Was Sara verbirgt. Kathrine Nedrejord

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Название Was Sara verbirgt
Автор произведения Kathrine Nedrejord
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783825162337



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Durch Sara weiß ich mehr über sein Leben, als mir lieb ist. Groß, dünn und bleich ist er. Und trägt nie etwas Buntes. Ich wette, dass er nur selten lacht.

      Vielleicht bin ich ja auch nur eifersüchtig. Bevor Klemet irgendwann im Sommer aufgetaucht ist, waren wir alles füreinander, Sara und ich. Ja, ich hatte auch noch den Fußball, und ja, Sara hat damals schon Gitarre gespielt, aber wir hatten immer sehr viel Zeit füreinander. Jetzt hat sich Klemet zwischen uns gedrängt und sorgt für Unruhe. Ein Rivale, denke ich, obwohl ich für Sara etwas anderes sein will als Klemet. Das ist schwierig. Ich will, dass sie glücklich ist. Aber, wenn möglich, mit jemand anderem als Klemet.

      Mama sagt, wir seien sehr unterschiedlich, Sara und ich. Sie ist klein und dunkelhaarig, und ihre Erscheinung hat etwas beinahe Feindseliges. Ich bin groß und blond und lächle meistens, jedenfalls solange wir die Spiele gewinnen. So wirkt es vielleicht von außen, aber zwischen uns, zwischen Sara und mir, gibt es so viel mehr als diese Kontraste. Wäre Sara nicht in meiner Klasse gewesen, dann hätte ich die zehn Jahre Grund- und Mittelstufe wahrscheinlich nicht durchgehalten.

      Sowohl Saras als auch meine Mutter stammen von Sámi mit nomadischem Lebensstil ab. Die Familien unserer Väter waren hingegen immer sesshaft. Für Leute außerhalb Karasjoks mag das irgendwie unwichtig klingen. Aber hier verläuft oft ein Graben zwischen diesen beiden Lagern. Die Nomaden gegen die Sesshaften, und die Sesshaften gegen Nomaden. Sara und ich sind weder das eine noch das andere. Vielleicht hätten wir auf beiden Seiten stehen können, stattdessen gehören wir keiner der Gruppen an. Denn es ist schwer, sich gegen einen Teil seines Erbes zu wenden. Also gab es immer nur uns beide. Ohne Herde. In der Grundschule gab es viel Streit, Mobbing und Fronten zwischen den Bankreihen.

      Glücklicherweise ist dieses Klassenzimmer Vergangenheit. Und glücklicherweise sind Sara und ich in den Unterrichtsstunden immer noch zusammen, allerdings mit vielen anderen Leuten um uns herum. Die Mädchen, die in der Mittelstufe am gemeinsten waren, wie Anne-Biret mit dem Schmollmund und den blond gefärbten Haaren, haben nichts mehr zu sagen. Sie versuchen es nicht einmal mehr. Als wären wir mittlerweile zu groß, um Feindinnen zu spielen. Aber Sara ist immer noch die, die mir am meisten bedeutet.

      Darum ist dieser Augenblick, in dem wir zwei nichtsahnend die Straße entlangschlendern, so wichtig. Sara bietet mir einen Kaugummi an, und wir gehen blasenpustend weiter.

      »Ich schaffe dieses Jahr in Norwegisch eine Eins«, sagt Sara, »auch wenn er strenger wirkt, dieser neue Lehrer.«

      »Der aus dem Süden?«, frage ich.

      »Ja«, antwortet sie.

      »Der tut doch nur so«, meine ich. »Eigentlich ist er wahnsinnig jung und unsicher.«

      Sara lacht.

      »Jedenfalls brauche ich die Eins. Egal wie. Um bei Medizin reinzukommen. Samisch ist leicht, in Norwegisch muss ich mich etwas mehr anstrengen«, sagt sie und schaut träumerisch in die Luft. Vielleicht sieht sie sich ja gerade im weißen Kittel mit Stethoskop um den Hals. Was weiß ich.

      Und da gehen wir also, immer noch auf demselben Planeten.

      Ich ahne nicht, dass uns nur wenige Stunden von einer Katastrophe trennen.

      Dass ich sie in vielerlei Hinsicht bald verlieren werde. Die dunkelhaarige, kleine, große Sara.

      Als eine von uns, vielleicht ich, vielleicht Sara, endlich seufzt und sagt: »Vielleicht mal Zeit, nach Hause zu stiefeln«, geschieht das mit Gelassenheit, beinahe gelangweilt.

      »Na dann, bis morgen!«, murmeln wir beide.

      Als ich gegen Mitternacht ganz plötzlich erwache, weil verzweifelt an mein Zimmerfenster gehämmert wird, ist es mit der Gelassenheit und Langeweile vorbei. Endgültig.

      Und Sara und ich werden nie wieder so sein wie letzthin auf dem Heimweg.

