Schuld ist nur das Publikum. Georg Markus

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Название Schuld ist nur das Publikum
Автор произведения Georg Markus
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783902998484



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Zitat Paul Hörbiger – den nicht gerade wienerischen Satz lesen: »Das kommt nicht in die Tüte!«

      »Des gibt’s net«, »Aber net mit mir«, »Das könnt’s doch mit mir net machen« – das wären wohl seine Worte gewesen. Denn mit einer Tüte hatte ein Paul Hörbiger nichts, aber auch schon gar nichts, im Sinn.

      Das Manuskriptfragment beiseite gelegt und den bekannten deutschen Schriftsteller um Verständnis gebeten, daß er unter diesen Umständen lieber gar keine Memoiren veröffentlichen würde, war eins.

      Paul Hörbiger wollte durchaus sein Leben erzählen. Aber wem? Ein Wiener, das wußte er jetzt, sollte es sein, ein Deutscher kam sozusagen nicht mehr »in die Tüte«.

      Ich hatte das eine oder andere Interview mit ihm geführt und mir dabei offensichtlich sein Vertrauen erworben. Und so kam es dann eines Tages zu dem eingangs erwähnten Anruf.

      Das Jahr, in dem wir dann intensiv an dem Buch arbeiteten, wird für mich eines der größten Abenteuer meines Lebens bleiben. Unvergeßlich, wie der Mann, der fast siebzig Jahre Theater- und Filmgeschichte geschrieben hatte, erzählen konnte.

      Nein, nein, erzählen ist der falsche Ausdruck. Er erzählte nicht, er spielte. Er war ein solcher Vollblutkomödiant, daß er mir jede Szene seines Lebens vorspielte, vorspielen mußte. Ging es beispielsweise um den Mordanschlag, der auf ihn verübt wurde, dann hat er nicht einfach davon erzählt, wie jeder andere das tun würde, sondern er spielte mir das Attentat vor: Den Täter, der zweimal auf ihn schoß, ebenso wie die geschockte Kronzeugin und sich selbst, das schwerverletzte Opfer. Und er war dabei nie ein Herr in den Achtzigern, sondern immer so jung wie damals, als es passierte.

      Tatsächlich: auf den jungen, noch völlig unbekannten Paul Hörbiger war ein Eifersuchtsattentat verübt worden. Das Kapitel »Mordanschlag auf Paul Hörbiger« schien mir freilich ein wenig zu plakativ, man kennt ja derartige »Erinnerungen« aus diversen Biografien. »Ohne Beweis wird uns das kein Mensch glauben«, erkannte auch er und sagte: »Wir müssen in die Nationalbibliothek gehen. Ich erinnere mich, daß es damals in irgendeiner Zeitung eine winzige Erwähnung des Attentats gegeben hat.«

      Das war der Augenblick, da ich zum erstenmal das Handtuch werfen wollte. »In den zwanziger Jahren gab es in Österreich zahllose Zeitungen«, entgegnete ich, »wir wissen weder das Jahr noch den Titel des Blattes und sollen eine winzige Erwähnung finden?«

      »Wir müssen sie finden«, sagte er in seiner bestimmenden Art.

      Tagelang durchwühlten wir Berge alter Zeitungen. Und fanden im »Neuen Wiener Journal« vom 10. August 1921 den Artikel »Die treulose Naive – Liebesdrama zwischen Schauspielern.« Wenn Paul Hörbiger sich etwas vorgenommen hatte, dann wurde es durchgeführt. Präzise und kompromißlos.

      Ähnlich aufregend ging’s dann weiter in seinem Leben – und auch in unserer Zusammenarbeit.

      Sein Leben ist ein Spiegel der Zeit- und Kulturgeschichte unseres Jahrhunderts, von der Monarchie über die Nazidiktatur bis zur Ära Kreisky. Vom Stummfilm- ins Fernsehzeitalter. Max Reinhardt holte ihn nach Berlin, unter Fritz Lang drehte er einen seiner ersten Filme, natürlich noch ohne Ton. Marlene Dietrich, Leo Slezak, Karl Valentin, Hans Albers, Heinz Rühmann, Theo Lingen, Zarah Leander, Romy Schneider zählten zu seinen Theater- und Filmpartnern. Und natürlich immer wieder Hans Moser, der für Hörbiger, wie er sagte, »ein einmaliger Glücksfall« war.

      Zwei Volksschauspieler, die auch außerhalb des Studios der Typ Wiener waren, den sie im Film verkörperten. Moser blieb, auch als reicher und berühmter Mann, der raunzende Kleinbürger. Hörbiger war immer Lebemann. Und wie sie lebten, sind sie auch gestorben. Moser, der Sparsame, als Millionär. Hörbiger, der Bonvivant, hatte die Gagen seiner dreihundert Filme aufgebraucht. Er hatte, im wahrsten Sinne des Wortes, gelebt.

      Es bereitete ihm sichtliches Vergnügen, in den vielen Gesprächen, die wir miteinander führten, einmal noch sein langes, reiches Leben Revue passieren zu lassen. Seine Töchter Christl und Monica sagten mir nach seinem Tod, das Erinnern und der anschließende Erfolg des Buches, das wir Ich hab’ für euch gespielt nannten, hätten ihm ein Jahr voller Freude geschenkt.

