Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Название Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075835802



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schöne Normännin hatte mit einem Griff den Fisch ausgeweidet und die Abfälle in den Kübel geworfen. Sie fuhr mit einem Zipfel ihrer Schürze unter die Kiemen, um einige Sandkörner wegzuwischen, dann legte sie den Fisch in den Korb der Auvergnatin und sagte:

      Da, mein schönes Kind; Sie werden mich loben.

      Allein nach einer Viertelstunde kam die Magd wieder gelaufen. Sie war ganz rot, denn sie hatte geweint, und ihre ganze kleine Person zitterte vor Zorn. Sie warf den Steinbutt auf den Tisch und zeigte einen breiten Riß an der Bauchseite, der bis zu den Gräten reichte. Aus ihrer durch das Schluchzen zusammengepreßten Kehle sprudelte eine Flut abgehackter Worte hervor.

      Frau Taboureau will den Fisch nicht. Sie sagt, sie könne ihn nicht auf den Tisch bringen. Und sie hat mir wieder gesagt, ich sei eine Gans und ließe mich von aller Welt bestehlen. Sie sehen ja, daß der Fisch ganz zerschunden ist. Ich habe ihn nicht umgekehrt, weil ich Vertrauen hatte ... Geben Sie mir meine zehn Franken zurück.

      Man sieht sich die Ware an, antwortete ruhig die schöne Normännin.

      Als die andere nun noch lauter ihr Geld zurückforderte, erhob sich auch Frau Méhudin.

      Lassen Sie uns in Frieden, hören Sie! Man nimmt einen Fisch nicht zurück, der bei den Leuten herumgelegen. Kann man wissen, wo Sie ihn fallen ließen, daß er in einen solchen Zustand geraten?

      Ich? Ich?

      Die Kleine drohte zu ersticken. Dann brach sie in ein Schluchzen aus und rief:

      Ihr seid zwei Diebinnen! Frau Taboureau hatte es mir wohl gesagt!

      Was nun folgte, war fürchterlich. Mutter und Tochter machten mit erhobenen Fäusten ihrem Zorne Luft. Die kleine, erschreckte Magd, ein Spielball zwischen der Alten mit ihrer heiseren Stimme und der Jungen mit der Pickelflötenstimme, weinte noch heftiger.

      Fahr' ab! Deine Frau Taboureau ist weniger frisch, als dieser Fisch; man müßte sie ausflicken, um sie jemandem vorzusetzen.

      Einen ganzen Fisch für zehn Franken! ... Danke schön; das gibt's bei mir nicht!

      Und was kosten denn deine Ohrgehänge? Man sieht wohl, daß du sie auf dem Rücken verdienst.

      Ei freilich; sie macht des Abends einen kleinen Spaziergang auf dem Bürgersteig.

      Florent, vom Marktwächter herbei geholt, kam hinzu, als der Streit am schlimmsten wütete. Der ganze Pavillon war in hellem Aufruhr. Die Fischweiber, die einander vor Neid verschlingen möchten, wenn es sich darum handelt, einen Hering für zwei Sous zu verkaufen, verständigen sich vortrefflich, wenn es gilt, eine Käuferin zu bekämpfen. Sie sangen: »Die Bäckerin hat Taler viel, doch tut sie nichts dafür ...«; sie stampften mit den Füßen, reizten die Méhudin noch mehr auf; einige sprangen hervor, als wollten sie der kleinen Magd in die Haare fahren, die in dieser Flut von Beschimpfungen schier unterging.

      Geben Sie dem Mädchen die zehn Franken wieder, sagte Florent, als er von der Sachlage unterrichtet war.

      Doch die Mutter Méhudin war nun einmal im Zuge.

      Du, mein Kleiner, ich will dir eins pf....n! Da, so gebe ich die zehn Franken zurück!

      Und sie schleuderte den Fisch der Auvergnatin ins Angesicht, daß sogleich das Blut aus der Nase der Magd hervorquoll. Der Fisch fiel mit einem dumpfen Klatsch zu Boden. Diese Roheit brachte Florent außer sich. Die schöne Normännin wich erschreckt zurück, während er schrie:

      Ich weise Sie für acht Tage aus und werde Ihnen die Marktbefugnis entziehen lassen. Hören Sie?

      Als er hinter sich ein Gejohle hörte, wandte er sich mit so drohender Miene um, daß die eingeschüchterten Fischweiber ganz still wurden. Als die Méhudin die zehn Franken zurückgegeben hatten, gebot er ihnen, augenblicklich den Verkauf einzustellen. Die Alte erstickte schier vor Wut; die Tochter war bleich und stumm. Sie, die schöne Normännin, von ihrer Fischbank verjagt! Claire sagte mit ihrer ruhigen Stimme, daß ihr recht geschehen sei. Darob gerieten die beiden Schwestern des Abends, in ihrer Wohnung, einander in die Haare. Als nach Verlauf von acht Tagen die Méhudin wieder auf dem Markte erschienen, beobachteten sie eine ruhige, still grollende Haltung. Auch die anderen im Pavillon waren ruhig; die Ordnung war wieder eingekehrt. Die schöne Normännin nährte seit jenem Tage sicherlich furchtbare Rachegedanken. Sie merkte, daß der Schlag von der schönen Lisa komme; sie war ihr am Tage nach der Schlacht begegnet, und jene hatte den Kopf so hoch getragen, daß die Fischhändlerin sich im stillen schwor, die Metzgersfrau solle den triumphierenden Blick teuer bezahlen. Es gab in den Winkeln der Hallen endlose Beratungen mit Fräulein Saget, Madame Lecoeur und der Sarriette; allein nach all dem ungeheuerlichen Geträtsch über die Ausschweifungen Lisas mit dem Vetter und über die Haare, die man in den Würsten Quenus finde, fühlte die Fischhändlerin sich wenig erleichtert. Sie suchte nach etwas sehr Boshaftem, was ihre Feindin im Herzen treffen sollte.

