Was Sara verbirgt. Kathrine Nedrejord

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Название Was Sara verbirgt
Автор произведения Kathrine Nedrejord
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783825162337



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mitschreiben, und ich weniger fleißig.

      »Na, ist das nicht die Schwester von Máhtte?«, erkundigt sich Jonas freundlich und fährt sich mit der Hand durch sein kurzes braunes Haar.

      Nächstes Mal, wenn Máhtte irgendeinen Unsinn anstellt, werde ich die Gelegenheit ergreifen und ihm die Ohren langziehen. Ich höre seinen Namen tatsächlich öfter als meinen eigenen. Und irgendwie ist das seine Schuld. Wenn er wüsste, wie sehr mich das ärgert, würde er sich riesig freuen. Dieser affige Kerl spielt immer gerne den Überlegenen.

      »Ist Klemet da?«, frage ich.

      Jonas schneidet eine Grimasse.

      »Ach der«, sagt er, »ich glaube, der schnarcht noch. Wenn er freihat, steht er erst zum Abendessen auf.«

      Jonas lacht kurz über seinen Bruder. Meine Wut kriegt einen leichten Dämpfer. Er redet über Klemet, als wäre er ungefährlich, fast ein lieber Kerl. Jetzt lächelt er auch noch.

      »Aber mach einfach die Tür auf und ruf ihn.«

      Ich nicke.

      »Du bist doch die Freundin von seiner Braut, nicht wahr?«, sagt er dann.

      »Ja«, erwidere ich.

      Endlich ist Máhtte vergessen, denke ich.

      »Geh einfach rein und weck ihn.« Jonas blinzelt mir zu, nimmt dann einen Abzieher und fährt damit über die nasse Windschutzscheibe. »Und wenn er nicht reagiert, dann komme ich selbst und schleife ihn aus dem Bett … Das ist ja kein Zustand! Er ist zu alt, um die Tage zu verschlafen.«

      Nervös gehe ich weiter. Ich versuche, zu meinem Ärger von vorhin zurückzufinden. Wenn der Bruder mehr wie Klemet gewesen wäre, würde mir das leichter fallen.

      Ich öffne die Haustür und latsche ins Haus. Jetzt traue ich mich nicht, noch mal einfach nur »Du!« zu rufen.

      »Klemet!«, rufe ich.

      Keine Antwort.

      Idiot, denke ich. Feigling, denke ich. Die Wut ist wieder da.

      »Klemet, bist du da?«

      Eine verschlafene Stimme aus einer halb offenen Tür am Ende der Diele.

      »Ja?«

      Zögernd gehe ich auf die Tür zu. Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Und es wäre mir peinlich, wenn er halb nackt oder, noch schlimmer, ganz nackt wäre.

      »Ich bin’s, Lajla.« Ich versuche, ihn zu warnen.

      Ich höre Schritte. Nackte Füße, vermute ich. Dann steht er plötzlich in der dunklen Diele mit haarigen Jungenwaden, in Boxershorts und einem garantiert geerbten verwaschenen T-Shirt, auf dem Metallica steht.

      »Was willst du denn hier?«, fragt er.

      Ich begreife wirklich nicht, was Sara in ihm sieht. Sein Gesicht, die Pickel auf seiner Stirn, die krumme Haltung. Er ist alles andere als umwerfend und charmant.

      »Da musst du noch fragen?«, sage ich ungeduldig, weil ich zur Sache kommen will.

      »Ja?«

      Seine Stimme ist zu hoch, obwohl er seinen Stimmbruch schon längst hinter sich haben muss. Sie klingt wie die eines kleinen Jungen.

      »Was hast du mit Sara angestellt?«, frage ich und trete einen Schritt auf ihn zu.

      »Hä? Hast du etwa mit ihr geredet?«

      Einen Augenblick lang sieht er verwirrt aus. Dann fährt er fort:

      »Kannst du ihr sagen, dass sie verdammt noch mal meine Nachrichten beantworten soll!«

      »Kapierst du nicht, warum sie nicht antwortet?«, frage ich, und jetzt zittern meine Arme, während ich die Hände zu Fäusten balle. »Du hältst dich wohl für besonders tough, wenn du auf ein Mädchen losgehst, das einen halben Meter kleiner ist als du? Das ist so verdammt feige, dass ich einfach …«

      Klemets Gesicht sieht seltsam aus. So verändert.

      Seine Augenbrauen sind bis zum Haaransatz gewandert.

