Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

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Название Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)
Автор произведения Joachim Ringelnatz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027203697



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daher fast keinen Nährwert mehr hätten. Trotzdem trug ich lange Zeit in mein Tagebuch die Notiz ein: »Heute an boiled beef überfressen.«

      Harte Bohnen in Essig, ein wenig Salzspeck, rohe Mehlklöße oder Brotsuppe – weiter gab es nichts mehr, und das wenige war kaum hinunterzuwürgen.

      Steuermann, der ein paar Tage krank gewesen, hatte mir gerechterweise verboten, mich auf Ausguck an Deck zu setzen. Dagegen erlaubte er mir, nachts meine Pfeife zu rauchen. Wenn ich auf seiner Wache nachts am Ruder stand, unterhielt er sich zuweilen mit mir. Gewöhnlich renommierte er dann mit seinen Kenntnissen und seinem Vermögen.

      Matrose Paul wurde von August der »Schlangenmensch« genannt, weil er sehr gelenkig war. Hermann, das Gegenteil dazu, wurde »Stiefbeen« oder »Lieschen« betitelt, während Gustav den Namen »Leu« trug.

      Eines Tages bemerkte ich, daß wir den 7. August schrieben. Das war mein Geburtstag. Er verging natürlich wie jeder andere Tag. Ich notierte mir aber den Verlauf ausführlich und gebe die Stelle hier wieder.

      Ich habe von 12 bis 4 Uhr morgens Wache, davon zunächst zwei Stunden Ausguck. Es regnet stark, und ich muß daher sehr scharf ausspähen. Im Ölzeug steckend, smöke ich meine »Getreue«. Steuermann gesellt sich zu mir, um sich etwas Feuer für seine Pfeife zu holen und ein wenig zu schwatzen.

      Die nächsten zwei Stunden bringe ich mit einem Wachtkollegen teils im Halbschlaf an Deck dösend, teils an der Schiffspumpe zu. Dann zieht die andere Wache auf, und ich schlafe köstlich in meiner Koje.

      Um halb acht weckt mich der übliche Ruf:

      »Rise, rise, schaffen, schaffe!!!«

      Zum Frühstück. Es gibt Pfannkuchen, aus Wasser und Mehl zubereitet, und dazu Sirup, eine Kost, mit der ich unter den obwaltenden Umständen ganz zufrieden wäre, wenn sie zum Sattessen reichte. Außer diesem serviert man heißen Kaffee, oder, wie Jahn sagt, »Hurrawasser«.

      Vom tiefen Schlaf in der engen Koje bin ich noch ganz in Schweiß gebadet. Ich werde eine Stunde ans Ruder geschickt.

      Wegen der Halswunde kann ich noch immer nicht den Kopf drehen. Wir liegen »bei« dem Winde, und da er von mäßiger Stärke ist, habe ich Muße, den Alten zu beobachten, der schon seit einer Stunde mit gekreuzten Beinen auf dem Achterdeck sitzt und seinen Papageien »Deutschland, Deutschland über alles« vorsingt, wobei er mit zwei eisernen Gegenständen auf dem Bauer trommelt. Schließlich erhebt er sich, kindlich lächelnd, um den Ameisenbär mit Kokosnuß zu füttern. Das Tier frißt aber keine Kokosnuß, sondern nur Stiefel, Decken und andere verbotene Nahrung. Es ist überhaupt ein ungezogenes und verschlagenes, aber höchst drolliges Tier. Neulich sah ich vom Ruder aus, wie es in der Kajüte sich heimlich an die Butterdose schlich. Der Bär ist ziemlich bissig. Napoleon versteht es, sich ihm mit freundlichem Zureden zu nähern, um ihn dann plötzlich mit geschicktem Griff so am Genick zu packen, daß er nicht um sich beißen kann.

      Fünf Minuten vor zwölf höre ich Gustav die andere Wache wecken.

      Rise Quartier

      Ist Seemanns Manier,

      Dem Rudersmann tut verlangen,

      Das Ruder zu verfangen.

      Acht Glasen! Willy kommt schlaftrunken nach achtern geschlichen, um mich abzulösen. »Ost-Nord-Ost, ein Viertel Ost«, sage ich, ihm das Rad übergebend.

      »Ost-Nord-Ost, ein Viertel Ost«, wiederholt er noch wie im Traum.

      Mittag. Es gibt Pudding mit greulichen, verrotteten Backpflaumen und pro Mann drei Kartoffeln »zum Überbordwerfen«.

      Dann muß ich das Geschirr aufwaschen oder vielmehr trocken abwischen.

