Manipuliert. Teri Terry

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Название Manipuliert
Автор произведения Teri Terry
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783649629078



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holt einen Campingkocher aus dem Karton, der scheppernd gegen das Metallregal stößt.

      Er verzieht das Gesicht, stellt den Kocher ab und reibt sich den Schädel. »Zu viel Bier. Aber wenigstens habe ich wie ein Toter geschlafen.« Aus seinem Mund klingt es, als wäre es ein begehrenswerter Zustand, den er gerne für immer herstellen wollte.

      »Wir brauchen einen Plan«, sage ich. »Oder zumindest ich brauche einen.«

      »Ja, aber ich brauche erst mal einen Tee.«

      Ich schnappe mir den Kocher und folge Bobby in die Küche. Dort riecht es furchtbar, Kühlschrank und Gefriertruhe sind voll mit verdorbenen Lebensmitteln. Seit wann ist der Strom ausgefallen? In den Schränken finden wir ein paar Dosen Bohnen, Cracker, Tee und H-Milch.

      Wir verschwinden schnell wieder aus der Küche. Bobby zündet den Kocher an, setzt Wasser auf und zaubert Becher sowie ein batteriebetriebenes Radio hervor.

      Er reicht mir den Apparat. »Versuch mal dein Glück, während ich die Hausfrau spiele.«

      Als ich das Radio anstelle, knistert es. Die Batterie hat nicht mehr viel Saft. Der Reihe nach gehe ich die programmierten Sender durch. Knistern. Rauschen. Nichts.

      Ich schaue Bobby an, trotz allem bin ich schockiert, dass die Radiosender nichts mehr ausstrahlen.

      »Richtig unheimlich«, meint Bobby. »Die gespeicherten Sender waren alles hiesige Musiksender. Vielleicht findest du noch etwas anderes.« Langsam drehe ich den Sendersuchknopf. Bobby stellt die Bohnen auf den Kocher und reicht mir einen Tee, endlich hört auch das Geknister auf und wir haben klaren Empfang. Bingo. Eine ruhige, ausgewogene Stimme ertönt – eine Frauenstimme, eine Nachrichtensprecherin der BBC, nur den Namen weiß ich nicht. Und das ist auch keine gewöhnliche Nachrichtensendung, doch ich brauche einen Moment, bevor die Bedeutung der Worte zu mir durchdringt.

      … Kontakt zu Ihren Mitmenschen. Wenn Sie erkranken, bleiben Sie, wo Sie sind. Suchen Sie keinesfalls ärztliche Hilfe auf. Die Ursache der Epidemie ist unbekannt, die Krankheit kann nicht behandelt werden. Sollten Sie versuchen, die Quarantänezone zu verlassen, ist mit Schusswaffengebrauch zu rechnen.

      Wenn Sie immun sind, melden Sie sich für Tests und verbindlichen Arbeitseinsatz bei den Behörden an der aktuellen Zonengrenze. Alle Überlebenden haben sich umgehend bei der Armee einzufinden. Sie stellen ein allgemeines Gesundheitsrisiko dar.

      Diese Nachricht wird nun wiederholt.

       Das ist eine automatische Nachricht für die Einwohner von Schottland und Nordengland. Schottland steht nördlich von Glasgow unter Quarantäne. Im Süden erstreckt sich die Quarantänezone östlich von der M74 und der A74 bis nach Penrith. Die Grenze verläuft entlang der A66 bis nach Darlington und Middlesborough. Vermeiden Sie den Kontakt zu Ihren Mitmenschen. Wenn Sie erkranken, bleiben Sie, wo Sie sind. Suchen Sie keinesfalls ärztliche Hilfe auf. Die Ursache der Epidemie ist unbekannt, die Krankheit kann nicht behandelt werden. Sollten Sie versuchen, die Quarantänezone zu verlassen, ist mit Schusswaffengebrauch zu rechnen …

      Mit zitternder Hand stellt Bobby den Apparat ab.

      Er sieht mich an. »Verdammte Scheiße«, sagt er.

      »Heißt das … alle Leute hier …« Ich bringe es nicht über die Lippen. Sind tot?

