Das Tal der Elefanten. Lauren St John

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Название Das Tal der Elefanten
Автор произведения Lauren St John
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783772543449



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auch nicht. Er fühlt sich einfach nicht so gut.»

      «Tendai», sagte Ben leise. «Er hat recht.»

      Eine Elefantenkuh, groß wie ein Affenbrotbaum, stand im Schatten der Bäume und schwenkte bedrohlich die Ohren. Als sie dann auch noch ohrenbetäubend trompetete, war klar, dass sie gleich angreifen würde.

      Lurk riss Tendais Gewehr an sich.

      «Sind sie wahnsinnig?», schrie Tendai und versuchte, ihm das Gewehr wieder zu entreißen. «Wollen Sie, dass wir alle draufgehen? Das ist kein Gewehr für einen Elefanten. Für die Kuh würde sich der Schuss höchstens wie ein Bienenstich anfühlen und sie sehr, sehr stark reizen.»

      Lurk entsicherte die Waffe und nahm den Elefanten ins Visier.

      Doch Tendai packte ihn am Handgelenk und drückte so fest zu, dass Lurk sich vor Schmerzen wand und das Gewehr fallen ließ. «Schluss jetzt damit, oder ich knalle Sie eigenhändig ab. Wir bewegen uns jetzt alle ruhig zum Landrover zurück. Wenn der Elefant uns angreift, müsst ihr davonlaufen, aber im Zickzack, um das Tier zu verwirren. Seid ihr bereit? Also los!»

      Sie hatten nur ein paar wenige Schritte zurückgelegt, als Lurk in Panik verfiel und in Richtung des Landrover davonspurtete. Bisher hatte Martine Elefanten nur um ein Wasserloch stehen oder etwas schwerfällig herumtraben sehen. Umso erstaunter war sie, als die Elefantenkuh wie ein startendes Rennpferd aus dem Wäldchen geschossen kam und dem Fahrer hinterhergaloppierte. Sie hatte ihn im Nu eingeholt. Es schien klar, dass sie ihn zu Tode trampeln würde, bevor er das Fahrzeug erreichen konnte. Er hatte völlig vergessen, dass er im Zickzackkurs laufen musste.

      Tendai hatte seine Arme um Ben und Martine geschlungen. Fassungslos und entsetzt verfolgten sie zu dritt die Szene. «Jacke ausziehen, Lurk!», rief der Wildhüter. «Jacke ausziehen und fallen lassen.»

      Die Elefantenkuh kam dem Fahrer immer näher. Unter ihren enormen Füßen gab die Erde nach. Ein paar Sekunden noch, und Lurk würde von dem Dickhäuter zu blutigem Brei geschlagen.

      «Die Jacke», kreischte Tendai. «Jacke ausziehen!»

      Irgendwie schienen die Worte in Lurks versteinerte Gehirnwindungen vorzudringen. Im Laufen schälte er sich aus seiner Jacke und schleuderte sie zu Boden. Die Elefantenkuh blieb verdutzt stehen. Sie blickte von Lurk zu dem zerknitterten roten Knäuel am Boden. Einen Moment lang sah es aus, als würde sie die Verfolgungsjagd wieder aufnehmen, doch als Sampson den Motor des Landrover startete, besann sie sich auf den einfacheren Weg und stürzte sich auf die Jacke. Staubwolken stiegen auf, als sie mit den Füßen auf der Jacke herumstampfte und -trampelte, sie in die Höhe warf, um sogleich wieder auf sie einzudreschen.

      Endlich kam Lurk beim Fahrzeug an, riss die Tür auf und warf sich schluchzend hinein. Sampson preschte, noch bevor er richtig im Sitz saß, in Richtung von Tendai, Martine und Ben davon. Diese warfen sich blitzschnell in das Fahrzeuginnere und knallten die Türen hinter sich zu. Während Sampson das Gaspedal durchdrückte und den Landrover mit aufheulendem Motor vom tobenden Elefanten weg auf den Fahrweg steuerte, hörte Martine im Hintergrund das wütende Trompeten der Elefantenkuh.

      • 6 •

      Auf der Rückfahrt sprach niemand ein Wort. Lurk schniefte wehleidig vor sich hin, die anderen waren einfach nur geschockt. Und glücklich, noch am Leben zu sein.

      Auch Martine wusste, dass sie sich glücklich schätzen konnten, doch sie beschäftigte sich nicht weiter damit. Sie musste an die Augen des Elefanten denken. Seit sie in Sawubona war, hatte sie mehrere Begegnungen mit ausgewachsenen Elefanten gehabt. Vor allem aber war sie einem jungen Elefantenwaisen, der Shaka hieß, nahe gekommen. Und stets war sie vom weisen und freundlichen Blick dieser braunen Augen beeindruckt. Bei dem Elefanten aber, der Lurk angegriffen hatte, war das ganz anders gewesen. Aus den Augen der Elefantenkuh hatte abgrundtiefer Hass geblitzt. Sie schien nur einen Gedanken gehabt zu haben: den Fahrer zu zertrampeln und in der Luft zu zerreißen – genau so, wie sie es schließlich mit seiner Jacke getan hatte.

