Was Sara verbirgt. Kathrine Nedrejord

Читать онлайн.
Название Was Sara verbirgt
Автор произведения Kathrine Nedrejord
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783825162337



Скачать книгу

Außerdem ist es ziemlich kühl. Ich habe die Jeansjacke angezogen, obwohl Mama protestiert hat und mich dazu überreden wollte, die Winterjacke anzuziehen. Es ärgert mich, wenn Mama recht hat. Es ärgert mich, dass Sara nicht antwortet. Aber es sind verschiedene Arten von Ärger. In meinen Ärger über Sara mischt sich das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Ich hätte sie in der Nacht zum Sonntag nicht nach Hause lassen dürfen, ohne eine einzige Antwort erhalten zu haben. Ich rufe sie an.

      Es klingelt und klingelt, fordernd.

      Dann endlich höre ich Saras Stimme, obwohl ich mir erst gar nicht so sicher bin, dass es ihre Stimme ist. Sie klingt ganz schwach:

      »Ja? Ich bin’s.«

      »Wo steckst du?«, frage ich.

      Eine lange, fast unendliche Pause. Ich will schon fragen, ob sie noch da ist, als sie endlich antwortet:

      »Zu Hause.«

      »Kommst du heute nicht in die Schule?«, will ich wissen.

      Wieder eine kleine Pause.

      »Nein, ich glaube nicht.«

      Es ist ihre Stimme, und auch wieder nicht. Sie klingt fern, als befände sie sich in den USA und als müssten ihre Worte einen meilenweiten Weg durch Kabel und Netzwerke zurücklegen, um mich zu erreichen. Aber sie ist, soweit ich weiß, weniger als einen Kilometer entfernt.

      »Ist es wegen dieser Sache am Wochenende?«, frage ich.

      »Hör doch auf damit!«

      Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

      »Oh.«

      »Lass es einfach, okay?«

      Ich flüstere ein Ja.

      Es wird wieder still. Lange. Ich muss etwas sagen.

      »Kommst du morgen?«

      »Natürlich«, antwortet Sara.

      Dann beeilt sie sich, das Gespräch zu beenden, ehe ich weitere Fragen stellen kann. Ich schaue auf das Display, als wäre das Handy an der seltsamen Unterhaltung schuld. Ich habe einen Fehler gemacht, denke ich. Ich hätte sie ausfragen müssen, als sie bei mir zu Hause war. Aber sie hat sich geweigert. Jedes Mal, wenn ich mich dem Thema näherte, hat sie von etwas anderem geredet oder sich unter der Decke verkrochen und so getan, als würde sie mich nicht hören. Lass mich in Ruhe, schien sie zu sagen. – Und zwar so nachdrücklich und deutlich, dass ich einfach nur gehorchen konnte.

      Ich schaue auf die Uhr über dem Eingang. Die Stunde ist noch nicht vorbei. Wenn der Norwegischlehrer gute Laune hat, ignoriert er meine Verspätung vielleicht. Aber andererseits –

      Das ist nicht in Ordnung. Es ist falsch, dass Sara zu Hause ist und dass mir mein unentschuldigtes Fehlen mehr Sorgen bereitet als ihre Probleme, oder?

      Genau, so ist es.

      Ich kann sie jetzt nicht im Stich lassen, denke ich. Aber was kann man tun? Wenn sich die beste Freundin seltsam benimmt und nicht reden will? Ich bin irgendwie in meinem Unwissen gefangen. Eigentlich müsste sich etwas herausfinden lassen.

      Aber wie?

      Statt in den Unterricht zu gehen, nehme ich Kurs auf den Supermarkt. Klemet. Was soll ich ihm sagen? Ich muss ihn ausfragen. Ich habe keine Angst. Nicht vor Klemet. Er war zwar nie besonders nett zu mir, aber zu den superbeliebten Leuten gehört er auch nicht. Und mir ist es schließlich gelungen, die rabiate Anne-Biret samt Schere in der Hand in die Knie zu zwingen.

      Und was Klemet getan hat, denke ich, obwohl ich mir nicht ganz sicher sein kann, ist nicht gut. Das ist einfach nicht normal, denke ich. Sonst wäre Sara heute in der Schule und würde neben mir in der Klasse sitzen und mich anstupsen, sobald ich ins Träumen gerate, damit ich auch ja die wichtigsten Dinge für die nächste Klassenarbeit mitbekomme. Sara hält mich bei der Stange. So ist es einfach. So soll es sein. Verdammter, beschissener Klemet. Nur er kann sie bedroht haben.

      Sie hat es nur einmal gesagt, sehr leise zwar, aber deutlich genug. Sie hat keinen Namen genannt, aber wer hätte es sonst sein sollen? Klemet bringt sie um, wenn sie was sagt. Verfluchter, tragischer, pathetischer, verdammter Klemet, denke ich. So ein Idiot.

