"Wir hätten in einem Rosengarten sitzen können". Sigrid-Maria Größing

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Название "Wir hätten in einem Rosengarten sitzen können"
Автор произведения Sigrid-Maria Größing
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783902998712



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nächsten Tag wurde er von Schüttelfrost befallen. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, und am Abend stellte sich Fieber ein. Aber Philipp wollte die Anzeichen der Krankheit nicht beachten, da für den nächsten Tag eine Jagd angesetzt war. Einen Tag schleppte er sich dahin, ohne irgend jemandem gegenüber eine Andeutung zu machen. Erst am darauffolgenden Tag ließ er die Ärzte holen, die sofort alle Mittel, die sie zur Verfügung hatten, an Philipp ausprobierten. Auch das Allheilmittel der damaligen Zeit wendeten sie an und ließen den Prinzen ausgiebig zur Ader, um ihn von den »schlechten Säften«, die ihrer Meinung nach das hohe Fieber verursachten, zu befreien. Aber Philipps Zustand verschlechterte sich von Stunde zu Stunde. Juana wich nicht von seinem Bett, wischte ihm den Schweiß ab und versuchte alles zu tun, damit Philipp wieder zu Kräften käme. Mit Entsetzen bemerkte sie, daß er plötzlich Blut zu spucken begann. Die Ärzte setzten Schröpfköpfe an, die aber das Befinden des Kranken nicht besserten. Die Kehle schwoll an, so daß er weder sprechen noch Nahrung zu sich nehmen konnte, dazu kam am sechsten Tag seiner Krankheit Durchfall, der ihn völlig entkräftete.

      Die Ärzte am Hofe wußten sich keinen Rat mehr und schickten nach Salamanca, wo der berühmte Doktor Parra praktizierte. Man bat ihn, in aller Eile zu kommen. Kaum war Parra eingetroffen, als ein heftiger Streit über die Behandlungsmethoden entbrannte. Man diskutierte am Bett, während Philipp vor den Augen seiner schwangeren Frau ins Koma fiel. Sein einstmals so schöner Körper war mit roten und schwarzen Flecken übersät. Der Sohn des Kaisers war unrettbar verloren, jede Hilfe war zu spät gekommen. Noch in derselben Nacht, am 25. September 1506, verschied er in den Armen seiner Frau.

      Juana war am Bett des Toten zusammengebrochen, und niemand konnte sie dazu bewegen, ihren Gemahl zu verlassen. Als die Höflinge kamen, um den Toten in einen hermelingefütterten Königsmantel zu hüllen, ihm eine schwarze Samtkappe auf die blonden Locken setzten und ihn mit flämischen Tapisserien umgaben, da konnte man ein fast stummes Schluchzen zwischen den Miserere-Gesängen hören. Die ganze Nacht zogen die Würdenträger des Landes durch die Räume, an dem toten Prinzen vorbei, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

      Am nächsten Tag wurde Philipp vom Thron herabgeholt, und in Anwesenheit Juanas begannen die Ärzte ihr grausiges Werk. Die Leiche wurde ausgezogen, dann wurde der Schädel geöffnet und das Gehirn herausgenommen. Den Körper schlitzte man von oben bis unten auf, entfernte das Herz und legte es in eine goldene Kapsel, um es nach Flandern bringen zu lassen. Die Gedärme und Eingeweide wurden verbrannt, aus den übrigen Körperteilen preßte man das Blut, damit die Verwesung nicht so schnell fortschreiten konnte. Weil man nicht die Möglichkeit hatte, den Körper einzubalsamieren, pumpte man Parfüm in die Adern. Anschließend wurde Philipp, oder was noch von ihm übrig war, wieder zusammengenäht und in gelöschten Kalk gebettet. So wurde der königliche Leichnam in einem Sarg aus Holz, in dem sich ein Sarg aus Blei befand, zum offiziellen Begräbnis in den Dom gebracht.

      Hatte der lebende Philipp Juana schon beinahe verrückt gemacht, so verlor sie nun vollends den Verstand. Sie verfiel in dumpfes Brüten, starrte tagelang vor sich hin und untersagte es, daß die Leiche Philipps nach alter Sitte beigesetzt wurde. Sie weigerte sich, den Sarg herauszugeben, sie wollte den toten Gemahl immer und überall bei sich haben. War es ihr schon zu Philipps Lebzeiten nicht vergönnt gewesen, ihren Mann ganz für sich alleine zu haben, so sollte ihr wenigstens der Tote nicht entgehen. Bald kursierten im ganzen Land die schauerlichsten Geschichten, daß Juana immer wieder den Sarg öffnen lasse, den Toten streichle und liebkose, zu ihm die zärtlichsten Worte spreche, wie sie Philipp neben sich zu Tische setzen lasse und ihn neben sich ins Bett lege. Ob all diese Gerüchte auch tatsächlich wahr waren oder ob ihr eigener Vater sie verbreiten ließ, um die Tochter im Lande in Mißkredit zu bringen, ist nicht sicher. Aber eines war deutlich zu erkennen: Juana zeigte nach dem plötzlichen Tod Philipps nicht mehr das Verhalten eines normalen Menschen. Sie gebärdete sich wie eine Rasende, wenn man versuchte, ihr den Sarg wegzunehmen und sie überreden wollte, Philipp doch endlich beisetzen zu lassen. Dazu kam, daß sie mit einem Mönch gesprochen hatte, der ihr erzählte, wie ein verstorbener König nach vierzehn Jahren wieder zum Leben erwacht sei. An diesen Gedanken klammerte sie sich mit all den Geisteskräften, die ihr noch geblieben waren. Sie war felsenfest überzeugt, daß auch Philipp nach dieser Zeit auferstehen würde. Vor versammelten Adeligen ließ Juana immer wieder den Sarg öffnen, und alle mußten ihr, bei dem schaurigen Anblick, den die Leiche bot, bestätigen, daß Philipp nur schlafe.

