Geschichte vom Verlieren, Suchen, Finden. Anke Feuchter

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Название Geschichte vom Verlieren, Suchen, Finden
Автор произведения Anke Feuchter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947233328



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      Mein Gott, nicht auch noch der, dachte Katrin, die allmählich ihre Hoffnung schwinden sah, das Glücksgefühl vom Morgen möge den Arbeitstag unbeschadet überstehen.

       Tell me why I don’t like Mondays.

      Es war der ihr mehr als nicht angenehme Redakteur der Rheinpfalz, der sie in breitester Mundart auf seine selbstzufriedene Art ansprach. Franz Marciano hielt sich für unwiderstehlich. Er hatte einen italienischen Vater, was ihn glauben machte, er sei ein genetisch programmierter Herzensbrecher. Katrin fand, er zeichne sich vielmehr durch den über Generationen vererbten Vornamen aus: Franz. Das ‚z‘ zog ihn zu Boden, machte ihn lehmig und schwer. Sehnsüchtig dachte Katrin an den schönen Namen Matthieu, an den Vogelflug der zweiten Silbe, der sich leicht in die Luft erhob und einen mitnahm in ein Reich der Träume.

      Zum Glück begann der offizielle Teil, so dass Katrin einer Antwort enthoben war. Sie fühlte Erleichterung. Diese wurde abgelöst von: Desinteresse, Langeweile, kribbelnden Füßen, Lachreiz, dem Bedürfnis laut zu gähnen.

      Später dann auch Hunger, denn vom angekündigten Frühstück war nichts zu sehen, nicht einmal eine Tasse Kaffee.

      Es ging um die Partnerschaft zwischen den Universitäten Mannheims und der einer chinesischen Stadt, von welcher Katrin nie gehört hatte, und deren Namen sie nicht verstand. Für Mannheim sprachen der Rektor, der Dekan der BWL-Fakultät, verschiedene Professoren, Vertreter und Vertreterinnen der studentischen Organisationen. Anschließend die Vertreter der chinesischen Delegation, was wegen Übersetzungen mehrfach Zeit in Anspruch nahm. Allen, Deutschen wie Chinesen, war höfliches Lächeln ins Gesicht geklebt. Katrin tat, als mache sie Notizen. Als sie mehrere Male die Skala der Gefühle durchlaufen hatte, die das Zeremoniell in ihr auslöste, mündeten diese in komplette Leere.

      „Was tue ich hier?”, notierte sie in großen Lettern quer über das wirre Gekritzel, das sie auf ihrem Block veranstaltet hatte.

      Um 12.30 Uhr entließ der Rektor die sämtliche Medienvertreter. Katrin sprang auf und entkam, ehe Franz sie mit einer Aufforderung zum Mittagessen hätte behelligen können.

      Sie rannte zum Büro zurück. Lisa war zum Glück noch da. Katrin warf alles auf den Schreibtisch und schnappte ihre Badetasche, die dort stets bereitstand. Dies war ein Notfall.

      Sie musste ins Wasser.

      Das Gleiten im Wasser, die regelmäßigen Bahnen: Katrin beruhigte sich. Das Gefühl der Sinnlosigkeit, das sie während der letzten Stunden immer fester in ihren Griff genommen hatte, ließ nach. Die Freude aber kam nicht wieder. Das Wasser in der Dusche war zu heiß, der Strahl zu stark, die Bürste nicht zu finden. Die Haartrockner außer Betrieb.

      Dabei hatte der Tag so herrlich angefangen.

      Katrin kämmte sich in der Toilette der Uni mit dem Reservekamm aus der Schreibtischschublade.

      Vielleicht war Matthieu ein Strohfeuer. Vielleicht war er nur in ihr Leben geraten, damit sie merkte, was alles nicht stimmte.

      „Ich glaube, dass das Leben für mich noch das ein oder andere Wunder bereithält.”

      Das hatte Colette am Samstagmorgen gesagt.

      Glaubte Katrin das auch für sich? Was war, wenn sie sich jedes Glück kaputtschlagen ließ, wie es an diesem Vormittag wieder einmal geschehen war? Was, wenn sie selbst die Saboteurin war, die sich immer wieder bewies, dass es für sie keinerlei wunderbaren Begebenheiten gab.

      Katrin riss mit dem Kamm an ihren Haaren.

      Der Nachmittag verging mit Routinetätigkeiten und Telefonaten.

