Der Schreiberling. Patrick J. Grieser

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Название Der Schreiberling
Автор произведения Patrick J. Grieser
Жанр Языкознание
Серия Der Primus
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947816040



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spitzen Mandiblen tief ins Gewebe bohren. Es war kein Schmerz, der in Wellen kam, sondern ein ständiger, der weder einen Anstieg noch ein Abflachen kannte. Er war unerträglich. Und er spürte, wie sich das Brennen in seinem ganzen Körper auszubreiten begann.

      »Aaaaaaaarrrrghhhhhh …« Thanatos wollte Epimetheus anflehen aufzuhören, doch es kam kein Wort über seine Lippen. Zusammengekrümmt ohne jegliche Würde lag er am Boden und wälzte sich herum.

       »Das ist nur der Anfang! Ich kann deine Qualen noch tausendfach verstärken. Willst du das?«

       »… aaaarrrghh …. gnnnhhhh …«

       »Ich kann dich nicht verstehen!«, schrie Epimetheus. »WILLST DU DAS?«

       »… n-n-eiiin …!«

      Epimetheus schloss die Hand und schlagartig erstarb das Leuchten. Der Schmerz war zwar weg, hinterließ aber in den Windungen seines Gehirns eine Erinnerung, die so qualvoll war, dass sich sämtliche Muskeln in Thanatos’ Körper anspannten, wenn er nur daran dachte.

      »Wir haben ein Abkommen?«, fragte Hekate und verschränkte die Arme vor der Brust.

      »Ja«, keuchte Thanatos. Er wollte wütend sein, sich in seinem Zorn verlieren, diese beiden jämmerlichen Existenzen auslöschen, doch der Schmerz hatte alles in seinem Körper betäubt. Er spürte nichts. Nur ein Gefühl der Leere und die Nachwehen, die der Schmerz in seinem Kopf ausgelöst hatte.

       Das werdet ihr bereuen! Ich werde euch bestrafen! Doppelt und dreifach, ihr verfluchten Narren!

      Die Szene wurde plötzlich undeutlich und verwaschen wie bei einer Videokamera, die den Autofokus nicht richtig justieren kann. Dann verblasste alles und die Dunkelheit kehrte zurück.

      Der Wechsel zurück in die Welt des Wilden Westens war für den Cowboy so überraschend, dass ihm schwindlig wurde. Von jetzt auf die nächste Sekunde war er wieder in der Tempelanlage. Er musste sich an dem gläsernen Sarg abstützen, um nicht hinzufallen. Es spürte Druck auf seinen Ohren und ein tinnitusartiges Rauschen malträtierte seine Gehörgänge.

      »Junge …«, schnaufte der Cowboy. Er merkte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat.

      Thanatos stand neben ihm mit ausdrucksloser Miene.

      »Das geht gleich vorbei«, sagte der Mann, als ihn der Cowboy hilfesuchend anblickte. »Dein Kreislauf muss wieder ein wenig in Schwung kommen.«

      »War das real?«

      »Du hast eine meiner Erinnerungen gesehen.«

      »Wow, das fühlte sich echt seltsam an. Ich glaube, ich muss kotzen!« Der Cowboy spürte, wie in ihm die Übelkeit hochstieg.

      »Tu dir keinen Zwang an. Aber erleichtere dich nicht neben dem Sarg!«, befahl Thanatos und entfernte sich einen Schritt von dem Cowboy.

      »Warum hast du mir das gezeigt?«

      Thanatos reagierte mit einem Hochziehen der Augenbrauen und sagte: »Damit du verstehst. Hekate und Epimetheus haben mich getäuscht.«

      »Mit einem kleinen Kieselstein?«, fragte der Cobwoy ungläubig und wischte sich über den Mund.

      »Nicht irgendein Stein. Ein Mondstein. Pures Lunarit!«

      »Was ist so Besonderes an dieser Murmel?«

      »Mondsteine sind sehr selten. Sie entstehen, wenn Meteore auf der Erde einschlagen und durch die Hitze Gesteinsglas entsteht. Diesen Steinen wohnen magische Kräfte inne. Man nennt sie auch die Tränen des Kronos.«

      »Vielleicht könntest du noch ein wenig hochtrabender und rätselhafter sprechen? Ich könnte sonst noch etwas verstehen … aaah es geht los«, sagte der Cowboy und erbrach sich. Da er den ganzen Tag, bis auf ein paar staubtrockene Biskuits nichts gegessen hatte, kam ein Schwall bitterschmeckender Gallenflüssigkeit hochgeschossen. »Hui, jetzt geht es mir besser!«, sagte er, während er sich mit beiden Armen gegen den Glassarg stützte und auf den Boden blickte. Er spuckte noch mehrere Male, um den abscheulichen Geschmack im Mund loszuwerden. »Das letzte Mal, als ich gekotzt habe, war, als ich bei Gerald Heinemann selbst gebrannten Schnaps getrunken habe.« Er atmete tief ein und wandte sich wieder an den Mann neben ihm. »Aaaahhhhh! Also nochmal die Frage: Warum hast du mir das gezeigt?«

      »Wir sind noch nicht fertig mit der Geschichte. Ein Teil fehlt noch!«, entgegnete Thanatos und ging mit erhobenen Händen auf den Cowboy zu, der instinktiv zurückwich.