      Als sie sich dem Haus näherten, riss sich Lurk zusammen, und als Sampson den Landrover schließlich vor dem Eingang zum Reservat zum Stehen brachte und Lurk die Schlüssel übergab, war er bereits wieder der Griesgram von vorher. Wortlos kletterte er auf den Fahrersitz und strafte Tendai mit einem giftigen Blick. Es war offensichtlich, dass er den Wildhüter für seine Pein verantwortlich machte.

      Tendai wartete, bis der Landrover davongefahren war. Dann sagte er: «Ich glaube, wir können jetzt alle eine Tasse Tee vertragen.»

      Zehn Minuten später saßen sie um den Küchentisch, tranken dampfend heißen Rooibos-Tee, aßen Melktert, einen mit Zimt bestrichenen Puddingkuchen, und fühlten sich sehr viel besser.

      «Ich kann’s nicht verstehen», sagte Tendai. «Ich habe diese Elefantenkuh fast jeden Tag gesehen, seit sie vor drei Jahren zu uns gekommen ist. Und sie gehört zu den scheuesten und ängstlichsten Tieren des Reservats. Elefanten sind Herdentiere. Sie bewegen sich gerne innerhalb ihrer Familie, aber Angel – ich nenne sie so, weil sie unter unseren Dickhäutern stets die sanfteste war – ist immer allein und läuft schnell einmal davon. Sie hat Angst vor Menschen. Aber heute hat sie sich wie ein wild gewordener Elefantenbulle verhalten. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn Lurk seine Jacke nicht zu Boden geworfen hätte.»

      «Das war Angel?», sagte Martine überrascht. Im allgemeinen Chaos hatte sie sich gar nicht überlegt, um welchen Elefanten es sich eigentlich gehandelt hatte.

      In Sawubona lebten dreizehn Elefanten. Einige stammten aus einem sambischen Wildreservat mit Platzproblemen, andere waren Waisen von Tieren, die zur Bestandsregulierung aus Zuchtherden ausgesondert worden waren, und wiederum andere waren von Martines Großeltern zugekauft worden, um im Reservat ein Gleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Tieren herzustellen. Martine kannte die Geschichten der einzelnen Elefanten nicht und sie konnte sie – mit Ausnahme von zwei Tieren – auch nicht voneinander unterscheiden: Shaka, das Elefantenbaby, dem sie monatelang aus einem Eimer Milch gefüttert hatte, und Angel. Angel war kein normaler afrikanischer Elefant, sondern eine Vertreterin der Wüstenelefanten, die in Namibia, einem Nachbarland Südafrikas, heimisch waren.

      Angel war für Martine so wichtig, weil sie von Stammesleuten gehört hatte, dass es diese Elefantenkuh gewesen war, die die weiße Giraffe gerettet hatte, nachdem deren Eltern nur Stunden nach ihrer Geburt getötet worden waren. Irgendwie musste Angel Jemmy die Flucht ermöglicht und ihn im Geheimen Tal in Sicherheit gebracht haben. Sie hatte ein paar Tage zuvor ein Elefantenkalb verloren und war deshalb dem betrübten und verstörten Giraffen-baby nicht nur besonders zugetan, sondern auch in der Lage, es zu säugen. Martine bedauerte es manchmal, dass ihr dieser Anblick versagt geblieben war. Auf jeden Fall blieben sich die beiden Tiere gegenseitig verbunden, und für Jemmy war Angel so etwas wie eine adoptierte Mutter.

      Bei ihren Ausritten mit Jemmy war Martine dann und wann Angel nahe gekommen. Und wie Tendai hatte auch sie die Elefantenkuh als extrem scheu kennengelernt. Sie war immer allein. Entweder war sie aus der Herde ausgestoßen worden oder sie mied die anderen Tiere. Jemmy war ihr einziger Freund gewesen, doch als dieser ausgewachsen war, distanzierte sie sich auch von ihm – vielleicht um von ihrer gemeinsamen Geschichte abzulenken. Und nun war dieses scheinbar engelhafte Wesen grundlos auf sie losgegangen.

      «Deshalb sage ich immer, dass man mit Wildtieren nie ein Risiko eingehen darf», sagte Tendai. «Sie sind unberechenbar wie der Wind. Man muss immer auf der Hut sein.»

      «Tiere sind rätselhaft», sagte Sampson zustimmend. «Ich hätte auf das Leben meiner neun Kinder geschworen, dass dieser Büffel drauf und dran war, an einer Viruserkrankung einzugehen. Ich war überzeugt, dass er gleich sein Leben aushauchen würde, als ich euch heute Morgen angefunkt habe. Und dann ist er plötzlich auf- und davongesprungen wie ein junger Bulle!»

      Lachend sagte Tendai: «Deine Augen sind nicht mehr, was sie einmal waren, Alter.