Falling Skye (Bd. 1). Lina Frisch

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Название Falling Skye (Bd. 1)
Автор произведения Lina Frisch
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783649636410



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schrillt Fionas Stimme über den Platz.

      Mein Körper fühlt sich schwer an, als würde das Gewicht des Universums mich auf die harte Erde des Stadions drücken.

      »Skye Anderson, was dauert da so lange?«, höre ich den Coach rufen.

      Ich richte mich auf. Die anderen Läufer sind schon bei der nächsten Marke angelangt, ich werde das Feld niemals wieder aufholen. Aber Coach Verse hat recht: Es ist nicht das Fallen, vor dem wir uns fürchten sollten, das hat er uns oft genug eingebläut. Es ist das Liegenbleiben.

      Meine Füße beginnen, sich in gewohnter Gleichmäßigkeit vom Boden abzustoßen. Ich bin nicht dazu gemacht, einfach aufzugeben, auch wenn ich heute keine Chance mehr habe, meinen Rekord zu halten. Die Gruppe der Läufer ist mittlerweile am Ende des Stadions angelangt. Kurz hintereinander ertönen siebzehn durchdringende Signale, als Jasmine und die anderen wenden, um nun auf das Ziel in meinem Rücken zuzulaufen. Ich hebe den Blick und sehe sie dicht an dicht auf mich zusprinten. Ihre Gesichter sind gerötet. Es sieht komisch aus, wie manche vor Anstrengung ihre Augenbrauen zusammenziehen. Niemand macht Anstalten, eine Lücke für mich zu lassen, aber das habe ich auch nicht erwartet. Trotzdem weigern sich meine Beine, langsamer zu werden. Wenn ich jetzt ausweiche, lande ich am Ende der Liste! Das kann ich nicht zulassen. Die anderen kommen immer näher, eine Mauer aus Menschen, und so langsam spüre ich Panik in mir aufsteigen.

      »Du musst einfach einen kühlen Kopf bewahren.« Ich lächle, als ich an Elias’ Universallösung für jede Situation denke, so aussichtslos sie auch scheinen mag. Es wäre ein Fehler, jetzt zur Tribüne hinüberzusehen, aber ich weiß auch so, dass er am Rand der vierten Bank sitzt: beinahe direkt hinter der Bande, doch nicht zu nah, um wirklich interessiert zu wirken; seine kurzen Haare wie immer noch feucht vom Wasser der Schwimmhalle, dunkel glänzend wie in den Sommern, in denen wir uns mit Seilen vom Felsen aus ins Wasser des verbotenen Sees geschwungen haben. Lianensee.

      Mit einem Mal weiß ich, was zu tun ist. Vielleicht bin ich verrückt geworden, aber alles ist besser, als einfach stehen zu bleiben. Entschlossen taxiere ich den Abstand zwischen mir und den Läufern, dann treffe ich meine Wahl. Es ist nicht verrückt, korrigiere ich mich. Was ich vorhabe, ist rational.

      Ich brauche zwei Seitwärtsschritte, um mich zwischen den beiden stärksten Sprintern zu positionieren. Alle anderen wären nicht kräftig genug, so viel ist sicher. Jasmines Augen verengen sich zu Schlitzen. Colin hingegen scheint das Hindernis auf seinem Weg nicht einmal zu bemerken. Sein Blick ist auf die Anzeigetafel fixiert. Wahrscheinlich versucht er in den letzten Sekunden noch, seinen Rekord zu brechen. Rationale streben nach mehr, wollen sich ständig verbessern. Colin weiß das, und genau wie ich tut er schon jetzt alles, um zu beweisen, zu welchem Trait er gehört.

      Als nur noch wenige Meter zwischen mir und den anderen liegen, beschleunige ich mein Tempo. Ich strecke die Arme aus, stütze mich nur für einen winzigen Moment auf Jasmines knochiger und Colins muskulöser Schulter ab, bevor ich meine Beine durch die Lücke zwischen ihren Oberkörpern schwinge. Ohne zurückzublicken, lasse ich meine rechte Hand eine Minute und drei Sekunden später gegen die Marke knallen, wende und sprinte als Letzte auf das Ziel zu. Ich zwinge mich, die Blicke der anderen auszublenden, die hinter der Anzeigetafel nach ihren Wasserflaschen greifen und jeden meiner Schritte verfolgen. Manche von ihnen werden hoffen, dass ich ein zweites Mal falle.

      »Es war die einzige Möglichkeit«, keuche ich noch in der Sekunde, in der ich die Lichtschranke passiere und mein Name grün auf der Anzeige über unseren Köpfen aufleuchtet. Mit tiefen Zügen hole ich Luft, um das stechende Gefühl aus meiner Lunge zu vertreiben.

      Colin wirft mir einen seiner üblichen herablassenden Blicke zu. »Sieh mal einer an, sie hat ein schlechtes Gewissen!« Er grinst. »Nur Anfänger entschuldigen sich für Leistung. Oh warte, das stimmt nicht – Anfänger und Emotionale.«

      Ich krame genervt nach meiner Wasserflasche und schlucke meinen Ärger hinunter, während Elias’ bester Freund sich neben den anderen Jungen auf den Boden fallen lässt. Ich bin keine Emotionale!

