören. Pause. „Gut, bis dann. Ach, und ... Erinnerst du dich an die Schmidt, die früher bei mir Mädchen für alles war, die hat dann geheiratet, diesen ...“ Pause. „Ja die. Ich brauche ihre Telefonnummer.“ Pause. „Nein, ruf mich in zwei, drei Stunden wieder an.“

      Karin Block fummelte an den Tasten des Telefons herum. Aus dem Haus drang das vertraute elektronische Gewimmer. Als es aufhörte, sagte Karin Block: „Dolores? We would like to have some champagne.“

      Der alte Mann setzte die Kopfhörer ab. Das Aufnahmegerät ließ er weiterlaufen. Der Kaffee in seinem Becher war kalt geworden. Er leerte ihn im weiten Bogen in den trockenen Sand, schraubte die Thermosflasche auf und goss sich nach.

      Seine Auftraggeber würden zufrieden sein.

      *

      Unnachgiebig flimmerte die absurde Existenzfrage durch das halbdunkle Berliner Zimmer. Harry Mann hatte sich umgezogen und war sich mit dem Elektrorasierer durchs Gesicht gehuscht. Jetzt saß er wieder vor dem kleinen grauen Kasten. So oft er „Verpiss dich“ klickte, so oft piepte es zurück. Mit Computern ließ sich nicht handeln. Die kleine graue Ratte wollte ihn zwingen, sich selbst zu beschimpfen. Tadel ohne Ehrfurcht. Das war so ziemlich das genaue Gegenteil von dem, was er dem Apparat hatte beibringen wollen. In der Programmierung der Existenzfrage musste ein Fehler stecken. Mal wieder einer.

      Mann stand auf, ging zum Fenster und zog die Jalousien hoch. Von diesem Zimmer aus starrte man direkt auf die verdreckte, fast schwarze Fassade des gegenüberliegenden Seitenflügels. Der Hof dazwischen war von einer bedrückenden Enge, die sogar notorisch fröhliche Wessies wie seinen Freund Wolf nach ein paar Stunden depressiv stimmte.

      Mann öffnete das Fenster, und zusammen mit heißer, abgestandener Luft drang ein Potpourri sämtlicher Radio- und Fernsehsender Berlins herein, garniert mit türkischem Kassetten-Gedudel und dem Geruch von gebratenem Fisch und angebrannten Kartoffeln.

      Mann spürte den dringenden Wunsch, seine Faust in den flimmernden grauen Kasten zu rammen. Wieso zum Teufel auch nicht! Schließlich war er Jurist, ein arbeitsloser Jurist ohne zweites Staatsexamen, und kein gottverdammter Mathematiker oder was immer