      »Losgehen? Was soll das?«, murmelt er. »Behauptet Sara, dass ich auf sie losgegangen bin? Verdammte Scheiße! Erst taucht sie am Samstag einfach nicht auf, und dann läuft sie rum und sagt, dass …«

      Ich stutze.

      »Sie ist am Samstag gar nicht bei dir gewesen?«

      Klemet schüttelt so nachdrücklich den Kopf, dass sein fettiges dunkles Haar hin und her fliegt.

      »Bist du sicher?«, frage ich.

      »Hundertzehn Prozent.«

      Ich starre ihn an. Versuche herauszufinden, ob er lügt oder nicht. Dass er im Prozentrechnen noch schlechter ist als ich, lasse ich auf sich beruhen.

      Es ist unmöglich, seine Miene zu deuten. Ein Rätsel, wie sich Sara in dieses finstere Gesicht verlieben konnte. Man kann gut mit ihm reden, von wegen.

      Dann drehe ich mich um und gehe. Obwohl mir Klemet hinterherruft, drehe ich mich nicht um.

      »He! Du! Sorg dafür, dass Sara antwortet!«

      Jonas und das Auto sind weg, als ich aus der Tür trete. Eigentlich bin ich erleichtert, denn ich habe jetzt keine Lust auf Konversation.

      Ich gehe zur Auffahrt, irgendwas stimmt nicht. Ich habe das Gefühl, dass noch jemand da ist. Jonas ist weg. Das Auto auch. Aber ich spüre noch jemanden. Das Haus liegt am Fluss. Vielleicht habe ich ja am anderen Ufer aus dem Augenwinkel etwas wahrgenommen. Ich schaue hinüber, nehme aber plötzlich eine Bewegung seitlich wahr. Schnell drehe ich mich um. Es muss auf der anderen Seite des Zauns gewesen sein. Das rote Haus, in dem der Arzt des Ortes, der aus dem Süden, wohnt. Eine Gardine hat sich bewegt. Das kann nicht der Arzt sein, weil der im Gesundheitszentrum ist, aber ich weiß natürlich, dass er eine Familie hat. Seine Frau arbeitet in der Gemeindeverwaltung, und der Sohn geht in unsere Klasse. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich ihn heute vor der Schule gesehen habe. Sicher hat er das Zimmer im ersten Stock, in dem sich die Gardine bewegt hat.

      Er heißt Ulrik.

      Niemand aus dem Ort hätte sein Kind Ulrik getauft. Ein solcher Name riecht nach Häusern im Alpenstil mit Apfelbäumen und nicht nach Mückennetzen und Schnee-Scootern.

      Ich betrachte das Fenster und zögere. Von dort aus bietet sich eine gute Aussicht auf den Platz, auf dem ich stehe. Wenn Klemet lügt und Sara doch hier war, dann ist es nicht unmöglich, dass die Person im ersten Stock sie gesehen hat. Insbesondere Ulrik, der, seit er in der Neunten hierhergezogen ist, kaum Freunde gefunden hat, denke ich.

      Soll ich? Soll ich nicht?

      Ich habe keine Blume, deren Blütenblätter ich abzupfen könnte, um zu einer Entscheidung zu kommen. Also entscheide ich selbst.

       Ich soll.

      Für Sara, denke ich, aber ich weiß, dass es genauso für mich ist.

      4

      Ich klingle und versuche mir in Erinnerung zu rufen, was ich über Ulrik weiß.

      In der Mittelstufe hat er die norwegische Klasse besucht, während ich in der samischen war. Ich habe kaum ein Wort mit ihm gewechselt, bevor wir in der weiterführenden Schule in derselben Klasse gelandet sind. Mir sein Gesicht vorzustellen, ist nicht ganz einfach, weil ich ihn nie sonderlich beachtet habe. Er gehört zu den Leuten, die nur wenig sagen, sich selten im Unterricht melden und rot werden, wenn man Hallo sagt. Schüchtern, denke ich. Blondes, farbloses Haar. Ebenso farblose graue Augen. Er hält sich an Gleichgesinnte. Ich glaube, sie verbringen ihre Zeit mit Gaming. Auf dem Fußballplatz habe ich ihn noch nie gesehen, aber besonders untrainiert wirkt er auch nicht. Ob er okay ist? Keine Ahnung.

      Ich starre auf die Tür.

      Seit ich geklingelt habe, sind mehrere Minuten vergangen, aber kein Anzeichen, kein Geräusch