      Nach Erscheinen des Buches gingen wir daran, die Memoiren an den Stätten seiner Karriere für ZDF und ORF zu verfilmen, drehten in Berlin, Wien, in Reichenberg und Prag. Beim Abendessen im Prager Restaurant »Opera Grill« hatten wir nach Drehschluß ein berührendes Erlebnis. Wie so oft, wenn der große Mann mit dem schlohweißen Haar ein Lokal betrat, applaudierten die Gäste spontan. Der Pianist unterbrach seine Musik, spielte eine andere Melodie, und Hörbiger rannen plötzlich Tränen über beide Wangen. Als das Lied verklungen war, stand er auf und umarmte den Klavierspieler. Was war geschehen? Der Musiker Arnos Vrana hat jenes tschechische Volkslied »Pisnička Česka« intoniert, das 1940 Anlaß für Hörbigers Verhaftung durch die Gestapo gewesen war, nachdem es die Nazis verboten hatten. Und jetzt, vierzig Jahre später, spielte derselbe Pianist, als er Hörbiger erkannte, dieses Lied noch einmal. Und beide lagen einander weinend in den Armen.

      Paul Hörbiger stand bis zuletzt auf der Bühne des Wiener Burgtheaters. Er starb am 5. März 1981 im Lainzer Krankenhaus in Wien. Wo ich ihn wenige Tage vor seinem Tod zum letzten Mal besuchte. Fast siebenundachtzig Jahre alt und gezeichnet von der Schwäche seines Herzens, war er auch im Angesicht des Todes der alte geblieben, hatte seinen Humor nicht verloren. Als ich ihm am Krankenbett erzählte, daß dem beliebten Schauspieler Alfred Böhm – seinem Nachbarn in dem kleinen niederösterreichischen Ort Wieselburg – als nächstem die Goldene Kamera überreicht würde, sagte Paul, dem sie vier Jahre zuvor verliehen worden war: »Jetzt ist Wieselburg die Stadt mit den meisten Goldenen Kameras pro Kopf der Bevölkerung.«

      Mit den Worten »Ihr werdet’s net so lang um mich weinen, wie ihr über mich g’lacht habt’s« ließ Paul Hörbiger seine Memoiren ausklingen. Wenn wir heute einen seiner Filme sehen, sind wir glücklich, über ihn lachen zu können. Und traurig, daß es ihn nicht mehr gibt.

      »Was ich bin, verdanke ich der Paula«

      Eine Begegnung mit Attila Hörbiger. Und ein Nachruf.

      Wenige Stunden bevor sein Bruder Paul im März 1981 verstorben war, besuchte er diesen im Lainzer Krankenhaus. Seit einem Dreivierteljahrhundert hatten die beiden nur deutsch miteinander gesprochen, doch angesichts des nahen Todes unterhielten sie sich in der Sprache ihrer Kindheit, auf ungarisch.

      Sechs Jahre später ist auch Attila Hörbiger tot, der jüngere Bruder, das Oberhaupt der legendären Schauspielerdynastie. Er verstarb am 27. April 1987, wenige Tage nach seinem einundneunzigsten Geburtstag, in seinem Wiener Haus an den Folgen eines Schlaganfalls.

      Gewiß, diese Stadt ist reich an großen Schauspielern, nach wie vor. Doch war er der letzte vielleicht, dessen Auftreten uns verzaubern konnte, dessen Bühnenpersönlichkeit genügte, die Zuschauer einen kalten Schauer spüren zu lassen, bevor er noch ein Wort gesagt hatte. Der letzte, den man in einem Atemzug nennen konnte mit Werner Krauß, Raoul Aslan, Albin Skoda, Ewald Balser.

      Etwas mehr als ein Jahr vor seinem Tod hatte ich – aus Anlaß seines neunzigsten Geburtstags – das Glück, Attila Hörbiger noch einmal persönlich zu treffen. Das heißt, eigentlich sollte ich ihn gar nicht treffen. Paula Wessely wollte ihren Mann schonen.

      Sozusagen als Kompromiß bot sie mir damals, im April 1986, an, mit mir »über ihn« zu sprechen. Ich bin also hingegangen, in die Grinzinger Himmelstraße, habe mit ihr zwei, drei Stunden »über ihn« geplaudert, dann habe ich Papier und Bleistift eingesteckt, um mich mit einem artigen Handkuß zu verabschieden. Fast schon an der Tür angelangt, fragte sie mich: »Wollen Sie ihm vielleicht doch noch ›Guten Tag‹ sagen? Er würde sich sicher freuen.«

      Und wie ich wollte. Schließlich war er der Jubilar.

      Im Nebenzimmer kam mir Attila Hörbiger, neunzig, auf einen Stock gestützt, entgegen. Und doch: die Haltung kerzengerade, wie wir ihn noch knapp zwei Jahre davor auf der Bühne des Burgtheaters erlebt hatten. Ein wenig schlanker vielleicht, das Gesicht noch kantiger, aber mit dem klaren Blick scheinbar ewiger Jugend gesegnet.

      Auch