Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

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Название Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)
Автор произведения Joachim Ringelnatz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027203697



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hob's von ihrem Fuß

      Und bat um einen Kuß.

      »Ich küsse nicht«, sprach sie, »ich küsse nicht.«

      Doch als der greise Held

      Uns alle rief ins Feld,

      Da schlang sie ihren Arm

      Mir um das Herz so warm.

      »Ich küsse dich«, sprach sie, »ich küsse dich!«

      Ich beobachtete eine sehr hübsche Naturerscheinung, nämlich eine große, rundliche Wolke in den Farben des Regenbogens.

      Das Krokodil lebte noch immer vergnügt, wenn auch fast regungslos, am Strick. Der Ameisenbär, den wir einsperren mußten, war wieder eines Tages ausgebrochen, hatte auf der Jagd nach Kakerlaken Kochs Koje schrecklich verwüstet, einen Lampenzylinder zerschlagen und die Sonnenvögel in Angst versetzt. Napoleon griff schließlich das wilde Tier mit einem Strohsack an, worauf es in die Takelage entfloh.

      Es war uns zum erstenmal geglückt, einen Delphin zu fangen, und zwar in der Weise, daß wir eine etwa 30 m lange Angelschnur achter nachschleppten. An dem Haken war nur ein weißes Leinwandläppchen als Köder befestigt. Der Fisch hatte angebissen. Drei Mann hoch mußten wir ihn an Bord ziehen. Er peitschte mit dem Schwanz wild das Wasser. Seine Farbe war goldgelb, fast wie Messing. Die Flossen und eine Reihe Punkte an seinem Leib schillerten tiefblau. Um ihn zu töten, mußte einer von uns auf die Schwanzflosse treten, während ich ihn mehrmals mit einer Handspake auf den Kopf schlug. Als wir ihn ausnahmen, veränderte er seine Farbe wie ein Chamäleon bis zum herrlichsten Smaragdgrün. Ich rettete mir die Schwanzflosse und legte sie mit Schmieröl eingerieben zum Trocknen auf das Achterdeck. Diese Art der Konservierung bewährte sich aber schlecht, denn ich fand den Fischschwanz einige Tage später halb verwest vor.

      Das Delphinfleisch wurde für die Kajüte in Butter, für uns in Margarine gebraten. An beiden Orten schmeckte es köstlich. Am Sonnabend, dem 10. August, kam die Südwestseite von Havanna in Sicht. Wir fingen drei Delphine und eine Horsmakrele, die etwa 80 cm lang war.

      Feine Brise hatte eingesetzt, so daß wir mitunter bis 71/2 Knoten in der Stunde liefen. Oh, wie froh war ich und waren wir alle darüber, denn um so früher würden wir nach Liverpool kommen. Die Maden im Biskuit vermehrten sich erstaunlich und wetteiferten in dieser Beziehung mit Spinnen und Ameisen. Dabei quälte uns Jahn zu Mittag noch immer mit seinen Ausführungen über gebratenes Geflügel. Irgendein anderer, der im Besitz eines Abreißkalenders war, pflegte bei dieser Gelegenheit das tägliche Sprüchlein mit dem anschließenden Speiseprogramm vorzutragen:

      Friede ernährt, Unfriede verzehrt. Kartoffelsuppe, Henne mit Reis.

      Einmal erlegten wir sogar einen Schweinsfisch mit der Harpune. Der lieferte uns für zwei Tage ausgezeichnetes Fleisch.

      Steuermann hatte mich wieder seit einiger Zeit besonders ins Herz geschlossen. Er schimpfte auf mich, warf mit allen möglichen harten Gegenständen nach mir und forderte die Matrosen auf, mich zu schlagen, »daß ich in keinen Sarg mehr passe«. Mit Ausnahme Augusts ließen sich jedoch die Matrosen dadurch nicht beeinflussen. Im Gegenteil, das machte den Steuermann bei einigen noch unbeliebter, als er schon war. Willy haßte ihn wie die Sünde, obgleich er ein Verwandter von ihm war. Es war sicher, daß es zwischen den beiden einmal zu einer tüchtigen Auseinandersetzung kommen würde. Nur August nahm sich Steuermanns Worte sehr zu Herzen. Einmal ließ er mich vier Stunden lang bei schlechtem Wetter auf Ausguck stehen und legte sich zum Schlafen nieder, statt mich nach der zweiten Stunde ordnungsgemäß abzulösen. Die Fälle, daß er mich zu Arbeiten zwang, die eigentlich ihm zukamen, mehrten sich mit der Zeit, so daß ich sehr erbittert wurde. Ich mußte das aber dulden, weil er den Steuermann auf seiner Seite hatte.

      Am 15. August ließ man mich acht Stunden hintereinander am Ruder stehen, nachdem man mir kaum Zeit gelassen, mein Abendbrot hinunterzuschlingen. Wir liefen sieben Meilen in der Stunde, machten also schnelle Fahrt.

      Ein Dreimaster hatte uns trotzdem überholt. Er fuhr in größerer Entfernung an uns vorbei, so daß man ihn ohne Glas nicht genau erkennen konnte. Vielleicht war es der Mexikaner, mein verlorenes Glück! Ich schlief jetzt nachts meistens an Deck, da ich im Logis vor der Katze nicht sicher war, die mich schon mehrmals nachts in die Nase gebissen oder gekratzt hatte.