      Professor Steinberg wollte wissen, ob sie das Kolloquium bereits angekündigt hatte und bat darum, die Pressemitteilung vorher gegenlesen zu dürfen. Der Leiter der Studiobühne rief an und brüllte ins Telefon, sie solle ihm nicht noch einmal ihre unterbelichtete Praktikantin schicken. Katrins Laune hob sich schadenfreudig. Lisa hatte mit Theater nichts am Hut.

      Zeit, diesen Arbeitstag zu beenden.

      Es wurde dunkel und regnete noch immer. Vergeblich suchte Katrin nach einem Regenschirm. „Schließt du ab?”, bat sie Lisa. Wortlos nickte die.

      „Danke. Bis morgen”, sagte Katrin und war schon fast im Flur, als Lisa ihr nachrief, sie solle nicht darauf zählen, dass sie noch einmal „diesen alten Narziss von der Unibühne” interviewen würde.

      Das beleuchtete Schloss sah im spätherbstlichen Regendunkel erhaben aus. Der Verkehr rauschte vorbei, Scheinwerfer zeichneten Lichtkleckse in die Pfützen. Katrin wartete auf die Bahn.

      Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie den ganzen Tag über nicht nachgesehen hatte, ob Matthieu auf ihre SMS vom Morgen reagiert hatte. Ihr Herz tat einen kleinen Sprung. Und wenn er sich gar nicht gemeldet hatte? Nervös kramte sie nach ihrem Handy.

      Matthieu hatte ihr ein Foto geschickt. Ein Gemälde.

      Un parc la nuit, ‚Ein Park bei Nacht‘, hieß es.

      Da würde ich gern mit dir spazieren gehen. Dazu brauchst du kein Fahrrad, hatte er dazu geschrieben. In einer zweiten Nachricht fügte er hinzu, der Maler heiße József Rippl-Rónai und das Bild hänge im Musée d’Orsay. Eine dritte SMS war kurz.

      ‚Mein Skype-Pseudo ist matt75. – 20:30 Uhr?‘

      13

      Typisch.

      Colette füllte den Eimer mit heißem Wasser und streifte ihre Gummihandschuhe über. „Erst scheucht er mich auf. Und dann? Nichts mehr!”

      Colette war wieder einmal wütend. Johannes hatte mit keiner Silbe auf ihre Antwort reagiert. Unhöflich, ungehobelt, unsympathisch – Colette schleuderte sämtliche „un”-Adjektive, die ihr einfielen, gegen die Fliesen ihres Bades. Als sie das Anti-Mantra zum wiederholten Male herunterbetete, klingelte ihr Handy.

      „Hoffentlich hat nicht wieder irgendjemand meine Telefonnummer gefunden!“

      Colette zog mit den Zähnen an ihrem Putzhandschuh.

      Er schnellte ihr ins Gesicht.

      „Allô”, bellte sie ins Telefon.

      „Hallo Colette”.

      Diese Stimme. Colette ließ sich auf den Rand der Badewanne fallen. „Hallo Johannes”, krächzte sie zurück.

      Dann sagten beide nichts mehr.

      Colette war drauf und dran, das Telefon vom Ohr zu nehmen, auf den roten Hörer zu tippen und sich vorzulügen, der Anruf sei ein Irrtum gewesen, besser, es habe einen Anruf gar nicht gegeben.

      „Wir sollten uns sehen”, beendete Johannes das Schweigen.

      „Wann und wo?”

      „Jetzt”, erwiderte Johannes schlicht.

      „Bist du hier?”

      „Schau aus dem Fenster.”

      Colette hatte Mühe, sich vom Rand der Badewanne zu erheben. Emotional fühlte sie sich wie siebzehn, physisch wie neunzig. In ihren Ohren sauste es, die Knie schmerzten. Das gewöhnlich hakende Rollo am Fenster beugte sich Colettes entschlossenem Zug an dessen Leine und rasselte nach oben. Unten auf der Straße stand ein Mann, der suchend mit dem Blick die Fenster der Fassade abtastete, und der durchaus aussah wie eine vierzig Jahre ältere Ausgabe von Johannes.

      Colette führte das Telefon, das sie hatte sinken lassen, wieder an ihr Ohr. „Werden Zugtickets zurzeit bei euch verschenkt?”

      „Wie meinst du das?”, gab Johannes verdutzt zurück.

      „Nichts. Gib mir ein paar Minuten.”

      Colette sauste aus dem Bade- in ihr Schlafzimmer. Musste Johannes sie mitten in einer Putzaktion überfallen, da sie ihre ältesten Wollsocken und Jogginghosen trug? Keine Zeit für Experimente: Es musste der schwarze Kaschmirrolli (eigentlich zu warm, egal) und die ebenfalls schwarze Marlene-Dietrich-Hose