Gute Nacht, mein Geliebter - Psychothriller. Inger Frimansson

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Название Gute Nacht, mein Geliebter - Psychothriller
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445022



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sollte wohl etwas sagen, sich nach den Eigenheiten und Essgewohnheiten des Vogels erkundigen. Sie brachte es nicht fertig. Irgendetwas an diesem Vogel, an seiner struppigen, schwarzgrauen Gestalt brachte sie den Tränen nah. Als sähe sie sich selbst da drinnen, zusammengekauert, anderen zur Pflege überlassen.

      Der Mann räusperte sich und zog einen Karton zur Seite.

      »Wir sind im Aufbruch begriffen«, sagte er.

      »Ja ... Ich verstehe.«

      »Ja, so ist das. Nach vielen gemeinsamen Jahren ist man eines Tages nicht mehr Mitglied einer Familie. Man hat das immer selbstverständlich gefunden. Sie! Finden Sie niemals etwas selbstverständlich. Tun Sie das bloß nicht!«

      »Das tue ich auch nicht.«

      »Das tuen aber viele. Ich zum Beispiel, ich habe es getan. Bis jetzt.«

      Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Der Mann schwieg eine Weile, dann sagte er:

      »Wie gesagt, hier haben Sie den Vogel. Er hat viele Jahre mit uns zusammengelebt ... Er ist ein Teil der Familie gewesen. Meine Frau fand ihn als Küken hier draußen im Garten. Er war wahrscheinlich aus dem Nest gefallen. Eine Katze hatte ihn gefangen, eine Katze, die ein Spielzeug haben wollte. Wissen Sie, was ich mit dieser Katze gemacht habe? Ich habe sie erschossen.«

      »Sie haben die Katze erschossen ...?«

      »Mit einem Luftgewehr. Sie war sofort tot.«

      »Ist das denn erlaubt?«

      »Das ist mir scheißegal. Es war in meinem Garten, und in meinem Garten mache ich, was ich will.«

      »Und der Vogel ...?«

      »Um den haben wir uns dann gekümmert und ihn aufgezogen. Aber jetzt sind wir, wie gesagt, unterwegs in verschiedene Richtungen, meine liebe Frau und ich. Und der Vogel braucht ein Zuhause.«

      »Er sieht ein wenig, wie soll ich sagen, mitgenommen aus ... Er ist doch gesund und so?«

      »Ja, wissen Sie, Tiere bekommen mehr mit, als man glaubt. Er hat monatelang unsere Diskussionen mit angehört. Er trauert, er ahnt, dass die Stunde des Aufbruchs naht. Er hat meine Frau immer geliebt. Sie konnte es übrigens nicht ertragen, dabei zu sein, als Sie kamen.«

      »Wird er sich bei mir wohl fühlen, was meinen Sie?«

      »Ich denke schon. Er will bei jemandem sein, der ihn auch haben will. Das spürt er instinktiv, und diesem Menschen tut er auch nichts zu Leide.«

      Seite an Seite betrachteten sie den Vogel, der mit einem glänzenden und starren Auge zurückglotzte. Der Mann schluckte, fuhr mit den Fingern über die Gitterstäbe.

      »Einige Vogelarten leben in Paaren, sie sind einander treu bis in den Tod!«, platzte er heraus, und kleine Speicheltropfen glänzten auf seinem Kinn. »Die Aras in Brasilien zum Beispiel, bis in den Tod!«

      Sie nickte vorsichtig.

      »Na, was meinen Sie, wenn Sie ihn haben wollen, nehmen Sie ihn doch gleich mit. Ich halte das nicht länger aus... Außerdem muss ich weiter ... packen.«

      »Wie viel wollen Sie für ihn haben?«

      »Nehmen Sie ihn einfach mit, er gehört Ihnen!«

      »Aber in der Anzeige ...«

      »Scheiß drauf. Scheiß drauf, was in der Anzeige stand. Ich will keine Öre haben. Nicht einmal für den Bauer.«

      »Den Bauer ... den kann ich leider nicht mitnehmen.«

      »Sie wollen den Bauer nicht?«

      »Nein. Ich glaube nicht, dass ich ihn ins Auto bekomme.«

      Er ging zum Fenster hinüber, starrte eine Weile hinaus. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, hatte er rote Augen. Er holte Luft, nahm Anlauf.

