Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Название Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075835802



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in dem Geräusche der Ausrufer; alle drei Sekunden sperrten sie die Mäuler weit auf, wie um die Feuchtigkeit der Luft zu trinken.

      Inzwischen hatte Herr Verlaque Florent zu den Seefischbänken zurückgeführt. Er geleitete ihn überall umher und gab ihm sehr verwickelte Erklärungen. An den drei inneren Seiten des Pavillons rings um die neun Tische standen sehr viele Leute, ein Gewühl von Köpfen, überragt von den Beamten, die auf hohen Sesseln saßen und in Registerbücher Eintragungen machten.

      Wie? fragte Florent, alle diese sind Beamte der Geschäftsführer?

      Herr Verlaque machte mit ihm auf dem Fußweg die Runde um den Pavillon und führte ihn in den Raum innerhalb der Einfriedung einer Ausruferbank. Er erklärte ihm die Einrichtung der Fischbehälter und des Personals an dem großen, gelb gestrichenen Pulte, das völlig bespritzt war und einen üblen Fischgeruch hatte. Ganz oben in einer mit Glaswänden versehenen Zelle, saß der Beamte der städtischen Abgaben und verzeichnete die Verkaufsziffern. Weiter unten saßen auf erhöhten Sesseln, die Fäuste auf schmale Pulte stützend, zwei Frauen, die für Rechnung des Geschäftsführers die Verkaufstabellen führten. Die Bank ist doppelt; auf jeder Seite stellte, an einem Ende des steinernen Tisches, der vor dem Pulte steht, der Ausrufer die Körbe hin und rief den Preis der Partien oder der einzelnen großen Stücke aus, während die unter ihm sitzende Inhaberin der Verkaufstabelle mit der Feder in der Hand wartete, bis die Partie einem Ersteher zugeschlagen war. Er zeigte ihm auch außerhalb der Einfriedung gegenüber in einer anderen, gelb gestrichenen Zelle die Kassiererin, eine alte, dicke Frau, die Stöße von Sous- und Fünffrankenstücken nebeneinander ordnete.

      Es gibt zwei Kontrollen, sagte er; die der Seineverwaltung und die der Polizeiverwaltung. Die letztere, die die Geschäftsführer ernennt, behauptet, daß sie diese zu überwachen habe. Die Stadtverwaltung ihrerseits entsendet ebenfalls einen Beamten, weil sie von den Verkäufen eine Abgabe einhebt.

      Mit seiner dünnen, kühlen Stimme schilderte er den ewigen Hader zwischen den zwei Verwaltungen. Florent hörte ihn kaum. Er sah die Tabellenführerin an, die ihm gegenüber auf einem der hohen Sessel saß. Es war ein großes, braunes Mädchen von dreißig Jahren mit großen, schwarzen Augen und sehr würdigem Aussehen; sie schrieb mit ausgestreckten Fingern wie ein Fräulein, das Unterricht genossen hat.

      Doch seine Aufmerksamkeit ward jetzt durch das Geschrei des Ausrufers abgelenkt, der einen prächtigen Steinbutt zur Versteigerung brachte.

      Dreißig Franken, wer kauft? rief er. Dreißig Franken!

      Er wiederholte diese Ziffer in allen Tonarten, eine seltsame Tonleiter voll überraschender Stimmkünste erklimmend. Er war höckerig, hatte ein verzogenes Gesicht, struppiges Haar und trug eine große, blaue Vollschürze. Mit ausgestrecktem Arm und funkensprühenden Augen schrie er: Einunddreißig! zweiunddreißig! dreiunddreißig! dreiunddreißig fünfzig! ... dreiunddreißig fünfzig! ...

      Er holte Atem, wies den Korb herum, schob ihn auf dem steinernen Tische bis an den Rand heran, während die Fischhändlerinnen sich vorneigten und den Steinbutt leicht mit dem Finger antippten. Dann begann er mit frischer Kraft zu schreien, warf jedem Mitbietenden mit einer Handbewegung eine Ziffer hin, fing den leisesten Wink auf, erhobene Finger, ein Zusammenziehen der Augenbrauen, ein Spitzen der Lippen, ein Blinzeln mit den Augen; und alles mit einer solchen Raschheit, einem so schnellen Hervorstoßen der Angebote, daß Florent, der ihm nicht zu folgen vermochte, ganz fassungslos dastand, als der Bucklige in singendem Tone, wie ein Kirchensänger, der einen Vers beschließt, sich vernehmen ließ:

      Zweiundvierzig Franken! ... zweiundvierzig Franken der Steinbutt! ...

      Die schöne Normännin hatte das letzte Gebot gemacht. Florent erkannte sie in der Reihe der Fischhändlerinnen, die an dem Eisengitter standen, das den Ausrufplatz umgab. Der Morgen war kühl; man sah da eine ganze Reihe von Pelzkragen, eine Schaustellung von großen, weißen Schürzen, die die Rundungen riesiger Bäuche, Brüste und Schultern bedeckten. Mit hochgestecktem, reichlich gekräuseltem Haarzopf und zarter, weißer Haut zeigte die schöne Normännin ihre breite Spitzenbusenschleife inmitten der sie umgebenden, mit Seidentüchern bedeckten Krausköpfe, roter Trinkernasen, unverschämt geschlitzter Mäuler, verwitterter Gesichter, die zerbrochenen Töpfen glichen. Auch sie erkannte den Vetter der Madame Quenu und war dermaßen überrascht, ihn hier zu sehen, daß sie darüber mit ihren Nachbarinnen zu zischeln begann.