      Kapitän Pommer hatte seine Papageien durch stundenlanges, geduldiges Vorsingen so weit erzogen, daß sie »Hepp, hepp, hurra!« rufen konnten. Sie taten das auch unaufhörlich und ehrten jeden, der am Bauer vorüberging, mit dieser Ovation.

      Dem Angelsport widmete ich mich jeden Abend mit Eifer. Außer einer Unmenge Seegras bissen auch manchmal Sauger an, schmale Fische mit abgeplatteten, gerieften Köpfen. Ich präparierte die Tiere, indem ich die Eingeweide herausnahm, den Leib mit Pfeifentabak ausstopfte, dann mit Zwirn zunähte und zum Trocknen auf die Kombüse legte. Sie wurden von den Matrosen aus Unverstand oder Böswilligkeit über Bord geworfen. Zu tun hatten wir immer. Die Ankerketten mußten umschäkelt werden, damit sie bei etwaigem Sturm nicht durcheinander geworfen wurden. Außerdem gab's immer zu waschen, scheuern, kratzen, schrubben, putzen, malen, schmieren, klopfen und so weiter.

      Gustav, der Kraftmensch, wurde hauptsächlich zu Zimmermannsarbeiten herangezogen, die er sehr geschickt und solid ausführte.

      Vom 17. an flaute der Wind ab. – Es war in letzter Zeit häufig vorgekommen, daß Zucker und Brot auf nicht aufgeklärte Weise abhanden kam, und jede Wache hatte die andere deshalb verdächtigt. Diese Nahrungsmittel wurden daher jetzt den Wachen besonders zugeteilt.

      Mein äußerer Mensch war recht heruntergekommen. Zum Waschen fehlte es abwechselnd oder gleichzeitig an Wasser, Zeit und Lust. Das Kernersche Zeug taugte wirklich nichts und ging an allen Stellen entzwei.

      Ich sah wie ein Bummler aus. Dagegen hielt ich jetzt meine Koje höchst sauber. Ich hatte verschiedene Borde und Taschen zur Aufbewahrung meiner Habseligkeiten darin angebracht, und es machte mir Freude, den kleinen Bretterverschlag, den einzigen Raum, über den ich allein verfügte, in guter Ordnung zu erhalten.

      Eines Tages, als ich dem Steuermann bei irgendeiner Arbeit in der Kajüte behilflich war, rief plötzlich Napoleon von oben durch das Skylight herunter: »Stürmann, Schwein has eaten the head of Krokodil. Come up and box him.« Wir lachten sehr, und es stellte sich heraus, daß der Ameisenbär dem Krokodil den Kopf abgebissen hatte. Steuermann schlich abends nach vom, um Jahn auf dem Ausguckposten zu kontrollieren, und traf ihn im tiefsten Schlummer. Anstatt ihn nun aufzuwecken und zur Rede zu stellen, versetzte er dem Schlafenden ein paar Faustschläge ins Gesicht, worauf er sich entfernte. Jahn hatte ihn jedoch noch erkannt. Seit dem Tage bestand zwischen den beiden eine bedenkliche Spannung. Napoleon und ich erhielten fast täglich vom Steuermann Schläge. Ich nahm mir vor, sowie erst wieder Land in Sicht käme, mir das nicht mehr gefallen zu lassen, aber allerdings bis dahin war es noch lange Zeit. Ach, ich konnte den Tag nicht erwarten, an dem ich das Schiff verlassen würde, ich sehnte mich unendlich nach Freiheit. Selbst im Schlaf empfand ich das Drückende meiner Lage, und häufig stand ich des Nachts auf, um meine quälenden Gedanken an Deck unterm freien Sternhimmel loszuwerden. Dann schüttelten diejenigen, die Wache hatten, die Köpfe vor Verwunderung darüber, daß jemand die wenigen Stunden Schlaf nicht ausnutzte.

      Die »Elli« mußte ein Leck haben, denn wir hatten immer viel Wasser im Schiff, so daß wir gezwungen waren, bei jedem Wachwechsel eine Viertelstunde lang zu pumpen.

      Auf unserem Küchenzettel standen Horsmakrelen, deren wir täglich eine Menge fingen. In der Art, wie Koch sie in Margarine briet, wurden sie uns jedoch bald zuwider. Wenn ich am Ruder stand, geschah es oft, daß der Alte sich neben mich stellte und in seiner halb gutmütig-naiven, halb ironischen Art Fragen an mich richtete oder über meine Nichtsnutzigkeit predigte. Dabei pflegte er immer wieder mein Tagebuch zu zitieren.

      Wir hatten unter der Back einmal gründlich aufgeräumt.

      Wir setzten das ausgeräumte Logis unter Wasser und feierten mit Schrubbern, Besen, Soda, Seife, Sand, Lappen und Bürsten eine wahre Scheuerorgie. Auf meiner Freiwache am Abend hielt mich August durch spannende Schilderungen von Kronwaljagden noch lange wach. Es war schade und