Achtung! Totes Gleis. Arno Alexander

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Название Achtung! Totes Gleis
Автор произведения Arno Alexander
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711626030



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      „Was ist denn los?“ rief er bestürzt. „Was ist denn jetzt wieder geschehen?“

      „Aber ...“ sagte sie und schluchzte auf. „Ich möchte Ihnen doch so gern meine Adresse nennen ... aber ... aber ... ich habe doch gar keine Adresse mehr.“

      „So ist’s richtig!“ platzte Wessley heraus und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

      Eine Stunde später saßen Wessley und seine unverhoffte Schutzbefohlene in einem Wagen und fuhren zur Wohnung des Kapitäns. Durch genauere Fragen hatte Wessley herausgebracht, daß seine Begleiterin schon den ganzen Tag in der Stadt herumgeirrt war und seit dem Morgen nichts gegessen hatte. Wessley hatte darauf bestanden, daß sie erst in einer kleinen Wirtschaft etwas zu sich nahm, und dann erst hatte er den Wagen bestellen lassen.

      „Wohin bringen Sie mich?“ fragte sie, nachdem beide eine Zeitlang schweigend nebeneinander gesessen hatten.

      „Ich würde Sie gern in einem Hotel unterbringen“, sagte er nachdenklich, „aber leider sind meine Barmittel etwas erschöpft. Ich muß Sie also notgedrungen zu mir nehmen ... Regen Sie sich nicht auf: Ich habe zwei Zimmer.“

      „Ich rege mich nicht auf“, erwiderte sie langsam. „Ich würde mich auch nicht aufregen, wenn Sie nur ein Zimmer hätten ...“

      Das gefiel Wessley gar nicht. Er hatte sehr altmodische Anschauungen über Moral.

      „Nun“, knurrte er. „Das finde ich denn doch etwas merkwürdig ... wirklich merkwürdig. Zwei Zimmer sind hier meiner Ansicht nach unbedingt angebracht.“

      „Wenn ich zu Ihnen nicht Vertrauen hätte, würde ich nicht mit Ihnen gehen, auch wenn Sie fünf Zimmer hätten“, sagte sie, und es klang ein wenig vorwurfsvoll.

      Wessley war etwas beschämt, aber er wollte es sich nicht anmerken lassen.

      „Nun sagen Sie mir aber, bitte, wo hätten Sie übernachtet, wenn meine Frage nach Ihrer Adresse weniger dringend gewesen wäre?“ erkundigte er sich. Sie zögerte mit der Antwort.

      „Man kann doch auch die Nacht über aufbleiben“, meinte sie endlich.

      „So, so ... Na, das ist Geschmackssache. Wie heißen Sie eigentlich?“

      „Alice.“

      „Alice ... und weiter?“

      Sie antwortete nicht.

      „Ach so!“ sagte er gedehnt. „Ihr Vertrauen ist wirklich bewundernswürdig. Nun, ich kann ja warten, bis Sie mich für würdig halten, Ihren genauen Namen zu erfahren. Jedenfalls aber halte ich es für angebracht, mich Ihnen vorzustellen: Baron Steinitz aus Lichtenstein.“

      Wessley fühlte sich nicht recht wohl bei dieser Lüge, aber da er dieses Mädchen noch so gut wie gar nicht kannte, mußte er den angenommenen Namen angeben. Stimson hatte ihm besonders eingeschärft, sich allen Fremden gegenüber von nun an als Baron Steinitz zu bezeichnen.

      Der Wagen war vor dem Hause vorgefahren, in dem Wessley wohnte. Langsam stieg der Kapitän mit seiner Begleiterin die drei Treppen empor und öffnete dann möglichst geräuschlos erst die Wohnungstür und dann eine Zimmertür. Er drehte das Licht an und schritt rasch durchs Zimmer zu einer anderen Tür, hinter der das wütende Gekläff eines Hundes hörbar war.

      Kaum hatte Wessley die nächste Tür geöffnet, sprang ein riesiger Schäferhund heraus und auf das Mädchen zu. Alice schrie laut auf vor Schrecken.

      „Keine Sorge“, beruhigte Wessley sie vorwurfsvoll. „Das ist ein dressierter Hund. Er beißt nur Schutzleute.“

      6

      Professor Kisewetter war spät abends nach einem Konzertbesuch nach Hause gekommen. Obwohl er müde und abgespannt aussah, setzte er sich doch an den Schreibtisch, um noch etwas zu arbeiten. Aus einer Mappe, die zuunterst eines ganzen Stoßes von engbeschriebenem Papier lag, holte er ein paar Blätter hervor, die mit feiner stenographischer Kritzelschrift beschrieben waren. Er setzte eine Brille mit scharfen Gläsern auf und begann, die stenographischen Aufzeichnungen mit seiner steilen, kantigen Schrift in ein dickes schwarzes Buch zu übertragen.

