Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

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Название Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)
Автор произведения Joachim Ringelnatz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027203697



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bunt durcheinander und fühlte mich sehr abgespannt. Am liebsten hätte ich erst ein paar Brote verschlungen, aber ich schämte mich, den Eindruck zu erwecken, als ob ich an Land hätte hungern müssen. So aß ich gar nichts, sondern ging mit Hermann an die Arbeit. Die Erzählung meiner Erlebnisse in Belize fand nur wenig Glauben. August meinte, ich solle ihm doch nicht so einen dummen Bären aufbinden.

      Steuermann war zunächst zu meiner Verwunderung ziemlich ruhig. Wahrscheinlich fühlte er, daß ich mich nicht mehr vor ihm fürchtete.

      »Wie konntest du nur so etwas machen? Weißt du auch, daß dich das die ganze Heuer kostet?« sagte er. »Vielleicht muß sogar dein Vater noch etwas dazubezahlen.«

      »Nun, dann fahre ich lieber so lange, bis ich soviel verdient habe.«

      »Ja, wenn der Alte dich behält!« Ich mußte lachen. Als ob mir daran etwas gelegen wäre!

      Von meinen Sachen fand ich nichts mehr im Logis vor. Da man mir sagte, daß der Steuermann dieselben konfisziert habe, bat ich ihn, sie mir herauszugeben. Ich erhielt aber nur meine Matratze, eine Hose, ein Hemd und Briefschaften. Alles andere behielt der Steuermann, »damit ich nicht wieder ausreißen könne«, eine Sicherheitsmaßregel, die gesetzlich erlaubt wäre. Die Matrosen hatten sich sofort nach meiner Flucht verschiedenes von meinem Eigentum angeeignet. Hermann und einige andere Ehrliche gaben mir das nun zurück. Aber es fehlte noch vielerlei. Ich war damals so grenzenlos liederlich, daß ich selbst nicht einmal genau sagen konnte, was mir gehörte.

      In der nächsten Zeit hatte ich sehr unter dem Spott der anderen zu leiden. Der Kapitän und die Matrosen zogen mich fortwährend auf. August nannte mich nur noch den »Störtebeker« oder den »Yukatandurchkreuzer«, und Jahn meinte, das hätte ich nun davon, daß ich die Reise ganz umsonst mache.

      Eines Morgens verließ das Papenburger Segelschiff Belize. Kapitän Pommer rief uns alle auf das Hinterdeck. Dann schwenkte er seinen breiten Schlapphut und rief mit Bärenstimme über das Wasser: »Noch eins zum Abschied, hipp hipp hurra!«

      »Hipp hipp hurra!« brüllten wir andern dreimal mit, und »Hipp hipp hurra!« erscholl die Antwort von drüben. Wir winkten, bis das Schiff unseren Blicken entschwand.

      Ich wußte jetzt, wie es gekommen, daß mich die englische Polizei erwischt hatte. Kapitän Pommer hatte einen Preis auf meine Ergreifung ausgesetzt, und daraufhin hatte mich ein Gelber, der früher auf der »Elli« gearbeitet und der mich an dem verhängnisvollen Tag am Hafen erkannt hatte, bei einem Kriminalbeamten angezeigt.

      Diesen Menschen bekam ich bald nachher einmal an Bord der »Elli« zu Gesicht. Kapitän Pommer schimpfte gerade furchtbar auf ihn, weil das Farbholz, das er gebracht hatte, ganz naß war, und ich warf ihm einen Blick zu, daß mir die Augen schmerzten. Aber der Kerl schmunzelte übers ganze Gesicht.

      Ich mußte mir auch gefallen lassen, daß die schwarzen Kerle und ihre Kinder mich verhöhnten, etwa mich gelegentlich fragten, ob ich nicht bald auf den Mexikaner ginge oder wie es mir an Land gefallen habe.

      Einmal sah ich auch von der Back aus das Boot des Mexikaners vorüberfahren und erkannte den Zimmermann darin. Da kam ein sehnsüchtiges Gefühl über mich.

      Ich versuchte auch noch einmal, die Flügel zu heben. Als das Boot von Land zurückkehrend dicht an unserem Heck vorüberkam, rief ich den Matrosen zu, sie möchten vorn am Klüverbaum anlegen und mich übernehmen. Sie hatten aber keine Lust oder keine Courage, und auch die zwei Dollar, die ich ihnen für diesen Dienst anbot, wirkten nicht. Vielleicht verstanden sie mich auch nicht. Jedenfalls fuhren sie weiter. Mittlerweile waren Leichterboote längsseits gekommen, und wir luden wieder Blauholz ein. Ich mußte von früh bis abends auf der Stelling stehen und die schweren Klötze hochreichen. Diese Arbeit ging wie ein Uhrwerk gleichmäßig vor sich, und die einzelnen Räder dieses Uhrwerks wurden nicht geschont. Die schweren, splitterigen Holzklötze wogen vielleicht 150 bis 250 Pfund durchschnittlich. Damit den ganzen Tag herumzuhantieren, wahrhaftig, das war harte Arbeit, die selbst den Stärksten unter uns, wie Gustav und Jahn, oft unerträglich vorkam. Ich stand auf der untersten Stelling mit Gustav. Der verhältnismäßig gutmütige Memelsmann nahm wenigstens Rücksicht, wenn ich einmal eine Sekunde einhalten mußte. Manchmal nahm er mit seinen gigantischen Tatzen ein großes Stück Blauholz ganz allein und reichte es nach oben, so daß die Neger staunten. Ich hatte eine Wunde am Fuß und mußte deshalb barfuß gehen. Ein stämmiger junger Neger, der mir das Holz heraufreichte, vergnügte sich dabei mit dem Versuch, mir die Holzstücke auf die Füße zu werfen. Es wimmelte in dem Holz von Skorpionen. Einmal fiel auch eine lange, smaragdgrüne Schlange an Deck, die von den Matrosen aufgespießt und über Bord geworfen wurde. Die Neger hatten große Angst vor Skorpionen und erzählten, daß eine Stunde nach dem Biß eines solchen Tieres der Tod eintrete Ich hatte einen Skorpion mit der Mütze gefaßt, um ihn lebend mitzunehmen, aber die Matrosen duldeten das nicht und machten das »giftige Viehzeug« tot.

