Was Sara verbirgt. Kathrine Nedrejord

Читать онлайн.
Название Was Sara verbirgt
Автор произведения Kathrine Nedrejord
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783825162337



Скачать книгу

auch da sind rote Kratzer. Ihr Gesicht, die Wangen, sie sind nicht auf die normale Art gerötet. War da nicht auch was mit dem Pullover? Mit dem Hals. Ich habe nur einen Blick auf ihn erhascht, bevor sie meinen Hoodie übergestreift hat. Der hatte ordentlich was abbekommen. Ich bin mir fast sicher. Doch es ging so schnell.

      Einmal in der Neunten haben Anne-Biret mit dem Schmollmund und ich uns beim Sport so wahnsinnig gestritten, dass sie in der Umkleide mit einer Papierschere auf mich losgegangen ist. In meinem Kopf war es in dem Moment vollkommen leer. Anschließend konnte ich die Ereignisse nicht mehr rekonstruieren. Ich konnte nur die verletzte Hand vorzeigen, und irgendwie hatte ich sie zu Boden gerungen. Ich war stärker, obwohl Anne-Biret eine Waffe hatte. Der Lehrer wusste nicht recht, wen er bestrafen sollte. Als er endlich angetrödelt kam, sah es aus, als sei ich die Schuldige. Ich hatte Anne-Biret »unschädlich« gemacht, wie es im Film heißt. Es fiel mir schwer, zu erklären, wie. Vielleicht wurde ja Anne-Biret deswegen zum Partygirl. Gerüchte kamen auf, dass sie mit allen möglichen Jungs reihum schlief. Vielleicht besteht da aber kein Zusammenhang. Höchstwahrscheinlich nicht. Es war einfach nur eine Prügelei, die ich gewonnen habe.

      Aber zurück zu Sara: Sie griff mich zwar nicht an, sondern kletterte einfach nur durch mein Fenster, doch für mich blieb die Welt stehen wie damals in der Umkleide. Die Zeit verging schnell und langsam zugleich.

      Vor meinem Zimmer sind Geräusche zu hören.

      Sara setzt sich abrupt auf und schaut verängstigt zur Tür.

      »Lajla?«, ruft Mama aus dem Flur.

      Ich stehe auf, gehe zur Tür und versuche gleichzeitig Sara einen beruhigenden Blick zuzuwerfen, aber die hat sich in einer Ecke des Bettes hinter der Decke verschanzt. Sie erinnert an ein Tier, denke ich. An Anne-Birets Kaninchen, wenn sie den Stall öffnet, um es herauszunehmen. Es verkriecht sich immer ganz zuhinterst und will unsichtbar sein.

      »Was ist?«, frage ich. Ich öffne die Tür nur einen Spalt weit.

      »Geh nicht zu spät ins Bett!«, sagt sie. »Denk an das Spiel morgen.«

      »Na klar«, antworte ich und huste ein wenig, um damit Saras Anwesenheit zu übertönen.

      »Alles in Ordnung?«

      Mama zieht eine Augenbraue hoch.

      »Ja doch«, antworte ich.

      Mama will weitere Fragen stellen, aber ich komme ihr zuvor:

      »Ich bin ziemlich erledigt. Viele Hausaufgaben im Augenblick«, sage ich, als Erklärung für alles, was ihr vielleicht spanisch vorkommt. Mama lässt sich damit abspeisen. Sie nickt.

      »Sieh zu, dass du genug Schlaf bekommst«, sagt sie.

      »Gute Nacht«, erwidere ich rasch und schließe vorsichtig die Tür, weil ich weiß, wie Anne-Birets Kaninchen auf abrupte Bewegungen reagiert. Sara senkt die Decke einen Zentimeter, nicht mehr. Sie flüstert:

      »Erzähl’ ihnen nicht, dass ich hier war.«

      »Natürlich nicht.«

      Ich schlucke.

      »Aber was ist denn passiert?«

      Sara schüttelt den Kopf.

      »Vergiss es, nichts Wichtiges.«

      Aber uns beiden ist klar, dass das schlichtweg gelogen ist.

