Adressen mit Geschichte. Georg Markus

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Название Adressen mit Geschichte
Автор произведения Georg Markus
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783902998552



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Da er all seine Aufgaben bravourös meisterte, wurde er vom Kaiser in den erblichen Adelsstand gehoben und 1880 zum Direktor des neuen Ringtheaters ernannt. Jauner war am Zenit seiner Laufbahn angelangt.

      Doch ein Jahr später kam es hier zur größten Katastrophe der Theatergeschichte. Das Ringtheater geriet während einer Vorstellung in Brand, 384 Menschen verloren ihr Leben.

      Franz Ritter von Jauner wurde wegen schwerer organisatorischer Mängel vom Gericht zur Verantwortung gezogen. Seine Mitarbeiter hatten nach Ausbruch des Feuers weder den Eisernen Vorhang heruntergelassen noch den Brandmelder betätigt, durch den die Feuerwehr verständigt worden wäre. So verstrichen wertvolle Minuten, ehe Hilfe kam. Jauner wurde zu einer viermonatigen Arreststrafe und zur Aberkennung seines Adelstitels verurteilt. Der Kaiser wies die zahlreichen Gesuche mit der Bitte um Gnade für Jauner zurück, weil »die Größe und Schrecklichkeit der Katastrophe wie der Leichtsinn Jauners eine Sühne verlangen, welche die allgemeine Meinung und auch mein Gefühl in einer Geldstrafe nicht finden«.

      Jauner, der ein Jahr vor der Katastrophe das Theater an der Wien erworben hatte, wohnte zum Zeitpunkt des Unglücks mit seiner Familie im letzten Stock des Theatergebäudes auf der Linken Wienzeile, von wo aus er sich jetzt im Fiaker ins Landesgericht führen ließ, um seine Strafe anzutreten.

      Die Wiener munkelten, dass er dort wie der Herr von Eisenstein im »Häf’n« der Fledermaus empfangen worden sei, da ihn das Personal, vom Direktor bis zum Gefängniswärter, anhimmelte. Auch nach Verbüßung der Haft schien Jauner wieder Fuß zu fassen. Zwar war ihm mit seiner Verurteilung die Bühnenkonzession entzogen worden, weshalb er das Theater an der Wien jetzt an Alexandrine von Schönerer verkaufte. Doch hinter den Kulissen blieb er der Operettenbühne erhalten, der er zu einem nie da gewesenen Höhenflug verhalf, als er 1885 den Zigeunerbaron in seiner Inszenierung uraufführte. Mit Girardi als Zsupan wurde die Strauß-Operette einer der größten Erfolge, die Wien je erlebt hatte.

      1894 verließ er das Theater an der Wien, um – mittlerweile rehabilitiert – zum zweiten Mal in seinem Leben die Direktion des Carltheaters zu übernehmen, in dem er jetzt auch eine Wohnung bezog. Doch seine große Zeit war vorbei. Die Gastspiele der Eleonore Duse und Sarah Bernhardts erregten Aufsehen, konnten aber den wirtschaftlichen Abstieg der Bühne nicht aufhalten. Jauner setzte sein eigenes Vermögen ein, um das Theater zu retten, schlitterte jedoch in den Konkurs.

      Am Vormittag des 23. Februar 1900 machte der Buchhalter dem Direktor die Mitteilung, dass für die Auszahlung der Wochenlöhne kein Geld mehr vorhanden wäre. Als der Mitarbeiter Jauners Büro verließ, griff der 67-jährige Theaterdirektor zu jenem Revolver, mit dem sich 16 Jahre davor sein Bruder Lukas erschossen hatte, und jagte sich eine Kugel in den Kopf. Franz Jauners Frau, die Hofopernsängerin Emilie Krall, folgte ihm vier Monate später, ebenfalls durch Selbstmord.

      WO DER KAISER GERADE WAR

      Katharina Schratt

      Wien 13., Gloriettegasse 9

      Die Damen und Herren Hofschauspieler verdienten schon sehr gut, damals. Aber so gut auch wieder nicht, dass sie sich gleich mehrere Villen und ein Palais auf der Ringstraße hätten leisten können. Dieser Luxus blieb der Hofschauspielerin Katharina Schratt vorbehalten, die drei Wohnsitze aufrechterhalten musste, um dem Kaiser stets nahe zu sein. Wenn er während der Wintermonate in der Hofburg residierte, besuchte er die Seelenfreundin am Kärntner Ring. Residierte er in Schönbrunn, nahm er das Frühstück bei ihr in der Gloriettegasse ein. Und in den Monaten Juli/August, wenn er in Bad Ischl weilte, musste sie Quartier im Salzkammergut nehmen.

      Das prachtvolle Palais am Kärntner Ring 4 war 1862 vom Bankier Jonas Freiherr von Königswarter errichtet worden (von dem der snobistische Satz stammt: »Jeder Prolet, der heutzutag eine Million besitzt, glaubt schon, er ist ein Millionär.«) und ging 1908 in den Besitz der Katharina Schratt über.