      »Klingt ganz danach. Was wollen wir jetzt machen?«

      »Die Wahrheit verbreiten. Sichergehen, dass alle …«

      »Alle, die noch übrig sind.«

      »Ja. Jedenfalls sollen die erfahren, was hinter der Krankheit steckt. Im Radio hieß es, die Ursache sei unbekannt. Shay hat ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um die Behörden darüber zu informieren. Und wenn dieser Teil der Nachricht nie weitergegeben wurde?«

      »Vielleicht ist die Radiobotschaft schon älter?«

      »Glaube ich nicht. Offenbar wissen sie jetzt ja, dass Überlebende Träger sind und ein öffentliches Gesundheitsrisiko darstellen. Das wüssten sie ohne Shay auch nicht.«

      »Und jetzt?«

      »Ich muss ins Internet. Dafür brauche ich Strom.«

      »Wir könnten zur Zonengrenze fahren, nach Glasgow vielleicht. Dazu wurden wir ja ohnehin aufgefordert.«

      »Ja. Soweit ich weiß, wurde Shay aus der Quarantänezone rausgebracht. Also muss ich sie auch außerhalb suchen.«

      »Abgemacht, dann fahren wir dahin.«

      »Ich fahre dahin. Ich habe dir noch nicht alles gesagt. Bevor du dich entscheidest mitzukommen, solltest du mehr erfahren.«

      »Schieß los.«

      Also erzähle ich Bobby vom Alternativen Spezial-Regiment. Dass die Soldaten versucht haben, Shay umzubringen und mich als Geisel zu nehmen. Dass wir beide in einem Mordfall gesucht werden und illegal die Quarantänezone verlassen haben.

      Bobby schaut mich konzentriert an. Nickt. »Klingt so, als bräuchtest du eine neue Identität. Und ich habe vorher auch noch was zu erledigen.«

      Bobby packt ein paar Sachen zusammen: Klamotten, Lieblingsfotos, Tablet und Handy, falls wir unterwegs irgendwo Empfang haben sollten. Wir nehmen den Sportwagen, weil der mehr Sprit im Tank hat, und fahren bei Bobbys Schwester vorbei.

      Die Schwester, ihr Mann und ihr Sohn sind zu Hause, für immer. Stumm und still.

      Im Garten errichten wir einen Scheiterhaufen.

      Was passiert bloß mit all den Häusern in der Quarantänezone? Überlässt man sie den Toten und ihren Geistern? Was geschieht mit den Leichen? Wenn sich niemand kümmert, bleiben bloß Verwesung und Verfall zurück.

      Wir tun, was getan werden muss.

      Danach werde ich zu Bobbys Neffen: John MacIver. Er ist siebzehn, ein Jahr jünger als ich. Da er noch nie einen Führerschein oder Pass hatte, gibt es hoffentlich auch nirgends ein offizielles Foto von ihm. In dem ganzen Tumult bekommt hoffentlich keiner mit, dass ich kein bisschen schottisch klinge.

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      An einem herrlichen Sommertag fahren wir durch Schottland. Die Straßen sind leer, jedenfalls ist dort nichts, was sich rührt, und Bobby fährt schnell, viel schneller als erlaubt. Manchmal muss er scharf bremsen und sich um Autos und Lkws herumschlängeln, die an der Straße stehen gelassen wurden, mal mit, mal ohne stumme Insassen. Einmal muss Kai sogar aussteigen, die Leiche vom Fahrersitz schieben und den Wagen zur Seite fahren.

      Trotz allem geht es mir so gut wie schon lange nicht mehr. Liegt bestimmt an der Sonne und daran, dass wir die Shetlandinseln immer weiter hinter uns lassen. Auf den Straßenschildern schrumpft die Entfernung nach Glasgow, und je eher wir die Quarantänezone verlassen, desto eher finden wir auch Shay.

      Dann tritt Bobby mal wieder voll in die Eisen.

      Wow.

      Vor uns ist die Straße abgeriegelt, Glasgow liegt ganz in der Nähe. Aber das ist es nicht, was mir den Mund offen stehen lässt. Diese Straßensperre erstreckt sich, so weit das Auge reicht; es ist eher ein Zaun oder ein Schutzwall.

      Und hier sieht man endlich auch mal ein paar Menschen. Auf einer Straßenseite stehen Häuser, auf der anderen befindet sich eine eingezäunte Zeltstadt. Menschen schauen hinter einem Maschendrahtzaun hervor, der doppelt so hoch ist wie sie selbst. Oben ist er mit Stacheldraht gesichert. Ihre Gesichter sind unbedeckt, keine Schutzanzüge.

      Entlang der Straßensperre und vor den Zäunen sind hingegen Soldaten in Schutzanzügen postiert, die Uniformen sind unverkennbar. Es wimmelt hier vor Militär – mit Waffen.

      Einer der Soldaten gibt uns ein Zeichen, stehen zu bleiben. Bobby hält an. »Überlass das Reden mir«, sagt er zu Kai. Dann lässt er das Fenster runter. »Wir sind immun«, sagt er.

      »Davon überzeugen wir uns lieber selbst.