      »Sorry, Kumpel, aber ich habe genug Kopfkino für heute gehabt. Ich denke …« Noch bevor er die letzten Worte aussprechen konnte, löste sich Thanatos’ Gestalt in Luft auf … nur um sich direkt hinter dem Cowboy zu rematerialisieren. Diesem blieb keine Zeit mehr herumzuwirbeln und auszuweichen. Noch ehe er sich versah, schlossen sich die roten Hände um seinen Kopf und die Finger drangen in seine Schläfen ein.

      Diesmal war das Eintauchen in die Vision eine reine Qual. Ihm war, als bestünde sein Körper aus einem Netz aus Feuer, während rund um ihn herum Farbkleckse explodierten. Die Zeit verlor sich zu einem abstrakten Begriff. Er wusste nicht, ob Stunden oder lediglich ein paar Minuten vergangen waren. Dann folgte eine Schwärze, die alles um ihn herum zur Bedeutungslosigkeit verblassen ließ. Sein Geist schwebte durch die Finsternis. Und dann tauchte er in die Szene ein und verschmolz mit einem anderen Bewusstsein.

      Thanatos spürte die Präsenz der beiden Besucher schon, bevor sie die Halle betraten. Ein ungutes Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. Die Erinnerungen an den Mondstein waren immer noch allgegenwärtig.

      »Ihr beide schon wieder?«, fragte er ungläubig, ohne sich in Richtung von Epimetheus und Hekate umzudrehen.

      »Du hast dich nicht an unsere Abmachung gehalten!«, giftete Epimetheus.

      »Wieso? Soweit ich mich erinnern kann, wolltest du Pandora wiederhaben«, erwiderte Thanatos sanft.

      »Das ist nicht Pandora!!!« Das Echo von Epimetheus’ Stimme hallte von den Wänden wider.

      Langsam drehte sich Thanatos um. Zwischen den Säulen standen die beiden Eindringlinge.

       Anklagend richtete Epimetheus den Finger auf den Totengott. »Du hast mir eine Untote gebracht!«

       »Ja, das habe ich!« Ein Zucken an Thanatos’ Schläfe verriet, wie aufgewühlt er war. Am liebsten hätte er den jungen Mann in eine Feuersäule verwandelt. »Du erinnerst dich vielleicht nicht mehr an meine exakten Worte, aber ich habe dir gesagt, dass sie nicht dieselbe wäre, wenn ich sie dir wiedergäbe. Es wäre nicht die Frau, die du kennen und lieben gelernt hast! Du hörst ja nicht, Jüngling! Du hörst mir nicht zu!«

       Epimetheus wandte sich an die Frau an seiner Seite. »Töte ihn! Ich will, dass du ihn vernichtest!«, forderte er von ihr. Hekate musterte ihn scharf. Ihre Hand war zu einer Faust geballt. Thanatos sah zu ihr herüber. Ganz langsam öffnete Hekate ihre Hand und auf ihrer Handfläche leuchtete der Mondstein. Verfluchtes Lunarit!

       »Wie ich sehe, hat die Klügere von euch beiden jetzt das Sagen! Ich habe mein Wort gehalten. Du hast die Kontrolle über die tollwütigen Seemänner erhalten!«

      »Was bist du?«, wollte Hekate von ihm wissen.

       »Ich verstehe die Frage nicht!«

       »Du bist der Todestrieb. Du wirst getrieben von Hass und Wut. Dein ist die Rache!«, sagte Hekate ernst und fuhr sich mit der Hand durch ihre Haare. »Wir beide wären unglaublich dumm, wenn wir dich einfach so gehen lassen würden.« Sie machte einen Schritt nach vorne. Dabei fiel Thanatos auf wie unglaublich schmal und zierlich ihre Füße waren. Er war ein unglaublicher Fußfetischist und einmal mehr musste er neidlos anerkennen, dass Hekate wunderschöne Füße hatte. Aber diese Frau war sehr gefährlich. Er durfte sich nicht ablenken lassen!

       Hekate schnippte mit dem Finger. Vor ihr materialisierte