Jetzt spinnen wir um die Wette, Henriette!. Andrea Charlotte Berwing

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Название Jetzt spinnen wir um die Wette, Henriette!
Автор произведения Andrea Charlotte Berwing
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783969530061



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Lea und die zwei Frauen aus dem Puff

       Der Teufel und klassische Musik in Thüringen

       Lea und die Müslitante, voll im Stress

       Vier Tage später Meu amor

       Lea – Karriere als Putze

       Lea – Interpartnership Peter

       Irgendwie Wut

       Lea und die neue Chance verpufft?

       Vom Nachteil der starken Gefühle

       Der Sprung ins kalte Wasser

       Zeit vergeht in Schuldmorphose

       Operation X Ein halbes Jahr später

       Huren halten dicht, Ehrensache

       Mephisto steigt auf – mit Hipster-Bart

       Lea und Mary

       Traum vom Nebeldrachen … der sie umkreist … Schreckliche Magie

       Mephistos großzügiges Angebot

       Jage nicht im Wohngebiet und wohne nicht im Jagdgebiet!

       Milkersdorf – Swingerclub

       SÉANCE MIT ALEISTER CROWLEY – das Erbe

       Sardinien, Sonnenschein

       Kosovo und der Skipper

       Bonifacio

       Schmuck in Sparkasse Schließfach

       Henriette und Deep Throat

       Dove sono campane sono puttame

       Sursum corda

       Die Schwaben laufen mit Minibäumen auf dem Kollwitzplatz herum

       Das Beste kommt immer zum Schluss

      Lea erwacht; über sich den dunkelblauen Sternenhimmel, der sich über ihren kleinen Körper legt wie eine Bärenmutter sanft über ihr Junges. Ihre Haut schimmert samten dunkel, die dünne helle Wolldecke liegt zwischen ihren Beinen zusammengerollt, eine Hand ruht unter ihrem Kopf, die andere angewinkelt auf ihrem Bauch. Die Grillen zirpen, ansonsten ist es still. Lea denkt im Moment an nichts. Ihr Gesicht wirkt sanft und entspannt, das Augenweiß leuchtet hell wie das Mondlicht, das in der Finsternis eine stille Weisheit verbreitet. Lea fühlt die wärmende Hand ihrer Großmutter auf ihrem Bauch, die sich sonst im kleinen Haus in solchen Momenten des nächtlichen Erwachens auf ihre Stirn legt. Hier und da sieht sie kleine Lichtfetzen in der Dunkelheit. Lea, ein kleines Mädchen von vier Jahren, schließt ihre Augen, um weiterzuschlafen in der Oase Bilma. Afrika.

      Am nächsten Morgen wird Lea plötzlich durch laute Stimmen wach. Sie hört, wie sich beide Frauen streiten. Nana und Bernadette. Das ist ungewöhnlich.

      „Ja, ich habe es getan, es ist dein Kind und sie braucht Hilfe!“, hört sie Bernadettes ungewöhnlich hart und metallen klingende Stimme.

      „Nein, bitte nicht, lass die Nachricht nicht ankommen“, betet

      Nana, ihre Mutter, inbrünstig.

      Plötzlich sind beide Frauen still. Lea kann nicht mehr weiterschlafen, trotz ihrer Müdigkeit setzt sie sich auf ihrer dünnen Strohmatte auf und reibt sich verwundert die Augen. Hat sie nur geträumt? Das alte ruinöse Gebäude, über dem ‚Bureau de Poste‘ in abgenutzten Lettern steht, vermittelt nicht den Eindruck, dass der Plan der Großmutter funktionieren könnte. So hofft Nana inständig. Täglich schickt sie böse Wünsche in die Wüste und hin zum Feind, dem Postamt. Doch die Großmutter geht jetzt jeden Tag, wenn die Sonne am höchsten steht, über die trockenen Straßen, um sich nach einer Antwort zu erkundigen. Einer Antwort aus einer Welt, die ihr persönlich völlig abhandengekommen ist und mit der sie noch einmal Verbindung aufnehmen musste. Ihrer Enkelin wegen. Des Herzens wegen.

      „Meine Tochter ist nicht krank, meine Tochter ist nicht krank!“ Das dunkelhaarige Mädchen hört den Satz ihrer Mutter immer wieder, und so wird ihr klar, dass es kein Traum war an diesem Morgen. Nur welche Erkrankung? Lea wundert sich. Und versucht nun immer öfter, zu den beiden Frauen hinzuhorchen. Etwas in ihr ist misstrauisch geworden. Und aufmerksam.

