Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman. Peik Volmer

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Название Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman
Автор произведения Peik Volmer
Жанр Языкознание
Серия Dr. Sonntag
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740972318



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bezeichnet. Glaubst du, dass ich das jemals vergessen kann?«

      Scheinbar desinteressiert ordnete er ein paar Töpfe und Vorlegegabeln.

      Er hatte ja recht. Vielleicht tat es gerade deswegen so weh? Sie hatte ihr Herz an den Falschen gehängt. Andreas Stehr war ein Charmeur, ein Herzensbrecher. Gepflegt, attraktiv, hinreißend in seinen Umgangsformen. Aber er war eben kein Mann für eine einzige Frau. Und sie hatte keine Lust, ihn mit anderen zu teilen.

      Michael war eben die graue Maus. Nur in seiner Küche lebte er auf und war plötzlich ein anderer Mensch. Dort gab es kein Problem, das er nicht zu lösen verstand. Das Bemerkenswerte war, dass er bei diesem Versöhnungs-Grillabend in ihrem Elternhaus, als sie ihn als Begleiter auserkoren hatte, zu einer ebenso überraschenden Form auflief und sich ihrem Vater gegenüber geradezu todesmutig präsentiert hatte. Ausgerechnet dem Staranwalt Sebastian Schickenreuth, vor dem alle zitterten, die mit ihm zu tun hatten. Da war sie zwar zunächst erschrocken, hatte ihn dann aber bewundert, weil sie ihm so viel Standfestigkeit gar nicht zugetraut hatte.

      Er hatte sie angebetet. Sie war seine Traumfrau.

      Und, zugegeben: Sie war es immer noch. Er hatte sie um ein Haar getötet, mit Bakterien im Tiramisu. Na gut, das war keine Absicht gewesen. Er hatte ihr aus der Verlegenheit geholfen. Er war solide, zuverlässig und ein charakterlich einwandfreier Mensch, der sogar mit ihrem unehelichen Söhnchen Leander gut auskam und mit dessen Atemwegserkrankung fertig wurde.

      Sie bereute ihre Dummheit. Und sie schien keine Chance zu haben, ihn davon zu überzeugen, wie leid es ihr tat. Sie sah im fest in die Augen.

      »Ich verstehe, dass ich dir weh getan habe. Soll ich dir was sagen? Ich habe nicht geglaubt, dass man dir überhaupt weh tun kann. Wäre ich nur halb so gut in meinem Beruf wie du in deinem, dann wäre ich wirklich glücklich und würde den ganzen Tag selbstsicher und mit hoch erhobenem Haupt herumlaufen. Ich bin auch besser geworden. Aber ich habe mir, als ich hier anfing, schon so einige Dinger geleistet. Du hingegen bist ein Meisterkoch. Man gibt dir eine Dose Kondensmilch, einen Schokoriegel und etwas tiefgefrorenen Schnittlauch, und du zauberst ein Drei-Gänge-Menü daraus. Ich habe nicht viel richtig gemacht in meinem Leben. Ich bin zwar gerade dabei, die Dinge zu korrigieren. Aber – der Mann, in den ich verliebt war und mit dem ich ein Kind habe, hat mich sitzen lassen. Mein Kind ist chronisch krank. Mein Vater war enttäuscht bei meiner Geburt, weil ich kein Junge war. Ich habe mich unmöglich benommen in St. Bernhard. Eigentlich verdanke ich es dir, dass überhaupt noch jemand mit mir spricht. Aus Mitleid. Wegen des Tiramisu. Und, ja, ich falle immer wieder auf Kerle rein, die so – glänzen, weißt du? Die so gut reden können. Guten Geschmack haben, gut aussehen.«

      Ihre Augen füllten sich mit Wasser. Erschrocken beobachtete Michael, wie vereinzelte Tränen auf ihrem Weg in Richtung Kinn glänzend-feuchte Linien in ihrem Gesicht hinterließen. Sie sprach jetzt sehr leise.

      »Vermutlich warst du meine letzte Chance, einen Mann kennenzulernen, der mich wirklich liebt. Und weißt du was? Ich habe es geschafft, sogar diesen sanften, freundlichen Mann, der es nur gut mit mir meinte, in die Flucht zu schlagen. Michael, ich brauche deinen Rat. Dringend. Offenbar bin ich gerade nicht in der Lage, die richtige Entscheidung zu treffen. Verstehe mich bitte nicht falsch: Ich mache hier nicht auf dummes kleines Frauchen, die ohne den Rat ihres Beschützers aufgeschmissen ist. Aber ich denke, wenn man ein Brett vor dem Kopf hat, darf man auch mal um Hilfe bitten, oder? Ich frage dich als Freund. Was soll ich tun? Es muss einen Weg geben, um um Verzeihung zu bitten. Es muss ein Wort geben, dass man ausspricht, und dann wird alles wieder gut.«

      »Ein Wort?«, sagte Michael heiser und räusperte sich. »Wie im Märchen? So ein Zauberspruch, der alles wieder gut macht?«

      »Ja. Oder wie in einem Liebesroman. Wenn die Heldin erkennt, dass sie sich geirrt hat, weil der Mann, von dem sie es nicht erwartet hätte, der einzige ist, der es wert wäre, für ihn zu sterben. Oder zu leben.«

      »Und diesen Mann hast du getroffen?«, fragte er neugierig.

