Название | Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen |
---|---|
Автор произведения | Emile Zola |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075835802 |
An dem Tage, an dem der Geflügelhändler Florent seinen Freunden vorstellte, fanden sie bei ihrem Eintritt in das Extrazimmer daselbst nur einen Herrn von etwa fünfzig Jahren, mit nachdenklicher, ruhiger Miene, mit einem Hut von zweifelhafter Güte und einem kastanienfarbenen Überrocke. Er saß vor einem vollen Bierschoppen, das Kinn auf den Elfenbeinknopf seines Rohrstockes gestützt; sein Gesicht war von einem großen, dichten Barte bedeckt, in dem sich der Mund völlig verlor.
Wie geht's, Robine? fragte ihn Gavard.
Robine streckte stumm die Hand zum Gruße vor, und ein verschwommenes Lächeln gestaltete den Ausdruck seines Gesichtes noch milder; dann stützte er das Kinn wieder auf den Knopf seines Stockes und betrachtete Florent über den Schoppen hinweg. Dieser hatte Gavard schwören lassen, daß er nichts von seiner Geschichte erzählen werde, um alle gefährlichen Fragen zu vermeiden; es mißfiel ihm nicht, einiges Mißtrauen in der vorsichtigen Haltung dieses bärtigen Herrn zu sehen. Allein er täuschte sich. Robine war stets so wortkarg. Er kam stets als erster, Schlag acht Uhr, setzte sich in dieselbe Ecke, ohne den Stock aus der Hand zu geben, ohne Hut und Überrock abzulegen. Noch niemand hatte Robine unbedeckten Hauptes gesehen. Da saß er, den anderen zuhörend, bis Mitternacht; er brauchte vier Stunden, um seinen Schoppen zu leeren, betrachtete nacheinander die Sprechenden, als ob er mit den Augen zugehört habe. Als Florent später Gavard über Robine befragte, schien der Geflügelhändler ihn sehr hoch zu stellen; es sei ein sehr kluger Mann; ohne sagen zu können, wo er Beweise davon geliefert, gab er ihn für einen der gefürchtetsten Widersacher der Regierung aus. Er hatte in der Dionysiusstraße eine Wohnung inne, die niemand betreten durfte. Der Geflügelhändler erzählte jedoch, er sei einmal dort gewesen; die mit Wachs eingelassenen Dielen seien mit Decken von grüner Leinwand belegt, die Möbel seien durch Hüllen geschützt; auf dem Kamin stehe eine Uhr mit Alabastersäulen. Frau Robine, die er von rückwärts, zwischen zwei Türen gesehen zu haben glaubte, mußte eine sehr vornehme Dame sein, die englische Löckchen trug. Letzteres konnte er allerdings nicht mit Bestimmtheit behaupten. Man wußte nicht, weshalb das Ehepaar Robine in diesem geräuschvollen Geschäftsviertel wohnte; der Mann tat absolut nichts, verbrachte seine Tage man wußte nicht wo, lebte man wußte nicht wovon und erschien jeden Abend gleichsam ermüdet und entzückt von einem Ausfluge auf die Höhen der großen Politik.
Nun, haben Sie die Thronrede gelesen? fragte Gavard, indem er nach einem auf dem Tische liegenden Zeitungsblatte griff.
Robine zuckte mit den Achseln. Jetzt erzitterte die Glastür des Verschlages und ein Buckeliger erschien. Florent erkannte den höckerigen Ausrufer; er hatte jetzt gewaschene Hände, war sauber gekleidet und trug ein großes rotes Halstuch, von dem ein Ende auf seinen Höcker niederhing wie der Zipfel eines Radmantels.
Ah, Logre ist da! rief der Geflügelhändler. Er wird uns sagen, was er von der Thronrede hält. Allein Logre war wütend. Als er seinen Hut und sein Halstuch aufhängte, riß er schier den Rechen herunter. Er setzte sich heftig, schlug mit der Faust auf den Tisch, warf das Zeitungsblatt weg und sagte:
Lese ich denn ihre verdammten Lügen?
Dann brach er los.
Hat man jemals Dienstherren gesehen, die ihre Leute so zum besten halten? Seit zwei Stunden warte ich auf meine Bezahlung. Wir waren unser zehn im Büro. Da hieß es aber: sich aufs Warten verstehen ... Endlich kam Herr Mamoury im Wagen an, sicherlich von irgendeiner Dirne. Diese Geschäftsführer stehlen und schlemmen ... Der S.....l hat mir mein ganzes Geld in kleiner Münze gegeben.
Robine nahm die Klage Logres mit einer leichten Bewegung der Augenlider auf. Der Bucklige fand plötzlich ein Opfer.
Rose! Rose! rief er sich hinausneigend.
Als das Mädchen vor ihm stand, schrie er:
Was schauen Sie mich denn an? Warum bringen Sie mir nicht meinen Mazagran? Kaffee mit Likör.