      „Wie kannst du Ismael vertrauen, er ist ein alter Wüstendoktor, der Schlangenbisse heilen, doch keine Herzfehler erkennen kann!“, klagte Nana ihre Mutter, die Großmutter Leas, an. Die Großmutter jedoch nickt nur, ihre weiße Haut sticht immer noch hervor aus den vielen dunklen Menschen, die sie umgeben. Wenn auch ihre Aura sich den Menschen um sie herum und dem goldenen Licht der Wüste anpasst hat.

      „Weißt du, Nana, du bist meine Tochter und Ismael hat uns mehrfach bei deinen Fieberphasen geholfen. Er wittert es wie ein altes Ross, wenn es eine Krankheit gibt, die er nicht heilen kann, und dein Kind, meine einzige Enkelin, braucht Hilfe. Langfristig. Ich habe ihn in meinen vielen Jahren hier Vertrauen gelehrt und ich komme aus einer anderen Kultur als du und Ismael.“

      Trotz ihrer ergrauten Haare, die ihr Haupt silberweiß umrahmen, funkeln ihre blauen Augen Nana hell und klar entgegen. Nana hat die braunen Augen und auch alles andere von ihrem Vater geerbt. Nur Lea scheint ihrer Großmutter wieder entgegenzukommen mit ihren helleren braunen Haaren und den grünlich durchbrochenen, braunen Augen. Die Lippen sind genauso samtig und voll wie die von Nana, doch die Form der Augen und der Nase sind eindeutig der deutschen Linie der Großmutter zuzuordnen.

      „Und diese, meine alte Kultur, die hat sich weiterentwickelt und die brauchen wir jetzt! Ich habe lange genug diese Verbindung abgeschnitten und damit einen Teil von mir selbst. Damit ist jetzt Schluss!

      Lea wird die Reise antreten, wenn Gott es will. Und nicht dein Allah.“

      Nana erschrickt vor der Inbrunst ihrer Mutter und reißt die Arme erschrocken nach oben. So hat sie ihre Mutter noch nie erlebt. So überzeugt und aufgewühlt zugleich.

      Lea, sich plötzlich sehr verlassen fühlend, versteht, dass sie reisen soll. Weit weg. In den nächsten Tagen nimmt sie ihre Matte und legt sich näher hin zum gelben Sand. Weg vom Haus und seinen Bewohnern. Es beunruhigt sie, dass die Gespräche sich um ihre Person drehen. Sie weiß das Haus mit den Gesprächen ihrer Großmutter und Mutter einige Meter weit weg und hofft, dass die Großmutter niemals eine Antwort aus Deutschland erhält. Niemals.

      Der Fahrstuhl fährt höher als das Haus, in dem Henriette wohnt, Stockwerke hat. In den dreizehnten Stock. Die Tür geht auf und ein alter Mann steht vor ihr. Henriette wagt es, einen Schritt auf ihn zuzugehen. Sie bewegt ihr rechtes Bein über den Spalt, der die wackelnde Fahrstuhlkabine vor der rettenden festen Etage trennt. Der Raum ist in weiches Licht getaucht. Licht, das den sakral wirkenden Raum noch größer erscheinen lässt. Und auch den Mann vor ihr. Groß und hager wirkt er, irgendwie mächtig. Er schaut Henriette sehr ernst an. Und murmelt Worte, spricht mit dem kleinen vorsichtigen Mädchen. Henriette nimmt an den Seiten antike Säulen und alte, wie mit Mehl befüllte Säcke wahr. Sie beschleicht ein Gefühl wie aus einem Märchen. Sie befindet sich in einer anderen Zeit, kann es nicht in Worte fassen und auch nicht in Gedanken. Staunend spürt sie hier das Verschmelzen von Zeit und Raum. Er könnte ihr Großvater sein; so hätte sie ihn sich vorgestellt. Er wirkt, als käme er aus einer anderen Welt zu ihr.

      Dann wacht Henriette auf. In ihrem Bett. Das Kopfkissen ist unter ihren Bauch gewühlt, die Beine sind angezogen wie in einer Embryostellung. Gelbe Vorhänge hängen vor den kunststoffumrahmten Fenstern. Dahinter ist es dunkel. Kein einziges Sternenlicht zeigt sich. Henriette schläft wieder ein. Der gelbe Wellensittich neben ihr im abgedeckten Käfig, die kleinen knopfförmigen dunklen Augen verschlossen, ist ganz still. Das weiße Tuch bewegt sich nicht. Kein Luftzug bewegt sich in dem Betonzimmer. In einem Neubau gebaut in den Siebzigern. In Halle.

      Am