      Ich schlendere in den Rema 1000, der zu dieser Tageszeit fast leer ist. Eine ältere Frau in geblümter Wolljacke mit dazu passender roter Kopfbedeckung türmt Hühnerfilet-Pakete, die im Sonderangebot sind, in ihren Korb. Das Personal steht bei den Milchprodukten. Ich gehe dorthin. Die meisten kenne ich vom Sehen. So groß ist Karasjok nicht, dass man den Überblick verlieren könnte.

      »Ist Klemet da?«, frage ich.

      Sie schauen mich kritisch an.

      »Bist du nicht die große Schwester von Máhtte?«, fragt eine. Alle kennen Máhtte. Alle wissen, dass er einer der besten Spieler der Fußballmannschaft ist und vielleicht sogar einmal mit einem Spielervertrag von hier wegkommt. Aber Máhtte ist mir egal. Ganz gleichgültig, wie viele Tore er schießt, zu Hause ist er eine Nervensäge und ärgert mich.

      »Klemet?«, sage ich noch einmal.

      Eine zuckt mit den Achseln.

      Wenn sie nicht sofort antworten, schüttle ich gleich jemanden, denke ich. Keiner sieht besonders stark aus, sie wirken blass, dünn und uninteressiert. Sie sehen aus, als hätte die dunkle Jahreszeit bei ihnen schon begonnen und sie befänden sich bereits im Winterschlaf.

      »Vermutlich ist er zu Hause«, sagt eine von ihnen. »Er hat heute keine Schicht.«

      Er wohnt auf der anderen Seite des Flusses.

      Wenn ich mich beeile, komme ich noch rechtzeitig zur zweiten Stunde. Mathe. Es ist aber keine Katastrophe, wenn ich sie verpasse. In der dritten Stunde ist Sport – das einzige Fach, in dem ich besser bin als Sara. Da kann ich locker hingehen, aber vorher will ich noch mit Klemet sprechen. Ich gehe also wieder und überhöre den Ruf einer der Bleichen, Lethargischen, dass ich mich ruhig für die Hilfe bedanken könnte.

      Ich beeile mich. Jetzt werde ich Klemet aufspüren.

      3

      Noch bevor ich um die Ecke biege, höre ich Wasser plätschern.

      Das Haus ist rot, mit weiß umrahmten Fenstern. Ich bin hier schon oft vorbeigegangen. In dieser Straße, der ersten links hinter der Brücke, kenne ich ziemlich viele Leute. Ich sehe seinen Rücken vor dem Auto, das frisch gewaschen glänzt, während er den Wasserstrahl noch einmal darüber hinweggleiten lässt.

      »Du!«, sage ich, nicht etwa Hallo, auch nicht Entschuldige, aber wofür hätte ich auch um Entschuldigung bitten sollen? Ich sage nicht Klemet, sondern du. So frech und unpersönlich wie nur möglich. Papa hat Máhtte einige Male zurechtgewiesen: So redet man nicht mit den Leuten. Es fühlt sich wunderbar an, auf die Manieren zu pfeifen. Ich habe es nicht nötig, umgänglich und höflich zu sein.

      Er dreht sich um, einen Augenblick lang bin ich verwirrt, dann bin ich nur noch erleichtert. Das ist gar nicht Klemet, das ist sein großer Bruder. Das hätte ich mir ja gleich denken können. Schließlich ist das sein Auto. Klemet hat ja noch gar keinen Führerschein. Und sein großer Bruder Jonas ist ein ganz anderes Kaliber als dieser Blödmann Klemet. Ich erinnere mich an damals, als ich auf dem Heimweg entdeckte, dass mir jemand, höchstwahrscheinlich Anne-Biret, Milch in den Schulranzen gekippt hatte. Ich stand an der Brücke und flennte, damals muss ich neun oder zehn gewesen sein. Jonas kam vorbei und sah mich erstaunt an. Und obwohl er damals schon ein Teenie war und viel zu cool, um sich um eine heulende Rotznase wie mich zu kümmern, blieb er stehen und half mir. Er kramte Papiertaschentücher hervor, wischte das Schlimmste auf und meinte, nur feige Idioten täten so etwas. Ich solle am nächsten Tag einfach mit erhobenem Kopf in die Schule gehen und so tun, als sei nichts geschehen. Mir wäre wirklich lieber gewesen, wenn Sara und Jonas ein Paar geworden wären, und nicht Sara und der mürrische Klemet. Zum tausendsten Mal denke ich: Was sieht sie nur in ihm? Ich habe sie mal direkt gefragt, und da hat sie geantwortet: Man kann gut mit ihm reden. Das klang