Falling Skye (Bd. 1). Lina Frisch

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Название Falling Skye (Bd. 1)
Автор произведения Lina Frisch
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783649636410



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schaffst das schon, Skye.« Coach Verse ist meinem Blick gefolgt und schaltet die Anzeige mit einem Befehl seines Smartphones aus, sodass die Rangliste des Teams vor meinen Augen verschwindet.

      »Es ist bloß …« Ich zögere. Rationale zeigen keine Unsicherheit! »Das Laufen erhöht meine Chancen auf einen Platz an der Cremonte-Uni nur dann, wenn ich meine Bestzeit halte oder mich steigere. Dieser Patzer hat mich heute eine Minute gekostet, ganz egal, wie rational ich meinen Fehler ausgebügelt habe.«

      Coach Verse schiebt sein blaues Schweißband aus der Stirn, das er immer trägt, obwohl niemand ihn jemals laufen gesehen hat. Ich erwarte eine Strategie, wie ich noch mehr aus mir herausholen kann, doch stattdessen weicht er meinem Blick aus. Wenn ich nicht wüsste, dass ich mich irren muss, würde ich den merkwürdigen Ausdruck in seinem Gesicht als Traurigkeit deuten.

      »Coach?«, frage ich zaghaft und er zuckt zusammen.

      »Die Cremonte-Uni, hm? Mach dir darum keine Sorgen. Ich habe selten eine Schülerin trainiert, die sich so sicher war, zu welchem Trait sie gehört.« Coach Verse verzieht seine Mundwinkel zu einem unverbindlichen Lächeln, als würden wir über das Wetter sprechen, doch es erreicht seine Augen nicht. Er wirft einen Blick über seine Schulter, bevor er hastig mit gesenkter Stimme fortfährt: »Hör zu, Skye. Das Konsilium interessiert sich nicht dafür, wie schnell du läufst. Du hast rational gehandelt, und das ist alles, was zählen wird.«

      Das Konsilium. Ein ehrfürchtiger Schauer zieht sich über meinen Rücken. Niemand weiß etwas Genaues über den Vorgang der Testung im Athene-Zentrum, außer, dass diese Gruppe hoch ausgebildeter Psychologen dafür verantwortlich ist, die Ausrichtung unserer Persönlichkeit zu bestimmen – unseren Trait. Das Konsilium wird darüber urteilen, welches Leben zu mir passt: das einer Rationalen oder das einer Emotionalen.

      Coach Verse presst seine schmalen Lippen aufeinander. »Denk an meine Worte. Und pass auf dich auf.«

      Ich nicke, verwirrt von der plötzlichen Ernsthaftigkeit in seiner Stimme.

      »Bis morgen, Coach.« Ich lächle ihm zu, bevor ich mich in die Umkleideräume begebe und die zum Glück noch weit entfernte Testung aus meinen Gedanken vertreibe.

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      Mittlerweile müssten die Duschen leer sein, überlege ich, während die Gummisohlen meiner Sportschuhe unangenehm auf den Fliesen quietschen. Ich sollte mich beeilen, denn Dad hat mich gebeten, heute pünktlich zu Hause zu sein, damit wir zusammen essen können. In letzter Zeit kommt er oft so spät aus dem Büro, dass ich längst schlafe, und morgens ist alles, was ich von ihm sehe, die leere Kaffeetasse auf der Anrichte. Er glaubt, ich würde unter seiner ständigen Abwesenheit leiden, aber ich verstehe, wie wichtig seine Arbeit im Parlament ist. Und außerdem bin ich nicht allein. Ich muss unwillkürlich lächeln, als ich an die Abende neben Elias auf der breiten Fensterbank seines Zimmers denke. Gegen nichts in der Welt würde ich diese Stunden eintauschen wollen! Ich schlängele mich an den Mädchen in Handtüchern und Flip-Flops vorbei, schnappe mir meine Sporttasche und steuere auf die Duschen zu.

      »Pass auf, mit wem du dich anlegst.«

      Überrascht schaue ich auf.

      »Wie bitte?« Die Dampfwolken um mich herum machen es schwer, den Schatten vor mir zu identifizieren.

      »Glaub bloß nicht, dass ich deine kleine Sabotageaktion einfach so hinnehme.« Jasmine deutet mit dem Finger auf mich. »Ich werde Jahrgangsbeste sein, dieses und auch nächstes Jahr. Ich werde einen Platz an der Cremonte-Uni bekommen. Steh mir dabei besser nicht im Weg!«

      Ich sehe mich um, doch Jasmine und ich sind allein im Duschraum.

      »Auf dem Campus gibt es mit Sicherheit Platz genug für uns beide«, sage ich versöhnlich, denn ich habe wirklich keine Lust, auch noch meine Studienzeit in einem unfreiwilligen Zickenkrieg zu verbringen.