      Ein Jahr nach seinem so plötzlichen Tod erschien in Deutschland ein Gedenkblatt, in dem ausgesprochen wurde, was viele Gemüter bewegte. Wie konnte es sein, daß ein junger kräftiger König, ein Bild von einem Mann, so plötzlich, von einem Tag auf den anderen, von einer tödlichen Krankheit befallen worden war? Konnte da nicht etwas anderes, etwa Gift, im Spiel sein? Der Spanierin traute man allmählich alle Schlechtigkeiten zu. War es nicht möglich, daß sie in ihrem Eifersuchtswahn den Gatten selbst ermordet hatte, um ihn endlich, wenn auch nur als Toten, ganz für sich allein zu haben? Hatte sie nicht durch ihre vielen gräßlichen Eskapaden schon bewiesen, wozu sie fähig war?

      In dem Gedenkblatt war nachzulesen:

      »In seinem Hals fand man ein gswer

      Darab gestorben was der herr.

      Als landes fürsten und doctor

      Sagen uns gantz furwor,

      das es war ein vergifft feber,

      Das do entspringt von der leber,

      daran er etlich tage lag,

      Und man gros rates hilfe pflag.

      Es möcht aber alles gehelfen nit,

      Es must des lebens werden quidt.«

      Allmählich wandten sich auch die letzten Getreuen von Juana ab, sie hatte die Nerven derjenigen zu sehr strapaziert, die sie bedauert und mit ihr geweint hatten. Sie war in ihrem Wahn nicht mehr zu ertragen. Man versuchte wieder einmal, ihr den Leichnam wegzunehmen, aber bei diesem Unterfangen schrie sie laut und schlug wild um sich, spuckte und geiferte. Alles, was durch Jahre hindurch an Absonderlichem, Merkwürdigem, beinahe Verrücktem in ihr geschlummert hatte, brach mit solcher Heftigkeit aus ihr hervor, daß alle, die sie sahen, auch ihr eigener Vater Ferdinand, von Grauen gepackt wurden.

      In ihrem eigenen Interesse und zum Wohle des Staates gab es nur eine einzige Lösung: man mußte sie in Gewahrsam nehmen. Sie wurde nach Tordesillas gebracht und dort für ihr weiteres Leben von den Mitmenschen abgesondert. In einem Tag und Nacht bewachten, versperrten Zimmer dämmerte sie dahin, wusch sich nicht, nahm kaum Nahrung zu sich und lag wirr und mit zerzaustem Haar, völlig verwahrlost, auf dem Fußboden wie ein wildes Tier. So erblickte ihr junger Sohn Karl, der Kaiser, zum ersten Mal Juana, als er sie auf seiner Spanienreise besuchte. Entsetzen ergriff ihn, als er sehen mußte, wer seine Mutter war.

      Völlig vergessen von der Welt starb Juana im Jahre 1555, eine Frau, die ihr Leben durch zügellose Leidenschaft selbst zerstört hatte. Ihr eigener Mann hatte sie um den Verstand gebracht.

       »Andere mögen Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate!«

      FERDINAND I. UND ANNA VON UNGARN

      Lange Schatten warf die Zukunft voraus. Das Weltbild der Menschen, die sich bis dahin im Schoße der Kirche geborgen gefühlt hatten, wankte. Christoph Kolumbus, der seefahrende Genuese, hatte Amerika entdeckt, und überall waren Abenteurer und Glückssucher unterwegs, um den Menschen des 16. Jahrhunderts neue Möglichkeiten zu zeigen, ihren Blick auf ferne Länder zu richten und alle bisher geglaubten Theorien in Frage zu stellen. Astronomen, Astrologen, Alchemisten, Philosophen forschten nach dem Unbekannten in der Natur, das nur darauf wartete, ans Licht geholt zu werden.

      Aber auch im Inneren der Menschen selbst gärte es. Zweifel kamen auf, ob das, was die Kirche jahrhundertelang als absolute Wahrheit verkündet hatte, der einzig richtige Weg zum ewigen Heil sein sollte. Männer traten auf und wiesen neue Bahnen, beunruhigten mit ihren Theorien nicht nur den einfachen Christen, sondern auch den Kaiser. Es war schwierig, in diesen Tagen Herrscher zu sein; nur ein ungewöhnlicher Geist konnte die Probleme der Zeit erkennen und eine Lösung suchen.

      Maximilian I. hätte die