Adressen mit Geschichte. Georg Markus

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Название Adressen mit Geschichte
Автор произведения Georg Markus
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783902998552



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erzählt von Österreich-Besuchern wie Napoleon, Lady Hamilton, Mark Twain, Richard Wagner oder Caruso, in deren Unterkünften sich ebenfalls erwähnenswerte Episoden ereignet haben. In nur zwei Fällen konnte ich trotz intensiver Recherchen keine Wohnadresse eruieren: Bei Karl May, der 1912 – eine Woche vor seinem Tod – nach Wien kam und offenbar den obligaten Meldezettel auszufüllen vergaß. Und bei dem bayerischen Original Karl Valentin, das 1923 in einem Kabarett auf der Mariahilfer Straße gastierte. Beide haben zweifellos in Wien genächtigt – aber ohne Meldezettel geht hierzulande gar nichts.

      Es gibt Adressen, die geradezu magisch von historischen Persönlichkeiten angezogen wurden: So lebten im Haus Stallburggasse 2 in der Wiener Innenstadt Maria Jeritza, Hugo von Hofmannsthal, Max Mell, Alfred Polgar und Engelbert Dollfuß. Und für eine Wohnung im Hochhaus in der Herrengasse 6 hatten sich Hans Jaray, Curd Jürgens, Robert Lindner, Oskar Werner, Georg Kreisler und Gunther Philipp entschieden.

      Auch wenn dieses Buch von berühmten Menschen handelt, sind die darin enthaltenen Geschichten nicht immer nur glamourös. An manchen Adressen haben sich Tragödien ereignet, wie die des umjubelten Opernstars Trajan Grosavescu, der in seiner Wohnung auf der Lerchenfelder Straße von seiner eifersüchtigen Frau ermordet wurde. Freiwillig aus dem Leben schieden Ferdinand Raimund, Franz Jauner, Eduard van der Nüll, Egon Friedell und Stefan Zweig. Und der Komponist Anton von Webern wurde in Mittersill irrtümlich von einem Besatzungssoldaten erschossen.

      »Zeige mir, wie du wohnst«, heißt es frei nach Chistian Morgenstern, »und ich sage dir, wer du bist.« Vielleicht gelingt es anhand der Adressen und Geschichten in diesem Buch, ein wenig mehr darüber zu erfahren, wer die betreffenden Personen wirklich gewesen sind.

      GEORG MARKUS

      Wien, im Juli 2005

      TEXT- UND ANDERE

      PROBLEME

      SCHAUSPIELER UND IHRE REGISSEURE

      EINE DIVA TRITT AB

      Adele Sandrock

      Wien 1., Opernring 19

      Ein Star kann in seinen Forderungen sehr weit gehen, er kann Höchstgagen und Sonderurlaube verlangen, sich Stücke, Rollen und sogar Mitspieler aussuchen. Er kann aber auch übertreiben. So geschehen bei Adele Sandrock, der großen Heroine des Wiener Burgtheaters, die viele Jahre in einer herrschaftlichen Wohnung des Hauses Opernring 19 – in dem sich heute das Burgkino befindet – residierte.

      Sie wurde gefeiert wie keine andere Schauspielerin ihrer Zeit, doch man konnte sie nicht zufrieden stellen, die Sandrock fühlte sich ständig zurückgesetzt und warf dem jeweiligen Burgtheaterdirektor vor, er würde ihre Konkurrentinnen bevorzugen, ihnen die besseren Rollen geben.

      Direktor Max Burckhard tat alles, um die Sandrock zu beruhigen, er nahm Rücksicht auf ihr reizbares Temperament, ihren Eigensinn in der Rollenwahl, er akzeptierte es sogar, wenn sie plötzlich Migräne bekam und die Vorstellung absagte. Als es einmal um die Verlängerung ihres Engagements ging, schrieb sie an Burckhard: »Meine Mutter erklärt, so nicht weiterleben zu können. Sie erschießt sich vor meinen Augen, wenn ich den Vertrag unter den Bedingungen unterschreibe.«

      Der Direktor (mit dem sie eine Zeit lang liiert war) gab auch da nach und verbesserte etliche Details. Doch bald war der Bogen überspannt. Burckhards Nachfolger Paul Schlenther brachte nicht so viel Geduld auf. Als er es ablehnte, den Schauspielvertrag ihrer – weit weniger talentierten – Schwester Wilhelmine zu verlängern, ließ sich die Sandrock eine Audienz beim Kaiser geben, der ihr aber auch nicht helfen konnte. Die Schwester musste gehen.

      Jetzt dauerte es nicht mehr lange, bis auch Adeles letzter Akt am Burgtheater eingeläutet wurde. Als Schlenther der 35-Jährigen in Schnitzlers neuem Stück Vermächtnis die Rolle einer Mutter anbot, erklärte die Diva, bebend vor Zorn, ihre sofortige Kündigung.

