Der Schreiberling. Patrick J. Grieser

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Название Der Schreiberling
Автор произведения Patrick J. Grieser
Жанр Языкознание
Серия Der Primus
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947816040



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stinkt nach dieser widerwärtigen Kreatur!«

      »Ich dachte eigentlich, dass ich nach Schweiß, Pferd und ungewaschenem Hodensack stinke! Aber wenn du meinst, ich trage sein Eau de Cologne, dann nehme ich das einfach mal als Kompliment auf.«

      »Wie bist du auf diese Welt gekommen?«

      »Hekate hat ein Portal geöffnet, das mich hierher gebracht hat.«

      »Ich spüre ihre Präsenz!« Kelvin Smith schloss für einen Moment die Augen und stieß einen zufriedenen Seufzer aus. »O ja, o ja … diese Wut kenne ich. Sie scheint noch eine Rechnung mit dir offen zu haben.«

      »Kann man wohl sagen! Aber, wer ist das?«, fragte der Cowboy mit Blick auf den Toten in dem Glassarg.

      »Das bin ich!« Kelvin Smith kämpfte zum ersten Mal um seine Beherrschung. Für einen ganz kurzen Augenblick war sein Gesicht vor Wut entstellt. Eine dämonische Fratze, die einen so starken Hass ausströmte, dass er fast stofflich spürbar war.

      »Wie ist das möglich? Der Kerl in der Kiste sieht tot aus!«

      »Er ist es aber nicht …«, sagte Kelvin Smith langsam.

      »Das verstehe ich nicht.«

      »Hast du eine Ahnung, wer ich bin?«

      »Ein Olympioi?«

      »Ich sehe, der Primus hat dich gut unterrichtet.«

      »Ich habe hier und da ein paar Sachen von ihm aufgeschnappt. Nicht der Rede wert. Der Typ war ein Freak!«

      Kelvin Smith wandte sich von dem Glassarg ab. Seine Wut war verschwunden. Er strich mit der einen Hand über den Ärmel seines Anzugs, weil sich dort etwas Staub festgesetzt hatte.

      »Es wird an der Zeit, dass wir offen miteinander reden, Cowboy«, meinte Smith und blickte zu der Freskomalerei hinauf, die ein Abbild seinesgleichen darstellte.

      »Ich bin ganz Ohr!«, sagte der Cowboy lakonisch.

      »Ich habe viele Namen und viele Geschichten. Kelvin Smith, Henry Luxemburg-Ligny, Chalid Dschafar, Stanislaw Faust … Ich war viele und werde viele sein«, erklärte er. Es entstand eine unangenehme Stille; der Cowboy wartete darauf, dass der Mann neben ihm fortfuhr.

      »Ich bin Thanatos«, sagte er schließlich mit schwerer Stimme.

      »Sollte mir das etwas sagen?«, fragte der Cowboy und zuckte hilflos mit den Schultern. »Sorry, griechische Geschichte war noch nie so mein Ding und wenn ich es mir recht überlege, kann ich die Griechen nicht mal leiden.«

      »Ich bin der Todestrieb. Der Gegenpol des Lebens. Mein Wunsch ist die Zerstörung. Die Rückkehr vom organischen in den anorganischen Zustand. Ich bringe die Vernichtung!«

      »Das hört sich aber nicht gut an«, erschrak der Cowboy und trat unsicher einen Schritt zurück.

      »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, denn in dir lebt ein Teil von mir. Du trägst eine Essenz des Todestriebes in dir«, sagte Kelvin Smith, wandte sich von dem Wandfresko ab und breitete die Hände aus.

      »Ich verstehe nicht …«

      »Erinnere dich an jene verheißungsvolle Nacht. Du hast deine Frau beim Fremdgehen erwischt. Du warst voller Wut und Verzweiflung. Ich kam zu dir und habe dir in deinem Leid geholfen. In jener Nacht ging ein kleiner Teil meiner Selbst in deinen Körper über.«

      »Die Essenz …«, flüsterte der Cowboy.

      Thanatos nickte eifrig. »Ganz genau!« Er legte dem Cowboy die Hand auf die Schulter, so wie es ein guter Freund tat. »Du bist einer meiner Avatare.«

      »Ein Avatar?«, echote der Cowboy ungläubig.

      »Ein körperliches Abbild meiner Selbst in den endlosen Weiten des Multiversums.«

      »Also ein Knecht von dir«, schlussfolgerte der Cowboy.

