Das Tal der Elefanten. Lauren St John

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Название Das Tal der Elefanten
Автор произведения Lauren St John
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783772543449



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seinen Hut mit dem Zebrafellband auf. «Ich muss los. Vielleicht haben die Männer von Mr. James ja meinen Jeep geflickt.» Und mit einem schelmischen Seitenblick auf Sampson fügte er hinzu: «Schließlich gibt es hier auch Leute, die arbeiten müssen.»

      «Und du nennst das, was du tust, Arbeit?», gab Sampson zurück. «Du bist doch tagaus, tagein auf Safari.» Dann gingen die beiden lachend und scherzend aus dem Haus.

      Als sie weg waren, blickte Ben Martine durchdringend an und fragte sie: «Was genau ist da abgegangen mit dem Büffel im Reservat? Wie hast du ihn geheilt, einfach so?»

      Mit einem nicht minder scharfen Blick gab sie zurück: «Das war die Medizin von Grace. Das hatte nichts mit mir zu tun. Diese Muti bewirkt Wunder.»

      Ben ließ es dabei bewenden, denn er wusste, dass es mitunter besser ist, gewisse Dinge nicht auszusprechen.

      «Ich weiß ja nicht, was du empfunden hast, aber ich hatte Todesangst, als der Elefant lostrampelte», sagte Martine, offensichtlich dankbar dafür, dass Ben nicht nachhakte. «Aber warum ging Angel so auf uns los?»

      «Vielleicht hat sie etwas gesehen oder gerochen, das sie wütend gemacht hat.»

      «Kann sein. Tendai hat mir gesagt, dass Elefanten nie vergessen. Studien haben bewiesen, dass Elefanten die Angehörigen verschiedener Stämme an ihrer Kleidung oder an ihrem Geruch erkennen können. Aber was hat sie denn gesehen oder gerochen?»

      «Oder wen?», sagte Ben.

      Martine sah ihn überrascht an. «Was meinst du damit?»

      «Vielleicht war sie auf irgendeinen von uns wütend.»

      «Aber warum? Wir waren immer nur gut zu ihr.» Während sie diese Worte aussprach, musste Martine an den Hass in Angels Augen denken, als sie auf Lurks Jacke herumtrampelte.

      Laut röhrend sprang der Motor von Tendais Jeep an. Martine sprang auf und rannte zur Haustür. «Hey Tendai!», rief sie. «Woher stammt eigentlich Angel? Ich weiß, dass sie ein Wüstenelefant ist. Aber wie ist sie in Sawubona gelandet?»

      Er blickte sie verdutzt an, während er den ersten Gang einlegte. «Ich dachte immer, du weißt das», sagte er. «Angel war ein Geschenk von Reuben James an deinen Großvater.»

      • 7 •

      Man lässt eine alte Frau doch nicht einfach stehen am Wegrand.» Es war 3 Uhr früh. Martine erstarrte vor Schreck. Das war nicht weiter erstaunlich, denn schließlich krakeelte ihnen aus der Dunkelheit eine wohlbeleibte Medizinfrau mit afrokaribischem Akzent entgegen.

      Eigentlich hatte Martine nicht geplant, sich zu dieser Unzeit im Wildreservat aufzuhalten. Ursprünglich wollte sie um 21 Uhr ins Bett gehen, zwei Stunden schlafen und sich dann um etwa 23 Uhr, zu einer relativ zivilen Zeit also, ins Reservat begeben. Doch es lief anders. Sie schlief länger als zwei Stunden, schaffte es, als sie schließlich wach war, nur mit allergrößter Mühe aufzustehen, und hatte überdies ein schlechtes Gewissen, als sie sich in das Reservat schlich. Nicht weil sie verschlafen hatte, sondern weil sie sich über die Anweisungen ihrer Großmutter hinweggesetzt hatte. Unter normalen Umständen durfte sie nach Einbruch der Dämmerung nicht mit Jemmy ausreiten. Doch dann redete sie sich ein, dass die Umstände diesmal alles andere als normal waren.

      «Grace!», rief sie, nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte. Als die Sangoma hinter einem Busch hervorgetreten war, hatte Jemmy das Weite gesucht, doch jetzt stakste er zaghaft auf sie zu. Martine stieg von seinem Rücken und stürzte sich in die ausgebreiteten Arme der Zulufrau.

      «Ich bin so glücklich, dich zu sehen. Wie war es in Kwazulu-Natal? Hat Tendai dir erzählt, was hier abgeht? Was für ein Albtraum! Ein Geschäftsmann will Sawubona übernehmen. Er behauptet, mein Großvater habe ihm einen Kredit nie zurückbezahlt, und wir müssen alle an Heiligabend verschwinden, und Jemmy …»

      «Nur mit der Ruhe, Kind! Dafür haben wir genug Zeit später», unterbrach sie Grace. «Jetzt müssen wir gehen schnell zum Geheimen Tal.»