      Ich habe Lust, nachzuhaken. Sie erzählt mir doch sonst immer alles, selbst die schlimmsten Sachen. Ich weiß alles über die Probleme ihrer Mutter nach der Scheidung von ihrem Vater. Ihr Vater zog mit einer neuen Frau nach Utsjok hinter der finnischen Grenze, und ihre Mutter hörte auf zu arbeiten, leerte die Flaschen in der Hausbar und kaufte anschließend die Ladenregale leer, um sich zu trösten. Damals hat mich Sara nie zu sich nach Hause eingeladen und oft bei mir übernachtet. Sie behauptete, fast genauso wütend auf ihren Vater zu sein wie ihre Mutter. Und dass sie einerseits Verständnis für die Mutter habe, andererseits aber auch nicht, weil da noch die erst achtjährigen Zwillinge seien, für die sie sich hätte zusammenreißen müssen. Ich begleitete Sara zur Gemeindeschwester und war stolz auf sie, als sie vorschlug, dass die Zwillinge und sie eine Weile bei ihrer Tante auf der anderen Straßenseite wohnen könnten. Sie hatte bereits mit der Tante geredet. Weil es ihre Mutter verletzen würde, wollte sie nicht, dass sie erfuhr, dass es Saras Idee gewesen war. Sara wirkte so erwachsen. Ich saß neben ihr und dachte, dass es mir in einer vergleichbaren Situation niemals gelungen wäre, sowohl an Máhtte als auch an mich zu denken. Wahrscheinlich hätte ich nur unablässig geweint und mir selbst leidgetan. Eine Lösung hätte ich mir bestimmt nicht einfallen lassen.

      ›Sara die Starke‹, taufte ich sie.

      Dieselbe Sara, die jetzt die Lippen zusammenpresst.

      Da mir nichts Besseres einfällt, strecke ich die Hände aus, um sie zu umarmen. Aber da zuckt Sara zusammen und stößt mich so heftig weg, dass ich auch danach noch ihre wütenden Handflächen auf meinem Brustkorb spüre. Ich weiche zwei Schritte zurück, stoße gegen die Schreibtischkante und kann nur mit Mühe das Gleichgewicht halten.

      »Au!«, sage ich, etwas zu laut, etwas zu schroff.

      Sara sieht mich verängstigt an.

      »Sorry! Sorry! Sorry!«, sagt sie, aber ihr Blick ist immer noch derselbe, entsetzt.

      Vorsichtig fasse ich mir an die Stelle, wo sie mich gestoßen hat. Es tut zwar nicht furchtbar weh, aber ich fühle mich überrumpelt. Wir sind so spät Freundinnen geworden, dass die Zeiten, in denen man sich prügelte, vorbei waren. Und wir geraten uns auch nicht, wie viele andere Mädchen, bei jeder Gelegenheit in die Haare. Wir haben immer einen gewissen Abstand gewahrt. Bis jetzt.

      Sara legt sich hin und schließt vorsichtig die Augen.

      Ich sehe, dass sich ihre Lider bewegen. Papa hat mal erzählt, dass man einem Schlafenden so ansieht, ob er sich mitten in einem Traum befindet. Aber Sara schläft und träumt nicht.

      Die Ärmel des Pullovers rutschen ein wenig hoch.

      Ich sehe die Kratzer und nehme mir vor, Klemet eine Abreibung zu verpassen. Er ist kaum stärker als ich, rein körperlich. Vielleicht ist er stärker als Sara, aber nicht als ich.

      »Sara«, sage ich bittend.

      Sie öffnet die Augen und sieht, dass ich ihre Handgelenke betrachte. Jetzt versucht sie nicht mehr, sie zu verbergen, sondern sieht mich nur an.

      »Ich kann nicht, Lajla«, sagt sie.

      Sie erklärt nicht, was sie nicht kann.

      Aber ihre Antwort ist so unverrückbar, so endgültig.

      Und dann noch einmal:

      »Ich kann es einfach nicht.«

      Ich antworte nicht.

      Sie kneift die Augen zusammen, und ihre Stimme ist fast unhörbar:

      »Sonst bringt er mich um.«

      2

      Es ist Montag, und ich warte auf Sara.

      Wir treffen uns immer vor der Schule, bevor es zur ersten Stunde klingelt.

      Als sie gestern aus dem Fenster gesprungen ist, hat sie noch gerufen: »Bis morgen!«

      Ich warte also immer noch. Unser Norwegischlehrer hat sicher schon mit seinem altnordischen Zeugs angefangen. Sara kommt nie zu spät. Sara beantwortet immer ihre SMSe. Sara schwänzt nicht. Bereits vor dem Sommer hat sie mir die Anwesenheitsregeln in der weiterführenden Schule erklärt, und wie wichtig es sei, diese zu befolgen, um nicht in irgendeinem Fach durchzufallen. Sie tat das eigentlich mehr meinetwegen als um ihrer selbst willen. Sie hat immer etwas weniger gefehlt als ich und hat bessere Noten als ich. Und wenn ich etwas sage, dann meine ich wahnsinnig viel. Schließlich will Sara hoch hinaus. Sara will Ärztin werden.

      Ich schicke die vierte SMS:

      »Wo bist du? Bist du krank?«

      Eigentlich