      »Vielleicht fühlt sie sich ja auch mit gutem Grund schuldig.« Die Lautstärke seiner Stimme verrät, dass der Kommentar nicht für die anderen Jungen gedacht ist. Ich beiße die Zähne zusammen in der festen Absicht, mich nicht provozieren zu lassen. »Immerhin hätte niemand von uns ihre Lösung nutzen können.« Colins Blick wandert von einem seiner Freunde zum nächsten. Jeder einzelne von ihnen wiegt mindestens doppelt so viel wie ich. »Und das, wo unserer Miss Frauenpower doch Gleichberechtigung so wichtig ist.« Colins Freunde lachen, als er bei den letzten Worten meine Stimme imitiert. Idioten.

      Auf der Anzeigetafel erscheint die heutige Rangliste und die Gespräche um mich herum verstummen. Nur Jasmine redet weiter auf den Coach ein, doch auch der schaut zur Tafel. Ich folge seinem Blick und traue meinen Augen kaum, als ich meinen eigenen Namen an seinem angestammten Platz an der Spitze der Mädchen stehen sehe. Wie kann das sein?

      »Gut gemacht.« Ich zucke zusammen, weil ich nicht bemerkt habe, wie Fiona sich zu mir gestellt hat. »Ich wünschte, ich wäre nur annähernd so schnell wie du.«

      Vielleicht hättest du dich einfach nicht umdrehen sollen, als ich hingefallen bin, denke ich und fühle mich sofort schlecht. Es war freundlich von ihr, sich um mich zu sorgen. Manchmal muss ich mich selbst daran erinnern, dass nicht jeder rational sein kann.

      Ein Wutschrei lässt uns herumfahren, und ich sehe gerade noch, wie Jasmine nach einem Blick auf die Anzeige fluchend in der Umkleide verschwindet. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen wende ich mich ab, denn immerhin bin ich für die Zehntelsekunden verantwortlich, die sie heute ihren Rekord gekostet haben. Jasmine hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass nach der Testung ein R auf ihrem Handgelenk landen soll, und ein paar der Mädchen werfen sich vielsagende Blicke zu, als ausgerechnet sie mit Wucht die Tür der Umkleide hinter sich zuknallt.

      »Okay, Leute, ich will kein Gejammer über Muskelkater hören. Wer sich nicht dehnt, ist selbst schuld«, durchbricht Coach Verse die Stille.

      Ich stehle mich ein paar Meter von der Gruppe weg und tue so, als müsste ich mich an der Bande festhalten, während ich auf einem Bein stehend nach meinem Fußgelenk greife. Die angenehme Müdigkeit, die sich nach dem Laufen über mich zu legen pflegt wie eine Decke, verschwindet, als eine kühle Hand beiläufig meine warme streift. Wir wechseln einen kurzen Blick, dann verliere ich das Gleichgewicht und Elias grinst.

      »Ich warte an der Bushaltestelle auf dich, in Ordnung?«

      Er lässt mir keine Zeit zu antworten und nimmt zwei Stufen auf einmal, als er die Treppen der Tribüne hinaufläuft, bevor irgendjemand seine Anwesenheit bemerkt hat. Ich sehe ihm nach und spüre ein Pochen in meiner Brust, das nichts mit dem anstrengenden Training zu tun hat.

      »Skye?«

      Ich bin froh, dass der Sprint eine Erklärung für die alberne Hitze liefert, die meine Wangen garantiert schon wieder puterrot gefärbt hat. Hastig zwinge ich mir das Lächeln vom Gesicht, gegen das ich in Elias’ Nähe so wenig unternehmen kann, und drehe mich zu Coach Verse um. Seine Züge sind wie immer undurchschaubar, während er darauf wartet, dass sich der Platz um uns herum leert.

      »Das war eine reife Leistung heute«, sagt er schließlich und bückt sich, um die Markierungen aus dem Rasen zu ziehen.

      »Aber ich bin hingefallen«, erwidere ich verwirrt. Ich habe damit gerechnet, einen Verweis wegen der Behinderung der anderen Läufer zu bekommen – kein Lob.

      »Du hast die Situation bestmöglich gerettet. Alles glasklar analysiert. Was glaubst du, warum dein Name an der Spitze gelandet ist?« Der Coach richtet sich auf und wirft die Markierungen in einen Eimer. »Laufen ist ein rationaler Sport. Es geht nicht nur um Zeiten, sondern vielmehr darum, die eigenen Grenzen zu überwinden.«

      »Und einen kühlen Kopf zu bewahren«, füge ich hinzu.

      Coach Verse nickt.

      »Ganz Samuel Andersons Tochter, nicht wahr? Grüß deinen Vater von mir und richte ihm aus, dass wir für die neue Trackbahn sehr dankbar sind.«

      Ich nicke,