      »Dann werde ich ihn wohl wegwerfen müssen oder aber versuchen, ihn zu verkaufen. Oh Scheiße, ich halte das nicht aus, mich mit noch mehr beschissenen Anzeigen abzugeben. Und dem Vogel müssen wir die Flügel stutzen. Er kann aus einem Impuls heraus einfach abhauen, verstehen Sie, und dann wird er nicht mehr als ein paar Minuten unbeschadet überstehen, ehe sich die Elstern über ihn hermachen. Sie hacken ihn in kleine Stücke.«

      Justine entfuhr ein kleiner Schrei.

      »Nein ... Das können wir nicht tun!«

      Hastig wickelte sie ihr Halstuch ab. Es war lang und dünn und mehrmals um ihren Hals geschlungen.

      »Nicht die Flügel stutzen, nur das nicht ... Lassen Sie mich das so machen ... stattdessen ...«

      Sie hakte die Tür des Bauers auf und streckte ihren Arm hinein, langsam und steif. Sie hatte ein wenig Angst, der Mann machte sie nervös, sie wäre lieber allein gewesen. Der Vogel öffnete seinen Schnabel, er war schwarz und ein wenig gebogen, er ließ ein Zischen hören.

      »Komm«, flüsterte sie. »Klettere auf meinen Arm und setz dich.«

      Der Mann bewegte sich hinter ihr.

      »Sie verstehen etwas von Tieren, nicht wahr?«

      »Ja«, murmelte sie, und in gewisser Weise stimmte es ja auch. Der Vogel machte einen zögernden Schritt in ihre Richtung und saß auf einmal auf ihrer Hand. Er war schwer und warm. Sie zog den Arm zurück. Der Vogel blieb sitzen.

      Sie schob ihn auf den Küchentisch hinunter und wickelte dann das Halstuch um seinen Rumpf und seine Flügel. Er machte keine Anstalten zu fliehen.

      Sie nahm ihn in den Arm wie ein Kind.

      »Soooo«, flüsterte der Mann. »Sooo ...«

      Er sang ein wenig vor sich hin, summte mit eintöniger Stimme, wandte daraufhin die Lippen in Richtung Decke und gab einen Laut von sich wie aus einem samischen Jojk. Justine lief der Schweiß den Rücken hinunter.

      Sie ging zur Tür und versuchte, sich die Stiefel überzuziehen.

      »Ich werde Ihnen helfen!« Der Mann fiel neben ihr auf die Knie, presste ihre Füße in die Schuhe und verknotete die Schnürsenkel mit festen Doppelknoten. Er war verstummt. Er öffnete die Tür und folgte ihr hinaus. Als sie dabei war, ins Auto zu steigen, beugte er sich über den Vogel und küsste ihn schmatzend auf den Schnabel, wandte sich dann bestürzt ihr zu.

      »Er hackt sonst immer nach einem, wenn man das macht, hackt einem Löcher in die Kleider.«

      »Tatsächlich ...«

      Justine legte den Vogel neben sich auf den Vordersitz. Er sah aus, als würde er schlafen.

      »Sehen Sie mal, das Tier sieht jetzt aus wie eine Kohlroulade«, sagte der Mann, und sie bemerkte, dass er den Vogel nun zu etwas Neutralem gemacht hatte.

      Während sie den Wagen anließ, blieb seine Hand auf dem offenen Autofenster liegen. Es war eine schmale und eigenartig kindliche Hand.

      »Ich fahre dann mal«, sagte sie und legte den ersten Gang ein. Die Knöchel des Mannes wurden weiß.

      »Ja«, kam es von oben.

      Als das Auto sich in Bewegung setzte, ließ er los und machte eine Bewegung, als wollte er sie wieder zurückwinken. Erst als sie auf der Autobahn war, fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, nach dem Namen des Vogels zu fragen.

      Sie ließ ihn in ihrem Zimmer wohnen. Aus dem Garten holte sie einen Baum herein, den sie in einen Weihnachtsbaumständer stellte, und mit Hilfe eines Hakens in der Wand festmachte. Der Baum wurde zum Schlafplatz des Vogels. Nach ein paar Stunden hatte er jedes einzelne Blatt von den Ästen abgebissen.

      Er mochte es, in der Küche zu sein oder ihr Gesellschaft zu leisten, wenn sie dasaß und auf das Wasser hinausschaute. Überall fand sie seine eingetrockneten Spuren. Die erste Zeit achtete sie darauf, Zeitungen auszubreiten und alles wieder sauber zu machen. Mittlerweile geschah dies eher sporadisch, wenn ihr einfiel, dass das Haus ihr ganz allein gehörte und sie es pflegen musste, denn ihr Eigentum war es wert, gepflegt zu werden. Wie sie selbst.

      Die