      Dann legte sie eine Hand auf ihre ausladende Hüfte und blickte ratlos Jemmys langen weißen Rücken empor. «Und wie soll die gute alte Grace jetzt da hochkommen?»

      Einen Augenblick lang verschlug es Martine die Sprache. Der bloße Gedanke, dass Grace – eine Frau, die ihre Desserts am liebsten gleich selbst verspeiste – Jemmy besteigen wollte, war gelinde gesagt besorgniserregend. Die Gefahr, dass die weiße Giraffe einen irreparablen Rückenschaden davontragen würde, war groß. Andererseits wäre ihre Freundin bestimmt verletzt, wenn sie sie darauf aufmerksam machen würde.

      Glücklicherweise – oder unglücklicherweise – wurde ihr die Entscheidung abgenommen. Jemmy, der Fremden gegenüber normalerweise wie versteinert war, gab seinen flatternden, melodischen Ton von sich und legte sich zu Boden, woraufhin Grace mit majestätischer Eleganz auf seinen Rücken stieg und sich dort wie in einem bequemen Lehnstuhl niederließ. Dann streckte sie Martine eine Hand entgegen und sagte: «Komm Kind, was wartest du noch?»

      Martine konnte nicht ablehnen, ohne Grace wegen ihres Umfangs vor den Kopf zu stoßen. Also kletterte sie auf den Widerrist der Giraffe, hielt sich an ihrer Mähne fest und sprach ein leises Gebet zu Jemmy und den vereinten Giraffengöttern.

      Als Jemmy langsam aufstand, klammerte sich Grace an Martine fest und schnatterte wie wild auf Zulu vor sich hin. Martine wusste nicht, ob sie fluchte oder betete. Zu guter Letzt jedoch machte sich Jemmy, sehr langsam vorwärts schreitend, mit seinen zwei Reiterinnen auf den Weg.

      Normalerweise bahnte sich Martine ihren Weg in das Geheime Tal, indem sie die Zähne zusammenbiss, tief Atem holte und sich an Jemmys Mähne und Hals festklammerte, während dieser mit voller Wucht auf den knorrigen Baum und den mit Dornen gespickten Vorhang aus Kriech- und Schlingpflanzen losgaloppierte, der den engen Felsspalt verdeckte. Mit der gewichtigen Passagierin Grace auf dem Rücken kam diese Methode heute jedoch nicht in Frage. So mussten die beiden Menschen eher schwerfällig durch das Unterholz kriechen, während sich die weiße Giraffe anmutig ihren Weg durch den Spalt suchte.

      «Du solltest deinen Führerschein so bald wie möglich machen, Honey», sagte Grace, während sie Blätter, Moos und Dornen aus ihrer Frisur klaubte. «Auf einer Giraffe reiten – das ist zum Vergessen. Nun werde ich humpeln tagelang wie ein Rodeo-Cowboy. Aber wie bist nur du in das Tal gekommen durch den Dornenbusch, ohne dass du bist völlig zerfetzt?»

      «Ich wusste gar nicht, dass es einen anderen Eingang zum Tal gibt», sagte Martine. Sie schaltete die Taschenlampe ein und ließ ihren Kegel durch das Tal gleiten. Sie standen in einem von Orchideenduft erfüllten Kessel, der von zwei nach innen geneigten Felswänden begrenzt war. Oben mündeten die Wände in ein dunkelblaues Himmelrechteck voller funkelnder Sterne. «Und wie gelangst du normalerweise ins Tal hinein?»

      Geheimnisvoll lächelnd sagte Grace: «Ich habe meinen Weg, Kind. Du hast deinen.»

      Martine war schon oft in der Gedächtnishalle gewesen, und doch hatte diese immer wieder etwas Magisches für sie. Die schwere, stickige Luft, ähnlich wie in einer von Weihrauch erfüllten Kathedrale, versetzte sie in jene ferne Zeit, in der die San-Buschmänner ihr Leben auf die Granitfelsen gemalt hatten. Bilder von wilden Tieren und Männern mit Speeren oder Löwenmasken huschten schemenhaft wie Schattengespenster über die Höhlenwände.

      Martine und Grace ließen sich auf einem flachen Fels nieder, der wie eine natürliche Sitzbank aussah. Martine spürte, dass Khan, der Leopard aus Simbabwe, bei dessen Rettung sie mitgeholfen hatte, sich lautlos von hinten angeschlichen hatte. Sie stellte sich vor, dass er wie eine Sphinx auf einem Felssims hinter ihnen lag. Sein goldenes Fell mit den onyx-schwarzen Rosetten glänzte im Schein der Taschenlampe. Sie wusste, dass er sie mit einer Mischung aus Liebe und Verunsicherung beobachtete. Verunsicherung