      Die Arbeit wurde besonders durch die drückende Hitze erschwert. Als einzige Erfrischung hatte man uns einige Eimer mit Hafergrützwasser hingestellt. Das war für einen Moment wohltuend, aber es nahm uns die Kraft. Als ich einmal sehr viel davon getrunken hatte, fing ich an zu taumeln und wäre sicher umgesunken, wenn ich nicht, durch die höhnischen Reden des Steuermannes angefeuert, alle Energie zusammengenommen hatte. Wir Schiffsjungen hatten natürlich mehr als andere zu arbeiten. Abends nach Ausscheiden, wenn die anderen zur Koje gingen, mußten Napoleon und ich noch Deck fegen. Ich hatte dabei teils aus Müdigkeit, teils weil ich Napoleon etwas fragen wollte, einen Moment mit Fegen eingehalten. Sofort kam der Steuermann auf mich zugestürzt und schlug mich erst mit der Faust und dann mit einem an Deck liegenden Tauende ins Gesicht. Zum Abendbrot schien er das wieder zu bereuen, denn er rief mich zur »Besanschoote«, worunter wir einen Schnaps verstanden. »Nach der Auffrischung sollst du auch eine kleine Vertröstung haben.«

      »Nein«, erwiderte ich ablehnend, »ich sage das dem Konsul.«

      »Zum Konsul willst du? Allright!«

      Ich fühlte mich einige Tage ganz krank. Mein Kopf war heiß, und dabei fror ich sogar zu Mittag in der Gluthitze. Ich wagte nicht das zu sagen, da ich sonst noch obendrein Spott und Hohn gefunden hatte, aber es kostete mich verzweifelte Anstrengung, in diesem Zustand die harte Arbeit zu verrichten. Am Sonntag, dem 28. Juni, schrieb ich den letzten Brief von Belize nach der Heimat. Dann erbat ich mir vom Steuermann meine Sachen, um sie zu waschen, mußte sie dann aber wieder abliefern.

      Unter Augusts Roheit und Gemeinheit hatte ich sehr zu leiden. Er fiel aber auch den andern zur Last durch seine oft haarsträubenden Aufschneidereien.

      »Das kann ich euch sagen, wißt ihr, – –« leitete er seine langen Reden gewöhnlich ein, bei denen das Ende stets dem Anfang widersprach. »Auf dem Schiff, da gab's Arbeit. Da waren Leute unter uns, die mit zwanzig Jahren aschgraues Haar hatten. Aber wir waren Kerle. Wir verstanden uns zu drücken. Manchmal rührten wir vierzehn Tage lang keinen Finger – –« In dieser Art langweilte er uns stundenlang.

      Außer dem Blauholz erhielten wir jetzt mächtige Mahagoni- und Zedernstämme, die mit einer Handwinde an Bord geleiert werden mußten. Auch in diesem Holz fanden wir eine Menge Skorpione, sowie eine große, rote Kakerlakenart, einmal auch eine Tarantel. Von alledem konnte ich aber nur einen Skorpion unbemerkt in meinem Taschentuch fangen, den ich in Kognak aufbewahrte. Den Kognak verschaffte mir Napoleon. Er verhalf mir überhaupt in dankbarer Weise zu manchem, wie ich früher ihm.

      Eines Tages gewahrte ich, ins Logis tretend, einen nackten Neger in meiner Koje damit beschäftigt, sich mit meiner Nagelschere eine Warze von der Nase zu schneiden. Dabei sang er höchst fidel: »Du bis errückt, mei Kind.« »That is Kapitänssong für Schnaps!« sagte er bei meinem Eintritt, ohne sich in seiner Tätigkeit stören zu lassen. Er meinte damit, daß er das dem Kapitän öfters vorsinge und dafür einen Schnaps von ihm erhielte.

      Am Abend, als wir gerade beim Schaffen saßen, kam August stockbetrunken vom Land zurück, eine ungeheure Wassermelone im Arm, die er mehrmals fallen ließ. Während er die Frucht an unserem Tisch zerschnitt und aufaß, knüpfte er in seiner gewohnten ernsten Tonart irgendeine fabelhafte Geschichte daran. Als ich dabei an einer Stelle das Lachen nicht verbergen konnte, warf er mir wütend einen Teller an den Kopf. Nun sprang