Gavard bestellte gleichfalls zwei Mazagrans. Rose beeilte sich, die drei Mazagrans zu bringen, immer von den strengen Blicken Logres verfolgt, der die Gläser und die Zuckertäßchen zu prüfen schien. Er trank einen Schluck und besänftigte sich allmählich.
Charvet wird wohl auch mit seiner Geduld zu Ende sein, sagte er nach einer Weile. Er wartet draußen auf Clémence.
Doch schon trat Charvet ein, gefolgt von Clémence. Es war ein großer, knochiger, sorgfältig rasierter Mensch mit schmaler Nase und dünnen Lippen, der in der Vavin-Straße hinter dem Luxemburggarten wohnte. Er gab sich für einen freien Lehrer aus; in der Politik war er Hébertist. Mit seinen langen, rundgeschnittenen Haaren, mit dem weit zurückgeschlagenen Aufschlag seines stark abgetragenen Rockes hielt er viel auf Anstand und gute Sitte und gebrauchte dabei eine Flut von herben Worten und bekundete eine so seltsam stolze Bildung, daß er seine Widersacher gewöhnlich vernichtete. Gavard fürchtete ihn, ohne es zu gestehen. Wenn Charvet nicht dabei war, erklärte er, jener gehe wirklich zu weit. Robine stimmte mit einem Zucken seiner Augenlider allem zu. Logre allein hielt in der Lohnfrage Charvet zuweilen stand. Nichtsdestoweniger blieb Charvet der Despot der Gruppe, weil er der gebieterischste und gebildetste war. Seit mehr als zehn Jahren lebten er und Clémence in ehelicher Gemeinschaft zu genau festgestellten Bedingungen nach einem Vertrage, der von beiden Seiten streng beobachtet wurde. Florent, der die junge Frau mit einigem Erstaunen betrachtete, erinnerte sich endlich, wo er sie gesehen; es war die große Brünette, die in der Markthalle die Tabelle führte, mit lang gestreckten Fingern schreibend, wie ein Fräulein, das Unterricht genossen hat.
Rose folgte den beiden zuletzt Angekommenen auf dem Fuße; sie stellte wortlos einen Schoppen vor Charvet hin und eine Platte vor Clémence, die mit vielem Ernste daran ging, einen Grog zu bereiten, indem sie heißes Wasser auf den Zitronensaft goß, den sie mit einem Löffel zerrieb, dann Zucker und Rum dazu tat, wobei sie genau acht gab, nicht mehr als ein Gläschen voll aus der Flasche zu schütten. Gavard stellte jetzt Florent den Herren vor, besonders Herrn Charvet. Er machte sie miteinander bekannt wie zwei Lehrer, zwei sehr tüchtige Männer, die sich gewiß trefflich verständigen würden. Aber es war augenscheinlich, daß er schon im voraus geschwatzt hatte, denn alle reichten sich die Hände, wobei sie nach Art der Freimaurer einander die Finger fest drückten. Charvet war seinerseits sehr liebenswürdig. Man vermied übrigens jede Anspielung.
Hat Mamoury Sie in kleiner Münze bezahlt? fragte Logre Clémence.
Sie antwortete ja und zog Rollen von Ein- und Zweifrankenstücken hervor, die sie entfaltete. Charvet sah ihr zu und folgte mit den Blicken den Geldrollen, die sie nacheinander wieder einsackte, nachdem sie ihren Inhalt geprüft.
Wir rechnen, sagte er halblaut.
Gewiß, heute abend, flüsterte sie. Es hebt sich gegenseitig auf. Ich habe viermal mit dir gefrühstückt, nicht wahr? Dagegen habe ich dir vorige Woche hundert Sous geliehen.
Florent war erstaunt, dies zu hören und wandte den Kopf weg, um nicht neugierig zu scheinen. Als Clémence die letzte Geldrolle eingesteckt hatte, trank sie einen Schluck Grog, lehnte sich an die Glaswand und hörte ruhig den Männern zu, die von Politik redeten. Gavard hatte das Zeitungsblatt wieder zur Hand genommen und las mit einer Stimme, der er eine komische Farbe zu leihen bemüht war, einzelne Bruchstücke der Thronrede, mit der der Kaiser am Morgen desselben Tages die Kammern eröffnet hatte. Mit diesen offiziellen Redensarten hatte Charvet leichtes Spiel; nicht eine Zeile ließ er bestehen. Eine Redensart ergötzte die Gesellschaft ganz besonders. »Wir haben das Vertrauen, meine Herren, daß es uns, gestützt auf Ihre Weisheit und auf den konservativen Sinn des Landes, gelingen wird, von Tag zu Tag die allgemeine Wohlfahrt zu heben.« Logre deklamierte stehend diese Worte und ahmte die schleimige Stimme des Kaisers sehr gut durch die Nase nach.
Eine saubere Wohlfahrt, bemerkte Charvet; alle Welt verhungert.
Die Geschäfte gehen sehr schlecht, versicherte Gavard.
Was ist denn das: »ein Herr, der sich auf Weisheit stützt?« – fragte Clémence, die sich gern auf die Literaturfreundin ausspielte.
Robine ließ