Der letzte Leopard. Lauren St John

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Название Der letzte Leopard
Автор произведения Lauren St John
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783772543432



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dass ich kaum ein Wort herausbringen konnte.»

      «Nein, du hast mich gerettet», sagte Ben. «Sie hatten die Ausrüstung und das Know-how, aber wenn du nicht so superschnell reagiert hättest, wäre nichts mehr von mir zu retten übrig gewesen.»

      Vor Martines Augen tauchte plötzlich Bens Bild auf, bevor er von der Bildfläche verschwunden war. «Warum bist du bloß so dicht an den Abgrund gegangen? Wolltest du dir etwas beweisen? Es war, als hättest du dich über die Felskante hinausgelehnt.»

      Ben lachte verlegen. «Das klingt jetzt vielleicht verrückt … Es ist nur so … äh … ich glaubte, etwas dort unten zu sehen. Das ist alles. Ein Bild, eine Art Zeichnung. Auf einer Felswand, hinter einem Wasservorhang sozusagen. Ich konnte es nicht deutlich erkennen, aber es sah irgendwie aus wie eine gefleckte Wildkatze. Wie ein Leopard, ein Gepard, ein Jaguar oder so. Und als ich näher ran wollte, um es besser zu sehen, gab der Felsvorsprung nach. Aber vielleicht war das alles nur ein Hirngespinst.»

      Martines Mund wurde staubtrocken. Sie suchte nach einer passenden Antwort, fand aber keine. «Wir müssen zusammenbleiben», war alles, was sie herausbrachte. «Bitte versprich mir, dass wir zusammenbleiben.»

      Ben sah, dass sie es ernst meinte. «Okay, okay», sagte er, während er beruhigend eine Hand auf ihren Arm legte. «Ich versprech’s dir.»

      • 4 •

      Der Rest der Autofahrt bis zur simbabwischen Grenze verlief ereignislos. Die Landschaft war nicht besonders malerisch, sie bestand über weite Strecken aus trockenem Buschwerk und Gestrüpp; die hektischen, schweißtreibenden Autobahnen durch die Außenbezirke von Johannesburg; die hässlichen Bergbaustädte – die Dorps, wie sie Gwyn Thomas nannte. Martine und Ben dösten vor sich hin, bis sie Messina erreichten, wo sie zum Mittagessen haltmachten.

      In Storm Crossing hatte Gwyn Thomas ein striktes Fastfood-Verbot ausgesprochen, und so wurde sie jetzt auch nicht müde zu betonen, dass es sich diesmal um eine einmalige Ferienausnahme handelte. Es gab Hawaii-Burger mit saftigen Ananasscheiben und Pommes, die in einer pikanten Tomatensauce schwammen. Martine konnte ein Lächeln kaum unterdrücken, als ihre Großmutter mit offensichtlichem Appetit Burger und Pommes verschlang, während sie gleichzeitig vorgab, das Essen überhaupt nicht zu genießen.

      «Gar nicht schlecht für Fastfood», sagte Martine mit Unschuldsmiene zu ihrer Großmutter.

      «Ich habe schon Schlechteres gegessen», gestand Gwyn Thomas widerwillig und verfolgte mit gierigen Augen einen Eisbecher, der gerade an ihrem Tisch vorbeigetragen wurde und ihr offensichtlich den Mund wässrig machte.

      Über den Zwischenfall an der Rainbow Ridge sprach sie kaum. Das hatte damit zu tun, dass auch Martine und Ben kaum davon gesprochen hatten. Auf dem Rückweg ins Feriendorf waren sie zu dem Schluss gekommen, dass ein vollständiger Bericht über Bens lebensgefährlichen Sturz die ganze Reise, die mittlerweile selbst Martine Spaß machte, gefährdet hätte. Sie hatten die Wahrheit, nicht aber die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt, wie es in amerikanischen Gerichtsfilmen so schön heißt. Ben hatte zwar davon erzählt, dass er dummerweise etwas dicht am Abgrund gestanden hatte und gestolpert war. Allerdings achtete er tunlichst darauf, nur von Wasser und auf keinen Fall von einem Wasserfall zu reden.

      Für Ben und Martine hatte es nicht mehr als eine milde Rüge dafür abgesetzt, dass sie unnötige Risiken eingegangen waren. Gwyn Thomas war es viel wichtiger gewesen, Ben in trockene Kleider zu stecken, ihm einen heißen Tee und ein herzhaftes Abendessen zu kochen und für eine frühe Nachtruhe in ihrer gemütlichen Blockhütte zu sorgen. Am nächsten Morgen hatte Ben zwar etwas Muskelkater, aber ansonsten fühlte er sich wie neugeboren, und die drei waren in bester Stimmung, als sie am frühen Nachmittag den simbabwischen Grenzposten erreichten.