      »Avatar hört sich besser an, mein Freund! Du trägst meine Essenz. Sei stolz, dass ich dich auserwählt habe. Es ist ein Privileg, meine Essenz zu tragen!«

      Und in diesem Moment erinnerte sich der Cowboy an seine erste Begegnung mit der Göttin Hekate in der Stadt der Nacht. Da war etwas gewesen, das Hekate zu ihm gesagt hatte.

      »Ich erinnere mich wieder …«, flüsterte er leise und ging das Erlebte in seinen Gedanken durch.

      Sie trug eine schlichte weiße Robe, die ihr bis zu den Knien reichte sowie Sandalen aus gegerbtem Leder. Sie war jung und schön. Ihre braunen Haare waren hochgesteckt und durch einen goldenen Haarkamm – das einzige Schmuckstück, das sie zu tragen schien – fixiert. Die Frau konnte Anfang zwanzig, aber auch schon weit über vierzig sein. Etwas Zeitloses ging von diesem Gesicht aus.

      »Ich bin Hekate, die Göttin der Wegkreuzungen. Magna Mater. Die Große Mutter. Willkommen in meinem Reich!«, sagte sie, während sie beobachtete, wie der Cowboy mit den Jungen aus dem Schatten des Steinportals trat.

      »Du hast eine meiner Grazien ermordet«, sagte sie und musterte den Cowboy von Kopf bis Fuß.

       »Baby, falls du die Schlampe ein paar Stockwerke tiefer meinst … well, sie hat einen unserer Kumpels auf dem Gewissen.«

       »Was bist du?«, fragte Hekate irritiert und stellte sich direkt vor den Cowboy. »Du warst einmal ein Mensch, aber da ist noch etwas in dir. Eine Essenz …«

      Eine Essenz! Hekate hatte gespürt, dass er anders war. Die Essenz war wohl auch der Grund, warum er allen Gefahren bislang getrotzt und überlebt hatte. Zufall oder gelenktes Schicksal?

      »Aber warum?«, wollte der Cowboy wissen.

      Der Mann, der sich Kelvin Smith nannte, deutete auf den gläsernen Sarg vor ihnen. »Dazu musst du meine Vorgeschichte kennen. Das hier ist kein Sarg, sondern eine Hyperkapsel.« Dann zeigte er mit beiden Händen auf sich selbst. »Was du vor dir siehst, bin nicht ich, sondern nur ein geistiges Abbild. Eine Illusion. Ich bin in dieser Hyperkapsel gefangen.«

      »Also doch ein Geist?«

      »Eher eine täuschend echte Illusion, die die richtigen Stellen in deinem visuellen Kortex aktiviert. Nennen wir es doch einen Astralkörper.«

      »Wie funktioniert diese Hyperkapsel?«

      »Ein Behältnis, das die darin liegende Person in einen Hyperschlaf versetzt. Durch die Kälte werden deine Vitalfunktionen auf ein Minimum reduziert. Die Zellalterung ist praktisch ausgesetzt. Die Olympioi benutzten diese Kapseln auf ihren langen Reisen durch das Multiversum.«

      »Der Kerl darin schläft?«

      »Ja, ich schlafe!«, antwortete Thanatos.

      Der Cowboy trat wieder vor den Sarg aus Glas und suchte nach einem Griff an der Seite. »Dann lass mich dir helfen. Wie bekomme ich das Scheißteil auf?«

      »Gar nicht«, sagte Thanatos und unsagbare Wut stieg in ihm auf. Ein Zittern ging durch das Bauwerk. Staub und Gesteinsbrocken rieselten von den Decken. Der Cowboy glaubte, dass jeden Moment der Tempel einstürzen würde. Erschrocken und ängstlich ging er in die Knie. Dann war alles wieder vorbei. Kleine Staubwolken stiegen vom Boden auf.

      »Du bist mir sympathischer, wenn du nicht wütend bist!«, meinte der Cowboy und nahm seinen Hut ab, um den Staub abzuklopfen.

      »Tja, ein schlechtes Benehmen, ich weiß, ich weiß …«, sagte Thanatos und hob entschuldigend die Hände.

      »Wer hat dir das angetan? Warum bist du in dieser Kapsel?«, wollte der Cowboy wissen und setzte seinen Hut wieder auf.

      »Komm her und ich zeige es dir!«, forderte ihn Thanatos auf und hob seine Hände in die Höhe.

      »Nein, danke!«, sagte der Cowboy. »Ich habe heute genug Ausflüge in die Vergangenheit gemacht.« Er wollte noch etwas sagen, doch Thanatos griff nach seinem Kopf und ehe der Cowboy reagieren konnte, bohrten sich dessen Finger tief in seinen Kopf. Es war diesmal nicht ganz so schmerzhaft, denn er wusste,