      »Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht ganz so sicher.« Jasmine mustert mich. »Die Cremonte ist eine Uni für die zukünftigen Führer dieses Landes. Für Rationale, die unter Druck nicht nachgeben. Du hast vorhin die richtige Entscheidung getroffen, indem du meine Zeit deinem Erfolg geopfert hast.« Mit honigsüßer Stimme flüstert sie mir ins Ohr: »Aber du hast ein schlechtes Gewissen, nicht wahr?« Jasmine richtet ihr Handtuch. Was fällt ihr ein, mich darüber zu belehren, was Rationalität ausmacht! Als wüsste ich nicht selbst, was ein R von seiner Trägerin verlangt. »Und pass besser auf, dass du dich nicht zu sehr mit Fiona anfreundest«, raunt sie mir zu, während sie sich zum Gehen wendet. »Nicht, dass ihre Emotionalität noch auf dich abfärbt – oder ihr lahmarschiger Laufstil. Dieses Team kann wirklich keine zwei Loser vertragen.«

      Die Summe von Jasmines kleineren und größeren Gemeinheiten wird in meiner Erinnerung lebendig. Ich straffe meine Schultern.

      »Rationale sind vielleicht ehrgeizig«, sage ich leise und deutlich. »Aber sie sind keine kaltherzigen Menschen.«

      Jasmine dreht sich noch einmal um. Spöttisch verzieht sie die frisch nachgeschminkten Lippen. »Danke für den Ratschlag der Expertin. Sonst noch was?«

      »Ja, allerdings«, zische ich. »Du solltest an deiner Impulsivität arbeiten. Es wäre ja schließlich blöd, wenn dir so ein Ausrutscher wie eben im Athene-Zentrum passiert und du am Ende mit einem E dastehst.«

      Jasmine starrt mich ungläubig an, aber ich bin die Regeln der Highschool-Monarchie leid, die sie zu unserer selbst gewählten Königin machen. Und ich bin es leid, die Klappe zu halten, damit Elias sich nicht zwischen seinen Freunden entscheiden muss. »Ach, noch etwas: Lass gefälligst endlich Fiona in Ruhe!«

      Ich kann mir ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen, als ich der erstarrten Jasmine den Rücken zukehre und sie ohne ein weiteres Wort im Eingang des Duschraums stehen lasse.

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      Unter der Dusche spüre ich plötzlich, wie erschöpft ich eigentlich bin. Die Prüfungen zum Ende des Schuljahres, das ungewöhnlich anstrengende Training und mein herannahender sechzehnter Geburtstag fordern ihren Tribut. Seufzend schließe ich die Augen, lege den Kopf in den Nacken und lasse das heiße Wasser auf mein Gesicht prasseln. Ich muss mir dringend noch eine Ausrede zurechtlegen, warum ich dieses Jahr wieder keine Party gebe. Elias wird enttäuscht sein, aber es geht nun mal nicht. Das kann ich Dad nicht antun. Meine Gedanken wandern von meinem Vater zu Coach Verse, dem Dank, den ich Dad ausrichten soll – und der seltsamen Verabschiedung. »Pass auf dich auf.« War das nur eine einfache Floskel? Es klang fast wie eine Warnung. Ich schüttle den Kopf. Das kann nicht sein. Wovor müsste ich schon gewarnt werden?

      Ein Scheppern lässt mich aufschrecken. Ich drehe das Wasser ab und taste nach meinem Handtuch, doch als sich der Dampf auflöst, ist niemand im Raum zu sehen. Schulterzuckend trockne ich mich ab, als meine nackten Füße beinahe über meine Wasserflasche stolpern. Der Inhalt meiner Tasche liegt kreuz und quer auf dem Boden verteilt, und ich bücke mich fluchend, um mein Tablet, das zum Glück in seiner Hülle geschützt ist, die leere Papiertüte, in die mein Sandwich eingewickelt war, und die nun klitschnasse Schuluniform wieder hineinzustopfen. Die Tasche an mich gedrückt, laufe ich zurück in die Umkleide und ziehe mich an, ohne mir etwas anmerken zu lassen. Über die Jahre habe ich schon viele Rachemanöver von Jasmine gesehen, nur bin ich bisher selten ihr Opfer gewesen. Zumindest dann nicht, wenn Elias in der Nähe war.

      Nach einem Blick auf meine durchnässte Uniform schließe ich meine Jacke kurzerhand direkt über meinem Sport-BH und will schon den Reißverschluss der Tasche zuziehen, als mir das leere Seitenfach auffällt, in dem normalerweise mein Handy steckt.

      Ich schaue mich um, doch mittlerweile ist nur noch eine Hand voll Nachzüglerinnen in der Umkleide. Fiona verabschiedet sich mit ihrem üblichen Lächeln, und ich antworte abwesend, ohne wirklich gehört zu haben, was sie gesagt hat. Wo ist mein Handy? Ich fahre mir durch die nassen Haare. Was, wenn meine Fotos und die Chatverläufe mit Elias