      Der Lärm der Stimmen wuchs dermaßen an, daß Herr Verlaque auf seine Erläuterungen verzichten mußte. Auf den Quadern boten Männer die großen Fische zum Verkauf aus, mit langgedehnten Rufen, die aus riesigen Sprachrohren hervorzudringen schienen; besonders einer stieß sein: »Miesmuscheln! kauft Miesmuscheln!« mit einem heiseren Gebrüll hervor, daß die Dächer der Hallen davon erzitterten. Aus den umgestürzten Säcken rannen die Miesmuscheln in die Körbe; andere wurden mit der Schaufel geleert. In schier endloser Reihe zogen die Körbe vorüber, angefüllt mit Rochen, Seezungen, Makrelen, Meeraalen, Salmen, die von den Zahlmeistern herbei- und weggetragen wurden inmitten des wachsenden Getöses und des Gedränges der Fischhändlerinnen, die schier das Gitter eindrückten. Der bucklige Ausrufer fuchtelte feuereifrig mit den mageren Armen in der Luft und streckte die Kinnbacken vor. Schließlich stellte er sich noch auf einen Schemel, gleichsam gepeitscht durch die Ziffern, die er im Fluge hinausschrie, mit verzerrtem Mund, gesträubtem Haar, und seinem ausgetrockneten Schlunde nur mehr ein kaum verständliches Pfeifen entlockend. Oben saß der Beamte der städtischen Abgaben, ein kleiner Greis, völlig eingehüllt in einen Kragen von falschem Astrachan; man sah von ihm nichts als die Nase unter dem schwarzen Samtkäppchen. Die große, braune Tabellenführerin auf ihrem hohen, hölzernen Sessel schrieb gleichmütig, ruhigen Blickes, mit ihrem von der Kälte ein wenig geröteten Antlitz, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken, bei dem Ausrufen der krächzenden Stimme des Buckligen, die längs ihrer Röcke zu ihr empordrang.

      Dieser Logre ist herrlich, murmelte Herr Verlaque lächelnd. Es ist der beste Ausrufer auf dem Markte ... Er würde Stiefelsohlen für Seezungen verkaufen.

      Er kehrte mit Florent zu dem Pavillon zurück. Als sie wieder an der Ausruferbank der Süßwasserfische vorbeikamen, wo es weit stiller herging, machte Herr Verlaque die Bemerkung, der Handel mit Süßwasserfischen gehe abwärts, und die Flußfischerei in Frankreich habe schlimme Aussichten. Ein Ausrufer, blond, mit verschmitzter Miene, bot mit eintöniger Stimme ohne die mindeste Gebärde die Häufchen Aale und Krebse aus, während die Zahlmeister mit ihren kurzstieligen Netzen die Fische aus den Behältern holten.

      Um die Verkaufsstände sammelten sich immer mehr Menschen an. Herr Verlaque füllte sehr gewissenhaft seine Unterweiserrolle aus, bahnte sich mit Hilfe seiner Ellenbogen einen Weg durch die Menge und führte seinen Nachfolger herum, wo die Käufer am dichtesten standen. Die großen Händlerinnen warteten ruhig auf die schönen Stücke und beluden ihre Träger mit Tunfischen, Steinbutten, Salinen. Die Straßenverkäuferinnen saßen am Boden und teilten sich die Körbe voll Heringe und Schollen, die sie gemeinsam erstanden hatten. Es waren auch Bürger da, Rentiers aus fernen Stadtvierteln, die schon um vier Uhr morgens gekommen waren, um einen frischen Fisch zu kaufen und sich schließlich eine große Partie zuschlagen ließen, für vierzig bis fünfzig Franken Seefische, die sie dann an ihre Bekannten abließen, womit sie den ganzen Tag zubrachten. Von Zeit zu Zeit kam ein heftiger Stoß, der eine Bresche in die dichtgekeilte Menge legte. Eine Fischhändlerin, die eingezwängt war, machte sich mit erhobenen Fäusten und einer Flut von Schimpfworten Luft. Dann schlossen die Leute wieder enger zusammen, daß sie förmliche Mauern bildeten. Florent, dem in dem Gedränge schier der Atem verging, erklärte, er habe genug gesehen und alles begriffen.

      Als Herr Verlaque ihm behilflich war, aus dem Gewühl loszukommen, befanden die beiden sich plötzlich vor der schönen Normännin. Sie pflanzte sich einen Augenblick vor ihnen auf und sagte in ihrer hochfahrenden Art:

      Also ist's entschieden, Herr Verlaque, Sie verlassen uns?

      Ja, ja, erwiderte das Männlein. Ich will auf dem Lande in Clamart ausruhen. Der Fischgeruch ist mir abträglich ... Dieser Herr wird mich ersetzen.

      Er hatte sich umgewandt und zeigte auf Florent. Die schöne Normännin war sprachlos. Als Florent sich entfernte, glaubte er zu hören, wie sie einer ihrer Nachbarinnen kichernd zuflüsterte: