Gommer Sommer. Kaspar Wolfensberger

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Название Gommer Sommer
Автор произведения Kaspar Wolfensberger
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Kauz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783311701798



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Er werde noch einige Fragen beantworten müssen. Kauz dachte gar nicht daran, sich als Polizist zu erkennen zu geben. Er wusste, dass er sich nicht einmischen durfte. Da hielt er sich am besten von Anfang an heraus. Soweit er es von seiner Warte aus beobachten konnte, inspizierte die Polizistin den Speicher ohne Aufregung und ohne Spuren zu verwischen. Als Erstes hatte sie sich vergewissert, dass der Erhängte längst tot war und dass es sich erübrigte, den Strick zu kappen. Sie würde den Toten erst zusammen mit Aspirant Carlen herunternehmen, wenn alle andern da waren und der Fundort der Leiche fotografiert worden war. Sie nahm ihr Funkgerät zur Hand und rief heute schon zum zweiten Mal die Einsatzzentrale an.

      Dann gab Korporal Ritz dem Aspiranten Carlen Anweisungen und widmete sich ihrer Auskunftsperson. Sie ging mit Kauz in den leeren Ziegenstall. Als wolle sie ihm den Anblick des Toten nicht zumuten.

      Das Erscheinen der Polizei war nicht unbemerkt geblieben. Einen Streifenwagen auf Patrouille oder mit Blaulicht und Sirene auf der Furkastrasse zu einem Unfall fahren zu sehen, war nichts Außergewöhnliches. Dass das Polizeifahrzeug ins Dorf hineinfuhr und Uniformierte ausstiegen, um ein Haus zu inspizieren, war etwas ganz anderes. Schon tauchten erste Neugierige auf, die sich bei dem vor dem Speicher postierten Polizisten erkundigten, was los sei. Er forderte sie freundlich, aber bestimmt auf, weiterzugehen. Was sie natürlich nicht taten. Einen oder zwei Stadel weiter blieben sie stehen, tuschelten und beobachteten neugierig die Szene.

      Korporal Ritz wollte von Kauz einiges wissen. Wann er die Leiche gefunden habe, war ihre erste Frage.

      Er nannte die Uhrzeit.

      Ob die Speichertüre geschlossen gewesen sei – »Isch d Poort züä gsi?« –, ihre nächste. D Poort, wie Kauz dieses Wort liebte!

      Zu, bestätigte er, aber nicht abgeschlossen.

      »Nicht abgeschlossen?«, fragte sie und runzelte die Stirn. Wo denn der Schlüssel sei? Schlussel, sagte sie, nicht Schlüssel, und Kauz musste unwillkürlich schmunzeln. Hüüs, nicht Huus, sagten die Gommer. Dafür Schlussel statt Schlüssel. Kauz und seine Schwester hatten den Vater jedes Mal geneckt, wenn er Schlussel sagte. Ihn hatte es nicht gekümmert.

      »Keine Ahnung«, sagte Kauz.

      »Im Türschloss steckt er nämlich nicht«, stellte sie fest.

      Ob er den Toten kenne und in welcher Beziehung er zu ihm stehe.

      »Ich kenne ihn. Er heißt Wendelin Imfang. Ihm gehört dieser Speicher, ich bin sein Mieter.«

      »Dann wohnt er selber also gar nicht hier«, stellte sie fest. Wieder runzelte sie die Stirn, schüttelte verwundert den Kopf.

      Sie hat noch kein Pokerface, dachte Kauz.

      »Nein, er wohnt weiter weg«, antwortete er, zeigte mit dem Arm die Richtung und beschrieb das Bauernhaus der Imfangs.

      »Aha, auf dem Milifäld«, quittierte sie seine Beschreibung. »Sagen Sie, sind Sie ein Angehöriger?«

      »Nein, ein Feriengast. Ich bin bloß Mieter dieses Speichers.«

      »Ich weiß. Aber Sie heißen Walpen. Sie könnten ein Angehöriger sein, ein Verwandter.«

      »Nein, bin ich nicht.«

      »Würden Sie mir bitte Ihren Ausweis zeigen?«

      »Klar.«

      Kauz klaubte seine Identitätskarte hervor. Korporal Ritz schrieb die Details sorgfältig ab.

      »Beruf?«

      »Kantonaler Beamter«, sagte er. Immerhin stand er noch ein halbes Jahr auf der Lohnliste. »Zur Zeit im Urlaub.«

      »Alles klar«, sagte die Polizistin. »Adresse?«

      Er gab sie ihr.