      1

      Fast zwölf Stunden später erwache ich also von heftigem Klopfen.

      Erst denke ich, es sei Teil eines Traums.

      Ich drehe mich zur Seite und seufze leise. Aber das Klopfen geht weiter. Ich bin gezwungen, die Augen zu öffnen. Sie sind vom Schlaf verklebt. Ich strecke die Hand aus und knipse die Nachttischlampe an. Das Licht blendet. Ich schließe erneut die Augen. Das Klopfen wird heftiger. Erst jetzt begreife ich, dass es vom Fenster kommt. Ich stelle die Füße auf den Boden. Eiskalt.

      Ich denke, das werden irgendwelche Freunde von Máhtte, meinem kleinen Bruder, sein. Sicher Jan-Henrik und die anderen Idioten, die ihn vergöttern.

      Von klein auf haben sie sich immer wieder neue Dinge einfallen lassen, um mich zu ärgern. Je schlauer sie werden, desto ausgefeilter sind ihre Methoden. Letztes Jahr zu meinem Geburtstag ist es ihnen gelungen, Mamas Kuchen mit einem selbst gebackenen zu vertauschen. Er wirkte zwar essbar, hatte aber zur Folge, dass ich mich auf dem Klo übergeben musste, bis nichts mehr in meinem Magen war.

      Ich stehe also auf, gehe zum Fenster und mache mich auf Halloween-Masken und Gebrüll gefasst. Besonders originell sind sie nämlich immer noch nicht. Meistens holen sie sich ihre Inspiration aus dem Internet. Wenn ich mich nicht irre, haben sie Mama letzte Woche vor dem Küchenfenster einen Mordsschrecken eingejagt.

      Ich wappne mich mit einer versteinerten Miene und ziehe die Gardine beiseite. – Keine Masken. Keine Jungenclique. Keine Rufe, kein Gebrüll.

      Da steht nur Sara, blass und mit weit aufgerissenen Augen. Ich kann ihre Stimme kaum durch das Fenster hören.

      »Mach auf.«

      Ich starre sie einen Moment lang an. Vielleicht versuche ich die Lage zu verstehen oder mich zu erinnern, wann das schon einmal vorgekommen ist. Sara vor dem Fenster. Das ist noch nie passiert. Und ihr Gesicht sieht seltsam aus. Anders. Wie das eines Tiers. Ich öffne das Fenster einen Spalt weit und mühe mich mit der Kindersicherung ab, um es ganz zu öffnen. Sara sagt nichts, klettert einfach rein.

      »Wo hast du deine Jacke gelassen?«, frage ich leise.

      Sie trägt nur einen dünnen Pullover und zieht die Ärmel nach unten.

      »Leihst du mir eine?«, fragt sie statt zu antworten.

      Ihre Stimme klingt kühl, fast kalt. Ich gehe zum Schrank und nehme den grauen Hoodie heraus, den ich immer nach dem Fußballtraining trage. Er ist ihr zu groß. Alle meine Kleider sind Sara zu groß. Ich bin hochgewachsen und habe einen Busen, der in allen Kleidern zu viel Platz einnimmt. So ist es seit der siebten Klasse. Manchmal haben wir darüber gelacht, Kleider getauscht und Fotos gemacht. Aber jetzt ist sie nicht dazu aufgelegt. Ich habe keine Ahnung, in welcher Stimmung sie gerade ist.

      Wenn sie nicht aussähe und röche wie Sara, würde ich glauben, ich hätte einen anderen Menschen vor mir.

      Sie nimmt den Hoodie und zieht ihn über. Da sehe ich rote Flecken an ihrem Hals. Kratzer. Ich schlucke.

      »Ist was passiert?«, frage ich.

      Sara nimmt einen Schal, den ich auf dem Stuhl liegen habe, und wickelt ihn um den Hals. Irgendwas ist auch mit ihren Augen. Die Wimperntusche ist verlaufen. Eigentlich unterscheidet sich ihr Gesicht gar nicht so sehr von den erwarteten Halloween-Masken. Das verwirrt mich.

      »Wolltest du nicht zu Klemet?«

      Nachdem sie sich in meine Kleider gehüllt hat, setzt sie sich auf die Bettkante, zieht die Decke an sich heran und wickelt sich ein.

      »Habt ihr gestritten?«, frage ich.

      Sara schaut Richtung Tür und blinzelt einige Male.

      »Schlafen die anderen?«, fragt sie flüsternd.

      Ich zucke mit den Achseln.

      »Máhtte hängt sicher noch vor dem Computer«, antworte ich. »In seinem Zimmer.«

      Sara nickt und lässt die Schultern ein wenig sinken.

      Ich denke, dass da zwar Sara sitzt, aber irgendetwas nicht stimmt. Ich sehe sie an, doch sie weicht mir aus,