      «Auf Schatzsuche oder Leopardenjagd?», fragte der Zollbeamte, als sie ihm sagten, sie seien unterwegs nach Matopos. Er musterte sie misstrauisch über die Pässe hinweg, die er wie einen Fächer mit lauter Trumpfkarten in der Hand hielt. «Schatzsuche, nehme ich mal an. Sie wollen bestimmt nach Simbabwe, um reich zu werden.»

      «Nichts dergleichen», entgegnete Gwyn Thomas, sichtlich erfolglos bemüht, den Ärger in ihrer Stimme zu verbergen. «Wir sind unterwegs, um eine kranke Bekannte zu besuchen.»

      «Ach so! Barmherzige Samariter!», sagte er mit einem Zahnpastalächeln. «In dem Fall: Herzlich willkommen in Simbabwe.»

      Die geplante Dreistundenreise nach Matopos dehnte sich zur Vierstundenfahrt aus, weil sie in Bulawayo, der nächstgelegenen Stadt, an sechs verschiedenen Tankstellen vergeblich versuchten, sich mit Benzin einzudecken. Sie fuhren im Schatten von Jacaranda- und Flamboyantbäumen auf breiten, seltsam altmodisch anmutenden Straßen. Alles schien in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfalls zu sein. Die Schlaglöcher in den Straßen waren so groß, dass sie ganze Kühe hätten verschlucken können. Ein freundlicher Tankwart, der in Ermangelung von Arbeit eine Banane essend auf einer Mauer saß, sagte ihnen, dass es hier lediglich vier Stunden am Tag Strom gebe und dass die Wasserversorgung manchmal tagelang unterbrochen sei.

      «Wie kommen Sie da noch klar?», wollte Gwyn Thomas wissen.

      «Wir machen einen Plan», antwortete ihr der Mann lachend.

      Martine hatte wenig Ahnung von Simbabwe, außer dass es an Südafrika grenzte, auf der Landkarte wie eine Teekanne aussah und mit den Victoriafällen eines der sieben Weltwunder für sich beanspruchen durfte. Sie hoffte, dass die Wasserfälle nicht an ihrer Reiseroute lagen, denn sie hatte keine große Lust auf eine weitere Begegnung mit herabstürzenden Wassermassen.

      In den paar Stunden seit dem Grenzübertritt hatte sie schon eine Menge gelernt. Zum Beispiel, dass drei simple Getränke Zehntausende von simbabwischen Dollars kosteten. Ungläubig sah sie zu, wie ihre Großmutter einen ganzen Stapel von Scheinen hinblätterte.

      Außerdem lernte sie, dass «Bulawayo» in der Sprache der Ndebele so viel wie «Schlachtfeld» bedeutete. Der Tankwart erzählte ihnen, dass die Stadt nach der ersten erfolgreichen Schlacht von Lobengula anlässlich seiner Thronbesteigung benannt worden war. Was für ein unheimlicher Name für eine Stadt, dachte sich Martine.

      Weil sie nirgends Benzin fanden, mussten sie Bulawayo mit praktisch leerem Tank verlassen. Gwyn Thomas versuchte, die Sache gelassen zu nehmen. «Das wird bestimmt reichen», sagte sie. «Ich bin mit dem Reservetank schon meilenweit gefahren. Und wir sind gleich am Ziel.»

      Am frühen Abend kamen sie an der Eingangspforte des Matobo-Nationalparks an. Als sie vorfuhren, stemmte sich ein Parkangestellter langsam von einem behelfsmäßigen Tisch auf, an dem er gerade mit drei anderen uniformierten Wächtern Dame gespielt hatte. Als Spielfiguren verwendeten sie Kronenkorken, und das Spielfeld hatten sie mit einem roten Stift auf einen Karton gemalt. Ihre Gewehre lagen neben ihnen am Boden.

      «Guten Abend», sagte er förmlich. «Es ist nach 18 Uhr. Der Park ist für Besucher geschlossen.»

      «Das kann doch nicht sein», rief Gwyn Thomas. «Wir sind den ganzen Weg von Kapstadt hergefahren und müssen zur einer Ranch auf der anderen Seite des Parks.»

      «Oh … das tut mir leid für Sie», sagte der Parkwächter mit einem echten Ton von Mitgefühl. «Sie müssen in einem Hotel in Bulawayo übernachten und morgen zurückkommen.»

      «Das ist unmöglich», sagte sie. «Erstens können wir es uns nicht leisten, und zweitens haben wir fast kein Benzin mehr.»

      «Kein Benzin mehr?», sagte der Mann missbilligend. «Es empfiehlt sich nicht, ohne Benzin in die Matobo-Berge zu fahren. In dem Fall müssen Sie im Auto übernachten und warten, bis es Tag wird.»

      «Aber meine Bekannte erwartet uns», sagte Gwyn Thomas verzweifelt. «Sadie – Sadie Scott von der Black Eagle Lodge.»

      Martine sah, wie die Parkwächter Blicke tauschten. Allerdings wusste sie nicht,