      Der Fernsprecher klingelte, und Kisewetter mußte seine Arbeit unterbrechen. Er tat es ungern, mit ärgerlich zusammengezogenen Brauen.

      „Kisewetter. Wer dort?“ sprach er in die Muschel hinein.

      „Sie werden mich nicht kennen, Mr. Kisewetter ...“ lautete die Antwort. Der Professor hatte dabei sofort den Eindruck, der Sprecher befinde sich in großer Aufregung.

      „Was wünschen Sie?“ erkundigte er sich ruhig.

      „Wissen Sie, daß Maising heute früh verhaftet wurde?“ klang es zurück.

      Die schmale, feingegliederte Hand des Professors umkrallte den Hörer etwas fester. Das war aber das einzige Zeichen dafür, daß ihn diese Nachricht irgendwie berührte.

      „Warum melden Sie mir das? Wer sind Sie?“ fragte er gleichgültig.

      „Ich bin ein Freund Maisings“, antwortete der Fremde. Ich dachte, Sie würden Maising helfen wollen. Schließlich kann es Ihnen doch nicht gleichgültig sein, ob Maising ...“

      „Es ist mir gleichgültig“, unterbrach Kisewetter den Sprecher.

      Eine geraume Weile war es am anderen Ende der Leitung ganz still. Aber dann sprach wieder die aufgeregte Stimme:

      „Nachdem Maising Ihnen aber gewisse Dienste erwiesen hat, dürfte es wohl angebracht sein ...“

      „Maising ist für seine Dienste bezahlt worden“, sagte Kisewetter.

      „Entschuldigen Sie, Mr. Kisewetter, wollen Sie mich nicht verstehen, oder verstehen Sie mich wirklich nicht? Es ist unbedingt nötig, Maising zu helfen, und ich brauche dazu noch heute nacht dreitausend Dollar. Da Sie Ihrem langjährigen Freunde nicht freiwillig helfen wollen, muß ich Sie wohl dazu zwingen. Wünschen Sie vielleicht, daß Ihre Beziehungen zu Maising in den Zeitungen besprochen werden?“

      „Von was für Beziehungen sprechen Sie eigentlich?“ fragte Kisewetter spöttisch. „Was wissen Sie darüber?“

      Die Antwort war kurz und bündig:

      „Alles!“

      Der Professor schwieg, und nach einer Weile fuhr der Unbekannte eindringlich und aufgeregt fort:

      „Vor einigen Tagen erzählte mir Maising im Vertrauen von der Sache. Er ist so dumm, daß er bis heute nicht begreift, wie sehr er Sie in der Hand hat. Ist das deutlich, Mr. Kisewetter? Nun, ich bin nicht so dumm wie Maising, und Sie werden noch heute zahlen oder ...“

      „Mein Herr“, sagte Kisewetter gelassen. „Das einfachste wird wohl sein, Sie kommen gleich zu mir, und ich benachrichtige inzwischen die Kriminalpolizei.“

      Kisewetter hatte sich wunderbar in der Gewalt. Nach dem Stimmklang zu urteilen, hätte sein Gegner nie vermuten können, daß der Professor sich bei den letzten Worten mit einem seidenen Tüchlein über die kalkweiße und vom Schweiße feuchte Stirn fuhr.

      „Ich komme sofort!“ war die wütende Antwort.

      „Wollen doch mal sehen, ob Sie es wagen werden ...“

      Kisewetter sank merklich in sich zusammen.

      „Wir wollen nicht unnütz Zeit verlieren“, sagte er etwas leiser als bisher, aber immer noch mit auffallender Ruhe. „Ich will selbstverständlich meinem alten Freunde Maising beistehen ... Natürlich, es muß sofort etwas unternommen werden ...“

      „Also ich komme gleich zu Ihnen ...“

      „Nein, das geht nicht ...“ Kisewetter stand auf und trat, den Hörer am Ohr, an eine große farbige Wandkarte New Yorks. „Wir wollen uns irgendwo draußen treffen. Schlagen Sie etwas vor!“

      Bei diesen Worten des Professors ruhte die Spitze seines Bleistiftes schon auf der Karte und bezeichnete genau die Stelle,