      »Wissen Sie, ob der Tote Angehörige hat?«

      »Er war ledig. Er lebt bei den Eltern. Oder vielmehr mit den Eltern. Sie leben bei ihm, auf dem Hof, der früher ihnen gehört hat. Geschwister hat er, glaube ich, keine.«

      »Sind Sie ganz sicher, dass es sich beim Toten um Wendelin Imfang handelt?«, fragte sie, leisen Zweifel in der Stimme. »Tote sehen manchmal anders aus als im Leben. Besonders – entschuldigen Sie – besonders Erhängte und Ertrunkene.«

      »Ich weiß«, sagte Kauz.

      Sie sah überrascht auf.

      »Wie geht es jetzt weiter?«, fragte er schnell, um sie abzulenken.

      »Der Bezirksarzt muss kommen. Vielleicht kommt der Staatsanwalt persönlich, wenn er es für nötig hält. Vielleicht die Spurensicherung, je nachdem, was der Bezirksarzt feststellt. Und der Bestatter. Wie bei jedem AgT«, erklärte Korporal Ritz. »Wie bei jedem außergewöhnlichen Todesfall, meine ich. Ein Selbstmord ist ein außergewöhnlicher Todesfall.«

      »Ach so«, spielte Kauz den Naiven. »Und dass es Selbstmord ist, ist sicher?«

      »Sicher ist man nie«, sagte sie. Das gefiel Kauz natürlich. »Aber nach einem Verbrechen sieht es mir nicht aus. Keine Kampfspuren, soweit ich es beurteilen kann. Keine Anzeichen von Fremdeinwirkung«, und das gefiel ihm jetzt weniger. »Ich will dem Bezirksarzt ja nicht vorgreifen. Aber wenn Sie mich fragen, ist es ein klassischer Selbstmord.«

      Darauf sagte Kauz nichts.

      »Obwohl …«

      »Was?«

      »Obwohl im Speicher kein Abschiedsbrief lag.«

      Auch der junge Uniformierte, der sich mit ihr zusammen unten im Speicher umgesehen hatte, hatte keinen gesehen. Er hatte die Speichertür mittlerweile zugezogen, mit einem Polizei-Klebeband versiegelt und stand bei ihnen im Ziegenstall.

      Ob ein Brief in der Kleidung des Toten stecke, werde man untersuchen, sobald Bezirksarzt und Staatsanwalt da seien.

      Kauz betrachtete die recht groß gewachsene Frau. Sie mochte Ende dreißig, vielleicht auch Anfang vierzig sein. Ihr dunkelblondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie machte einen nicht unsportlichen Eindruck, war aber nicht dieser spindeldürre Triathletentyp. Eher kräftig gebaut. Langläuferin?, fragte er sich. Oder Radsportlerin?

      »Wie gesagt«, nahm sie den Faden wieder auf, »der Bezirksarzt wird die Legalinspektion vornehmen. Die Leichenschau, wissen Sie. Danach muss der Staatsanwalt entscheiden.«

      »Was entscheiden?«, fragte Kauz. Er fand es selbst etwas fies, sich so unwissend zu stellen.

      »Ob weiter ermittelt wird oder nicht.«

      »Aha. Ja, dann. Brauchen Sie mich noch?«

      »Nein. Sie dürfen gehen. Hier bleiben dürfen Sie leider nicht. Wäre wohl auch nicht unbedingt Ihr Wunsch, oder? Der Zutritt zum Speicher ist einstweilen verboten.«

      »Verstehe. Ich werde mir vorübergehend ein Hotelzimmer nehmen. Was ist mit den Angehörigen?«

      »Die werden wir jetzt aufsuchen. Wir müssen den Eltern sagen, dass ihr Sohn tot ist. Hätten Sie mir Ihre Karte, falls ich noch etwas von Ihnen wissen muss?«

      Beinahe hätte er die offizielle Visitenkarte gezückt, die er noch im Portemonnaie hatte. Die hatte ihm Frau van Hooch nicht wegnehmen lassen. Stattdessen nannte er Korporal Ria Ritz seine Handynummer.

      »Hier ist meine«, sagte sie und gab ihm ihre Visitenkarte. »Falls noch irgendetwas ist. Wir warten jetzt auf den Staatsanwalt und den Bezirksarzt.«

      Kauz fasste das als Aufforderung auf, zu gehen. Er belud seine alte BMW mit den Satteltaschen, packte den Rucksack auf den Gepäckträger, kickte die Maschine an und machte sich auf die Suche nach einem Hotelzimmer.

      *

      Am frühen Morgen hatte sie sich noch davor drücken können – Doktor Kalbermatten hatte die Angehörigen des Verunfallten Hubert Trapper benachrichtigt –, jetzt musste Korporal Ritz nach Rücksprache mit der Staatsanwältin selbst diese Aufgabe übernehmen: Während der Bezirksarzt im Speicher die Legalinspektion