      Alle schimpfen wieder auf den Koch. »Ist das ein Geburtstagsessen«, knurre ich. Jahn fragt: »Wer hat denn Geburtstag?«

      »Ich.«

      »Allright! Dann mußt du etwas ausgeben. Du kaufst Butter und Kognak beim Alten.«

      Ich will mich nicht weigern, obgleich ich weiß, daß der Kapitän nach der Belizer Rumaffäre keinen Schnaps mehr gibt. So gehe ich also in die Kajüte:

      »Kapitän, würden Sie vielleicht so freundlich sein, mir ein paar Zigarren oder eine Flasche Kognak zu verkaufen? Ich habe heute Geburtstag, und da möchte ich gern was ausgeben.«

      »Du hast gar nicht Geburtstag, Nasenkönig, du lügst«, entgegnet der Alte mit Pathos.

      »Ganz gewiß! Ich habe heute Geburtstag.«

      Kleine Pause.

      »Ich habe keine Zigarren, und Schnaps darf ich euch auf See nicht verkaufen. Ihr besauft euch sonst wieder.«

      Die Matrosen lachen mich aus, als ich diese Antwort verkünde. Ich verbringe meine Freizeit bis sechs Uhr damit, daß ich meine Seestiefel mit Talg einbalsamiere und mein Scheidemesser schleife. Zu Hause, das weiß ich, werden sie heute meiner herzlich gedenken.

      Zum Abendbrot, das beide Wachen gemeinsam einnehmen, wird uns der Rest von Pudding vorgesetzt, den der Koch mit Margarine aufgebraten hat.

      Dann ruft uns ein Kommando an die Pumpe. Etwa zwanzig Minuten lang drehen wir das Rad herum. Es ist wieder viel Wasser im Schiffsraum.

      Um acht Uhr geht die Wache zur Koje. Ich hoffe, bis um zehn Uhr etwas Ruhe zu haben, täusche mich aber darin. Zuerst stört mich Jahn mit spöttischem Geschwätz, und dann setzt plötzlich eine derbe Bö mit Hagel ein. Ohne Ölzeug müssen wir heraus, um die Bramsegel festzumachen. Wir frieren in unseren nassen Sachen. Jeder erhält einen Eierbecher voll Kognak. Ohhh!!

      Am Horizont ziehen schwarze, drohende Wolken auf. Wir erwarten Sturm. Es schlägt zehn Glasen. Ich friere wie ein Schneider, muß aber in den nassen Kleidern noch zwei Stunden auf Ausguck. Das Schiff jumpt stark. Schon spritzen hohe Seen über Deck. Ich trample mit den Füßen, um mich zu erwärmen, und singe im Takt alle Lieder ab, auf die ich mich besinne. Unter mir höre ich die Freiwache über den Lärm schimpfen, den ich verursache.

      »Mars fest!« schallt es über Deck, und schon klettert alles die Wanten hinauf. Auf der Rahe komme ich neben Steuermann zu stehen. Er drückt mir die Hand. »Ich gratuliere auch noch.«

      »Danke.« – Ein Händedruck, der mich völlig kalt läßt.

      Zehn Minuten vor zwölf wecke ich die andere Wache. Beide Wachen gehen dann nach dem Halbdeck, wo Steuermann nach militärischem Beispiel »Wachtmusterung« abhält.

      »Alle beisammen?« höre ich ihn fragen.

      »Ja!« gibt die abgelöste Wache sehr laut, die ablösende ganz müde zurück. »Ruder verfangen. Mann auf Ausguck. Wacht zur Koje!«

      Jahn hat mich abgelöst, und ich melde das dem Steuermann.

      »Willst du wohl lauter melden!« schreit er mich an. Dann schickt er mich in die Kombüse, von wo aus ich die Meldung mit lauterer Stimme wiederholen muß. Hierauf krieche ich, da meine Decke naß ist, in Hermanns Koje. Hermann hat Wache. Vorher entledigte ich mich ausnahmsweise und zur Feier meines Geburtstages meiner Kleider. Ich träumte herrlich, süß, vier Stunden lang. –

      Als ich mit starken Kopfschmerzen erwachte, hörte ich Gustav über mir auf der Back marschieren. Er sang mit Begeisterung:

      Denn du hast ja

      Die schöne Berta

      Auf die Schultern geküßt.

      Wir hatten eine ganze Reihe derartiger Lieder, nach denen es sich vorzüglich marschierte.

      »Du kannst mir mal für'n Sechser ...«

      Das war ein beliebter Marsch, aber wir sangen auch ernstere, oft sehr hübsche Lieder. So ein kleines Volkslied mit einer treuherzigen Melodie:

      In einem Dörflein klein

      Da wohnt das Mädchen mein.

      Sie war so süß. Sie war so süß.

      Bei ihrem Hochzeitstanz,

      Da