      Finanziert wurden das Palais Königswarter, die Villa in Hietzing und die (gemietete) Villa Felicitas in Bad Ischl freilich von Seiner Majestät dem Kaiser. Denn der wollte, dass seine »Seelenfreundin«, wie sie offiziell genannt wurde, immer in seiner Nähe war.

      Die Adresse Gloriettegasse 9 liefert den Beweis, dass Katharina Schratt mehr als nur Seelenfreundin war. »Dieses ist mein letzter Brief vor dem ersehnten, endlichen Wiedersehen«, schreibt der Kaiser im Juni 1896. »Da ich am 19. ungefähr um 6 Uhr Früh in Schönbrunn eintreffen werde, so werde ich mir erlauben um 8 Uhr oder etwas später, in der Gloriette Gasse zu erscheinen mit der Hoffnung, Sie, den Zeitumständen entsprechend, endlich wieder einmal zu Bett zu finden, was Sie mir auch halb und halb versprochen haben. Früher kann ich nicht kommen, da ich mich nach der Eisenbahnfahrt reinigen und rasiren muss.«

      Die in einem großen Park ebenerdig gebaute Schratt-Villa in Hietzing war, passend zum benachbarten Schloss, in noblem »Schönbrunnergelb« gehalten. Die Schauspielerin wusste die Sekunde, in der der Monarch – frühmorgens punkt sieben Uhr – einzutreffen pflegte und wartete bereits an der Gartentreppe, um ihn zu begrüßen. Sie geleitete den hohen Besuch dann in das dunkel getäfelte Raucherzimmer, das ausschließlich diesen Begegnungen vorbehalten blieb. Hier nahm Franz Joseph sein zweites Frühstück – Kaffee und Guglhupf – ein und ließ sich von der Schratt den geliebten neuesten Tratsch aus dem Burgtheater erzählen.

      Peter Schratt, der seine Großtante als Kind oft besucht hatte, erinnerte sich an »viele große Salons mit kostbaren Möbeln. Im Hintergrund die Stimme eines Papageis. Tante Kathi war eine maßlose Frau. Wenn sie Tiere hielt, hatte sie gleich sieben Hunde und drei Papageien und einen großen Affen. Trieb sie Mundhygiene, benützte sie sieben Zahnbürsten, für jeden Tag eine. Sie hatte auch sieben Kirchen, die sie in einem festen Turnus besuchte. Die Bettler kannten den Turnus und erwarteten sie jeden Morgen vor der richtigen Kirche, um dort von ihr gar nicht unbedeutende Beträge, Kuchen und Brot in Empfang zu nehmen«.

      Obwohl der Kaiser alles bezahlte, war die Schratt immer in finanziellen Schwierigkeiten, da sie als leidenschaftliche Spielerin am Roulettetisch ein Vermögen verlor. Als sie einmal aus Geldnot die Villa in der Gloriettegasse verkaufen wollte, flehte Franz Joseph in einem Brief inständig, dies nicht zu tun, weil die dortigen Treffen »zu den wenigen Lichtblicken meiner trüben Existenz« zählten.

      Sie behielt ihre beiden Wiener Häuser auch dann noch, als der Kaiser nicht mehr am Leben war. Um die feudalen Wohnsitze weiterhin finanzieren zu können, ließ sie Teile ihrer wertvollen Schmucksammlung versteigern, die sie in besseren Tagen ebenfalls von ihrem großen Gönner erhalten hatte.

      Nach Katharina Schratts Tod im April 1940 verkaufte deren Sohn Anton Kiss sowohl das Palais Königswarter als auch die Villa in der Gloriettegasse. Am Kärntner Ring 4 ist heute das Karajan Centrum untergebracht, die im Zweiten Weltkrieg durch Bomben stark beschädigte und wieder aufgebaute Villa in Hietzing befindet sich in Privatbesitz.

      EIN TRAGISCHER SEITENSPRUNG

      Lina Loos

      Wien 19.,

      Sieveringer Straße 107

      Es war Liebe auf den ersten Blick. Fünf Minuten nachdem der 32-jährige Architekt Adolf Loos im Jahre 1902 die bildschöne Schauspielerin Lina Obertimpfler im Literatencafé Löwenbräu zum ersten Mal gesehen hatte, fragte er sie, ob sie seine Frau werden wollte. Die zwanzigjährige Schauspielerin sagte ja – und eine Tragödie nahm ihren Lauf.

      Lina knüpfte bald nach der Hochzeit zarte Bande mit dem Studenten Heinz Lang, worauf ihre Ehe in Brüche ging. Die Wiener Gesellschaft hatte ihren Skandal, zumal sich schnell herumsprach, dass Linas Treffen mit dem Liebhaber ausgerechnet in ihrem von Adolf Loos extravagant gestalteten Schlafzimmer stattfanden.

      Und dann das schreckliche Ende: Als der Student erkennt, dass Lina nicht bereit ist, mit ihm nach England zu gehen – wie er sich das erträumt hat –, nimmt er sich das Leben.

      Lina Loos wird nach der Katastrophe in Wien geächtet und geht nach Amerika, um dort ein neues Leben zu beginnen.