      Schlenther nahm – womit sie nicht gerechnet hatte – die Demission seiner beliebtesten Schauspielerin an.

      Schwer geschockt, zog sich die Sandrock zunächst in die Beletage von Wien – wie sie ihre elegante Wohnung am Opernring nannte – zurück. Sie und ihre Schwester, die hier in gemeinsamem Haushalt lebten, konnten vom dritten Stock aus in den damals für die Öffentlichkeit noch nicht zugänglichen Burggarten blicken. Umsorgt von einem Zimmermädchen, logierten die beiden Damen inmitten ihrer mit wertvollen Möbeln, Vorhängen und Teppichen überladenen Wohnung, ganz wie es dem Zeitgeist entsprach.

      Doch ohne ihre Burgtheatergage war Adele Sandrock nicht mehr in der Lage, diesen Lebensstil aufrecht zu halten. Sie ging jetzt auf Tourneen, trat am Deutschen Volkstheater auf, wurde von Max Reinhardt nach Berlin geholt. Aber die Karriere war ins Stocken geraten, die Schauspielerin konnte an die einstigen Erfolge nicht anschließen. Ihre späteren Versuche ans Burgtheater zurückzukehren, schlugen fehl, die Sandrock geriet in Vergessenheit, lebte zeitweise sogar in Armut. Der einstige Liebling der Wiener musste in eine kleine, in der Ölzeltgasse 1 hinter dem Stadtpark gelegene Wohnung ziehen.

      Das Comeback gelang erst ein Vierteljahrhundert nach dem Eklat, jetzt als komische Alte in den Unterhaltungsfilmen der zwanziger und dreißiger Jahre. Doch auch da dachte die Sandrock immer noch voll Sehnsucht an ihre große Zeit zurück, in der sie als Maria Stuart, als Lady Macbeth und als Cleopatra umjubelt worden war.

      Dramatisch wie alles in ihrem Leben war auch der Abschied gewesen. Als Medea hatte sie am 18. Oktober 1898 auf der Bühne des Burgtheaters ihre letzten Worte gesprochen: »Ich geh und niemals sieht dein Aug mich wieder!«

      Der Vorhang fiel und Adele Sandrock brach weinend zusammen.

      GIRARDI KAUFT EINE VILLA

      Alexander Girardi

      Bad Ischl, Steinfeldstraße 8

      Seine Wiener Wohnung lag nahe dem Theater an der Wien, in der Karlsgasse 18. Doch in den Sommermonaten zog es ihn, wie so viele Künstler, nach Bad Ischl, wo der einstige Schlosserbub stolzer Besitzer einer prachtvollen Villa war. Dass er diese Villa fand, war der chronischen Unpünktlichkeit Girardis – der auch bei Theaterproben immer als Letzter eintraf – zu danken. Der Publikumsliebling wollte am Ende der Theaterferien des Jahres 1893 mit seiner ersten Frau, Helene Odilon, von Ischl nach Wien fahren. »Da Girardi immer zu spät kommt«, schildert die Odilon in ihren Memoiren, »versäumten wir den Frühzug. Wir wollten nicht wieder zurück ins Hotel und machten deshalb einen Spaziergang. Wir kamen an einer Villa vorbei, die zu verkaufen war, traten ein, besichtigten sie. Als ob sie für uns gebaut worden wäre: nicht zu groß, nicht zu klein. Der Park gerade recht. Die Lage reizend und der Preis bescheiden. Ohne viel Überlegung schlossen wir den Kaufvertrag gleich ab; als wir Ischl mit dem nächsten Zug verließen, war die Villa unser.«

      Da Girardi krankhaft abergläubisch war, wurde das hoch über dem Traunufer gelegene Haus – ebenso wie seine Wiener Wohnung – mit Hunderten, ihm von seinen Bewunderern verehrten Glücksbringern voll gestopft. Kein Hufeisen, kein Schweinchen, kein Kleeblatt durften je weggeworfen, alles musste im Wohn-, Schlaf- oder Arbeitszimmer aufbewahrt werden, sonst wäre das Glück gewichen, davon war er überzeugt.

      Girardi verbrachte bis zu seinem Tod im Jahr 1918 jeden Sommer in Ischl. In seiner Villa befinden sich heute sechs Mietwohnungen.

      MIT DEM FIAKER INS GEFÄNGNIS

      Franz Ritter

      von Jauner

      Wien 6., Linke Wienzeile 6

      Dieser Mann schien das Glück gepachtet zu haben. Franz Jauner war ein beliebter Schauspieler und einer der erfolgreichsten Theaterdirektoren Wiens. Nichts schien den rasanten Aufstieg des Charmeurs, der in der Ringstraßenzeit im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens stand, stoppen zu können. Bis zu jenem Tag, an dem das Schicksal eine furchtbare Wendung brachte.

      Der elegante, gut aussehende Sohn eines k. k. Hofgraveurs war am Burg- und am Kärntnertortheater