      »Ja. Aber ich war zu dumm, um ihn festzuhalten. Und jetzt läuft er vor mir weg!«

      »Dann lauf doch einfach hinter ihm her! Vielleicht holst du ihn ein! Wenn es der Richtige ist, dann liebt er dich doch auch! So ist das wenigstens immer im Märchen. Oder im Liebesroman.«

      »Und wenn ich ihn einhole, was soll ich dann sagen?«

      »Versuch’s doch einfach mit etwas Einfachem. ›Ich liebe dich‹!, zum Beispiel.«

      »Ich liebe dich?«

      »Ich liebe dich.«

      »Ich liebe dich?«

      »Ich liebe dich!«

      Die Töpfe und Vorlegegabeln verharrten bewegungslos. Der Kühlschrank hielt die Luft an. Sogar der Wasserhahn vergaß einen Moment lang das Tropfen, als zwei Menschen, die endlich begriffen hatten, dass sie zueinander gehörten, sich in die Arme sanken.

      Sprechen wir drüber!

      »Erst einmal: Herzlichen Glückwunsch! Ihre Frau war schon zu Besuch und hat berichtet! Aber eins muss ich sagen: Das war nicht schön von Ihnen, Herr Professor! Eine alte Frau so zu erschrecken!«

      »Na na, Frau Fürstenrieder! Alt? Jetzt übertreiben Sie aber! Außerdem: Jeder ist zu ersetzen, glauben Sie es mir. Cortinarius hätte einen mehr als brauchbaren Vertreter abgegeben, und was glauben sie, wie viel Oberärzte sich wie Habichte auf diese wunderbare Stelle hier gestürzt hätten!«

      Egidius lachte vergnügt.

      »Das einzige, was mich traurig stimmt, ist, dass ich die Geburt meines Töchterchens verpasst habe! Aber die junge Dame war etwas zu voreilig! Wie haben uns um 24 Stunden verpasst!«

      »Gott sei dank ist alles reibungslos verlaufen. Sie haben uns allen gefehlt, Herr Professor, und die Nachricht von dem Stellenangebot hat sich hier wie ein Lauffeuer verbreitet. Mein Telefon stand nicht still! Ihre Kollegen, Patienten … Sogar der neue Herr Landrat zeigte sich höchst besorgt!«

      »Das ist aber sehr aufmerksam von dem neuen Herrn Landrat! Gut zu wissen! Dann habe ich wenigstens ein Druckmittel, wenn es darum geht, etwas für die Klinik durchzusetzen! Ich muss nur darauf hinweisen, dass ich in den Staaten ein vergleichsweise unbegrenztes Budget gehabt hätte!«

      »Erlauben Sie mir die Frage, wie es Ihrem Sohn geht?«

      »Ich bekomme nur bröckchenweise etwas aus ihm heraus. Immerhin redet er wieder mit mir. Die Pubertät, Sie wissen ja. Ich bin etwas wenig für ihn da gewesen in letzter Zeit. Und mit dieser Englandreise fühlte er sich abgeschoben.«

      »Ein schönes Gefühl, wenn man weiß, dass die Kinder einen noch brauchen, oder, Herr Professor?«

      Egidius grinste.

      »Das ist ein permanenter Balanceakt zwischen ›Papa, ich brauche dich‹ und ›Papa, du bist voll peinlich‹! Aber diese Erfahrungen macht vermutlich jeder im Leben«, bemerkte der Chefarzt lachend. »Und zwar aus beiden Perspektiven! Sagen Sie, ist die Frage nach Ihrem Privatleben gestattet? Ich habe läuten gehört, dass der verehrte Herr Kommissar Pastötter Ihnen zugetan ist!«

      Die Chefsekretärin errötete wie eine Sechzehnjährige. »So? Hört man das läuten, ja? Nun, Severin und ich verstehen uns wirklich gut.«

      »Aha!«

      »Nichts aha! Auf einer absolut geistigen Ebene!«

      »Ach was!«

      »Ja, so ist das. Ein rein platonische Freundschaft.«

      »Ich verstehe!«

      Das Grinsen in Egidius’ Gesicht grenzte an Unverschämtheit. Er zwinkerte vergnügt.

      »Wieso zwinkern Sie denn, Herr Professor?«

      »Ach, das … das muss ich mir wohl beim Flug zugezogen haben! Die Air Condition war etwas kühl!«

      »Ah ja. Die Air Condition! Ja, daran muss es wohl liegen!« In diesem Moment klopfte es an der Tür.

      »Herr Professor, ich