      Ihr Kind wuchs auf dem Fischmarkte frei heran. Schon mit drei Jahren saß es mitten unter den Fischen. Es schlief brüderlich an der Seite der großen Tunfische und erwachte unter den Makrelen und Schellfischen. Der Balg roch so übel, als komme er aus dem Bauche eines großen Fisches. Sein Lieblingsspiel blieb lange, aus Heringen Mauern und Häuser aufzuführen, sobald seine Mutter ihm den Rücken zugewandt; er spielte auch Krieg auf dem blanken Auslagetische, indem er daselbst Seehähne aufreihte, sie gegeneinander stieß, ihre Köpfe zusammenschlug, mit dem Maul Trompete und Trommel nachahmte und schließlich die Fische in einen Haufen zusammenwarf, indem er sagte, sie seien tot. Später trieb er sich um seine Tante Claire herum, um die Blasen der Karpfen und Hechte zu bekommen, die sie ausweidete; er legte die Blasen zur Erde und trat mit dem Fuße darauf, daß sie platzten, was ihm eine ungeheure Freude machte. Mit sieben Jahren trieb er sich in den Gängen herum, kroch unter die Fischkästen, war der verhätschelte Laufbursch der Fischweiber. Wenn sie ihm irgendeinen neuen Gegenstand zeigten, der ihm gefiel, da legte er die Hände zusammen und stammelte entzückt: »Oh, das ist fein!« Und so war ihm der Name Feinchen geblieben; Feinchen hier, Feinchen dort. Alle riefen ihn heran. Man fand ihn überall, hinter den Ausrufpulten, in den Fischkörben, zwischen den Spülichtkübeln. Er war wie ein junger Bartfisch, rosig und weiß, munter und glatt, den man ins Wasser hat schlüpfen lassen. Er liebte auch das Wasser wie ein Fischlein. Er watete in den Lachen herum, ließ das Wasser von den Verkaufspulten sich auf den Kopf träufeln. Oft öffnete er verstohlen einen Wasserhahn und war glücklich, wenn er den Strahl plätschern hörte. Des Abends fand ihn seine Mutter zumeist bei den Brunnen oberhalb der Kellertreppe; mit blauen Händen, naß bis in die Schuhe und Taschen brachte sie ihn nach Hause.

      Mit sieben Jahren war Feinchen schön wie ein Engel und roh wie ein Kutscher. Er hatte krauses, kastanienbraunes Haar, schöne, sanfte Augen, einen fein gezeichneten Mund, aus dem Flüche und Lästerworte hervorkamen, die einen Gendarm erröten machen konnten. Im Unflat der Hallen heranwachsend, stammelte er den Katechismus der Fischweiber nach, stemmte eine Faust in die Hüfte und ahmte Mama Méhudin nach, wenn sie in Zorn war. Mit seiner silberhellen Stimme eines Chorknaben sagte er Worte wie die folgenden: »Nichtsnutz!« – »Metze!« »Geh' deinen Mann schneuzen!« »Was zahlt man dir für deine Haut?« Dabei ahmte er den schnarrenden Ton der Marktweiber nach und wälzte seine unschuldvolle Kindheit im Schlamme. Die Fischhändlerinnen lachten darüber, daß ihnen die Tränen über die Backen rannen. Dadurch ermutigt, redete der Knabe nicht zwei Worte mehr, ohne einen Fluch hinzuzufügen. Aber er blieb liebenswürdig, seiner Unflätigkeiten unbewußt, gesund erhalten durch den frischen Hauch und die starken Gerüche des Fischmarktes, seine schlüpfrigen Schmähungen mit entzückter Miene hersagend, als spreche er seine Gebete.

      Der Winter kam. Feinchen fror stark dieses Jahr. Gleich in den ersten kalten Tagen ward er von großer Neugierde für das Büro des Aufsehers ergriffen. Das Büro Florents lag an der linken Ecke des Pavillons nach der Seite der Rambuteau-Straße. Es war mit einem Tische, einem Kasten für die Schriftstücke, einem Sessel, zwei Stühlen und einem Ofen ausgestattet. Feinchen träumte nur von diesem Ofen. Florent liebte die Kinder. Wenn er das Kind mit den durchnäßten Füßen sah, wie es durch die Glastüre schaute, hieß er es eintreten. Die erste Unterredung mit Feinchen setzte ihn in großes Erstaunen. Das Kind hatte sich zum Ofen gesetzt und sagte mit seiner ruhigen Stimme: