PRIMORDIA - Auf der Suche nach der vergessenen Welt. Greig Beck

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Название PRIMORDIA - Auf der Suche nach der vergessenen Welt
Автор произведения Greig Beck
Жанр Языкознание
Серия Primordia
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958353619



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alte Dame und ihr Lächeln wurde breiter. Dann warf sie den Schal zurück, der von ihren Schultern auf ihren Schoß hing und legte damit das Stoffpaket frei.

      Ben kniete vor ihr nieder. »Danke schön, auch dafür, dass Sie niemandem etwas gesagt haben.«

      »Darf ich fragen, was das ist?«

      »Ein Notizbuch, das meiner Familie gehört – um genau zu sein, meinem Ururgroßvater Benjamin Cartwright. Es befand sich im Besitz von Sir Arthur Conan Doyle, der es auch versteckt hat. Es sollte Benjamins Erben zugehen, doch das Wissen darum war jahrzehntelang verloren gegangen.« Ben lächelte und schaute in ihre interessierten Augen. »Ich bin hierhergekommen, um es aus der Versenkung zu befreien, doch dazu musste ich es erst finden.«

      »Und Sie sind?«, fragte sie mit schiefgelegtem Kopf.

      »Ben Cartwright«, lächelte er zurück. »Der Jüngere.«

      Sie nickte. »Dann können Sie Ihr Erbe jetzt antreten.« Sie ließ die Hand über das verstaubte Leinen gleiten und stellte sich vor: »Rose Pennington.« Sie sah ihm in die Augen. »Aber eines sage ich Ihnen, wenn sich die Möglichkeit ergibt, werde ich selbst einmal in dieses Geheimfach schauen – wer weiß, was sich da noch für Schätze verbergen!«

      Sie ergriff Bens Hand und er spürte kleine, vogelartige Knochen unter papiertrockener Haut. »Seit ich ein kleines Mädchen war, liebe ich Abenteuer. Aber das Alter macht es einem schwer, eigene Abenteuer zu erleben.« Sie drückte seine Hand. »Geben Sie mir Ihre Nummer. Wenn ich noch etwas finde, rufe ich Sie an!«

      Ben nickte und tat, wie ihm geheißen. Er hielt ihr das Stück Papier entgegen und sie packte sein Handgelenk.

      »Und sagen Sie mir, was Sie finden! Ich wittere Abenteuer, Geheimnisse und Gefahr!« Sie hob die Schultern und lächelte. »Wenn ich fünfzig Jahre jünger wäre, würde ich Sie zwingen, mich mitzunehmen.« Sie reichte ihm das alte Notizbuch. »Viel Glück und gute Jagd, Benjamin der Jüngere!«

      Kapitel 12

      Das Notizbuch lag aufgeklappt vor ihnen auf dem Tisch. Für mehr als nur einen Augenblick starrten sie alle fassungslos darauf.

      Schließlich schaute Dan auf. »Ich sage, wir legen los … und zwar sofort!« Seine Augen glänzten.

      »Wir sind noch nicht bereit«, meinte Steve.

      »Und wie genau soll man sich auf so etwas vorbereiten?« Dan schaute in die Runde. »Wir sind alle hier, wir sind startklar, und ich kann diese Expedition bezahlen.« Er deutete auf Emma und dann reihum auf alle anderen. »Wir haben eine Kletterexpertin, einen Militärexperten, einen Handelsexperten …« Er schaute Andrea an, lächelte und ging dann direkt zu Jenny weiter. »Wir haben sogar eine Zoologin!«

      »Dan, du kannst nicht einfach in den Amazonasdschungel ziehen, als würdest du ein Picknick im Central Park planen. Genau so kommen Trottel wie wir ums Leben.« Ben seufzte. »Ich war mal kurz in der Gegend und es ist eine gottverdammte grüne Hölle.«

      »Tja, ich war sogar schon öfter da«, sagte Jenny. »Wir arbeiten mit den Einheimischen im Bereich der artgerechten Unterbringung von Tieren.«

      »Na also!« Dan reckte siegessicher die Faust in die Luft. »Damit wäre die Sache geklärt!« Er lehnte sich zurück.

      »Und was man auch nicht vergessen darf: Sagtest du nicht, das Zeitfenster beträgt nur eine Woche oder so? Und dass es bald wieder soweit ist?« Steve zuckte mit den Schultern. »Vielleicht gibt es nur einmal pro Generation eine bestimmte Flut, die den Weg freimacht, oder eine Trockenheit, die einen Zugang möglich macht, oder vielleicht irgendeine seltene Blume, deren Blüten den Weg weisen. Allein schon der Gedanke daran macht mich ganz verrückt. Tja, und wenn sich erst wieder in zehn Jahren eine solche Chance bietet …« Er zog die Schultern noch höher.

      »Jetzt oder nie«, sagte Emma mit verklärter Stimme.

      Ben hatte seine Ausgabe von der »Vergessenen Welt« auf den Tisch gelegt, die inzwischen ausgepackt war. Er faltete seine Hände, während er den Blick von einem zum anderen schweifen ließ.

      Selbst von seinem Platz aus konnte er den Geruch des jahrzehntealten Papiers wahrnehmen. Das Bündel, welches sie aus dem Windlesham Manor entwendet hatten, war längst ausgepackt. Unter dem Stoff hatte sich eine Schicht Wachspapier befunden. Nachdem er diese vorsichtig entfernt hatte, war das uralte, ledergebundene Notizbuch zum Vorschein gekommen. Es maß in etwa dreißig mal fünfundzwanzig Zentimeter, war neun Zentimeter dick und zum Platzen gefüllt. Der Einband war zerdellt und eingerissen, ganz offensichtlich war das Buch zu seiner Zeit in täglichem Gebrauch gewesen. Es waren sogar dunkle Flecken auf dem Leder, die er durch seine Militärerfahrungen eindeutig als Blutspuren erkannte.

      Und dann waren da die Gerüche: Das Notizbuch strahlte den Duft von Öl, Papier und Pflanzenrückständen aus, vielleicht sogar einer Art von Harz. In den Umschlag waren Initialen geprägt: B. B. C. – Benjamin Bartholomew Cartwright, sein Ururgroßvater.

      Er öffnete es – im Innenumschlag klemmten ein paar lose Seiten, einige getrocknete Pflanzen und sogar der Flügel eines großen Schmetterlings, der immer noch strahlend blau leuchtete und höchst fragil aussah.

      Jenny lehnte sich nach vorn und murmelte: »Morpho Peleides – der blaue Morphofalter, manchmal auch der Saphir des Amazonas genannt.«

      »Er ist wunderschön«, flüsterte Andrea.

      »Und so groß!«, fügte Steve hinzu.

      Bens meinte: »Damals gab es offensichtlich noch keine Einfuhrbestimmungen für seltene Tierarten!«

      Jenny nickte. »Ich habe hier auch nichts gesehen, denn sonst müsste ich dieses Fundstück zerstören oder melden. Ich hoffe nur, dass etwaige Parasiten, die sich auf dem Flügel befinden könnten, lange tot sind.«

      Ben setzte seine Untersuchung fort. Daten und Notizen verrieten ihm, dass es sich hierbei tatsächlich um die verschwundenen Aufzeichnungen der fatalen Expedition in Venezuela aus dem Jahre 1908 handelte. Vom Schreibstil früherer Generationen war Ben schon immer fasziniert gewesen – ihre Handschrift war sowohl präzise als auch schön, fast schon Kalligrafie, wogegen seine Sauklaue eher aussah wie die Hieroglyphen eines Arztes auf einem Rezept.

      Ben nippte an seinem Tee, verzog aufgrund des bitteren Geschmacks das Gesicht und blätterte dann vorsichtig eine weitere Seite um. Emma zog ihren Stuhl heran, um sich neben ihn zu drängen. Auf seiner anderen Seite stand Andrea, während Steve, Dan und Jenny ebenfalls die Köpfe reckten, um mitlesen zu können.

      »Diese Menschen«, setzte Emma an, »waren alle Künstler! So viele Talente!«

      »Allerdings«, antwortete er, während er die realistische Zeichnung eines Dampfschiffes betrachtete. Daneben standen die Eckdaten der Reise nach Caracas, die er und der Geldgeber der Unternehmung, Douglas Baxter, unternommen hatten. Von dieser südamerikanischen Stadt aus mussten sie mehrere Wochen auf dem Rücken von Pferden verbringen, bis sie den kleinen Ort Zuata erreichten. Dort hatten sie ihre ortskundigen Helfer getroffen – Pemon-Indianer hatte Benjamin sie genannt und eine Zeichnung von einem Dutzend ernst aussehender junger Männer hinzugefügt, die ihre schwarzen, glatten Haare wie Helme trugen und eine Art Kriegsbemalung im Gesicht hatten.

      Ben blätterte um und sah, dass die Tinte auf der folgenden Seite verwischt war, anscheinend von einer Art Harz. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie der Amazonasdschungel damals gewesen sein muss, im Jahre 1908.« Er las weiter und gab die Geschichte an seine Freunde weiter: »Von dort machten sie sich in ein unerforschtes Gebiet des Regenwaldes auf, um ein verstecktes Plateau zu finden, das nach Benjamins eigenen Worten alles infrage stellen würde, was wir über Biologie und Evolution wissen.«

      »Verstecktes Plateau«, las Dan über seine Schulter hinweg. »Oh, Mann!«

      Ben nickte. »In einem Land, verborgen unter einer immerwährenden Wolke – hm, vielleicht ist das diese Sache mit der feuchtesten Regenzeit.« Er drehte das Notizbuch in Emmas Richtung. »Tolle Zeichnung.«

      Auf