"Wir hätten in einem Rosengarten sitzen können". Sigrid-Maria Größing

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Название "Wir hätten in einem Rosengarten sitzen können"
Автор произведения Sigrid-Maria Größing
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783902998712



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Genießer, der manchmal so lange aß und trank, daß ihn seine heilkundige Frau Philippine Welser anschließend kurieren mußte.

      Ferdinand I. war wohl eine Ausnahme in einer lebensfrohen und sinnenfreudigen Zeit. Er wußte, daß er mit Anna von Ungarn versprochen war, und er hielt sich daran. Wenn andere Söhne aus allen Adelsschichten ihre galanten Abenteuer hatten – auch sein Bruder Karl –, so lebte der junge Prinz in völliger Keuschheit, was viele seiner Zeitgenossen nicht verstehen konnten. Die Renaissance hatte den menschlichen Körper wiederentdeckt; in Kunst und Literatur, in Liedern und Schwänken stand der Leib in seiner Schönheit, aber auch mit seinen Schwächen im Mittelpunkt. Man wollte auf der Erde, im Diesseits, alles erleben, was die Kirche den Gläubigen für das Jenseits versprach. Sitte und Moral waren in der Denkweise dieser Zeit überkommene Begriffe, man machte sich die Moralgesetze selber. Gut war, was einem gut tat. So lebte nicht nur der Adel, auch das Bürgertum und selbst die Bauern hatten nicht mehr den drohenden Finger der Geistlichen vor Augen, man versuchte so viel wie möglich an irdischem Genuß zu erhaschen. Die Städte waren Zentren der Lebenslust, und es galt für Bürger und Bürgerinnen nicht verwerflich, möglichst viele Liebhaber zu besitzen. Man sah nichts Schändliches in der Fleischeslust, im Gegenteil, die Literatur der Zeit rühmte geradezu besonders begehrenswerte junge Männer und Mädchen, die in der Liebeskunst erfahren waren. Man gestattete nicht nur den Männern ungewöhnlich viele Freiheiten, auch die Frauen mußten nicht mehr züchtig zu Hause sitzen und die Kinder hüten, auch sie genossen, wo immer und wann immer sich eine Gelegenheit bot.

      In dieser turbulenten Zeit wuchs der junge Ferdinand heran, ohne sich vom Strudel der Sinnlichkeit mitreißen zu lassen, obwohl er, wie sich später herausstellte, durchaus zu großer Leidenschaftlichkeit fähig war. Aber das Mädchen seines Herzens war noch nicht gekommen, er vermißte nichts, wenn er sich nicht für die Frauen am spanischen Hof oder in den Niederlanden interessierte.

      Karl und Ferdinand sollten sich erst im November 1517 in dem spanischen Dorf Mojados westlich von Valladolid persönlich kennenlernen. Man kann nicht sagen, daß sich die Brüder von Anfang an nahestanden. Es war Ferdinand, der den Bann brach, indem er seinem älteren Bruder, als sich dieser die Hände wusch, spontan ein Handtuch reichte. Es war nur eine Geste, zeigte aber doch, daß der Jüngere dem Älteren mit der Ehrfurcht entgegenkam, die ihm vom Alter und von seiner Position als zukünftiger Kaiser her gebührte.

      Dabei stand es zu dieser Zeit noch nicht einmal fest, daß Karl wirklich als Nachfolger Maximilians Kaiser werden sollte. Die Sympathien einiger Mächtiger galten dem jüngeren Ferdinand. So versuchte auch Margarete, Karl dazu zu bewegen, zugunsten seines jüngeren Bruders auf den Thron zu verzichten. Ob dies der Grund dafür war, daß sich Karl innerlich von seiner Tante zurückzog, obwohl sie für ihn, solange er denken konnte, Ersatzmutter gewesen war, wissen wir nicht.

      Natürlich versuchte auch Ferdinand von Aragon, der den jüngeren Enkel über alles liebte, seinen Einfluß geltend zu machen. Karl gab aber sehr deutlich zu erkennen, daß er unter gar keinen Umständen willens war, auf die Kaiserwürde zu verzichten, und auch Ferdinand akzeptierte die Einstellung des Bruders, vielleicht auch deshalb, weil er wissen mußte, daß er im Spiel um die Macht nicht ganz leer ausgehen würde. Schon Maximilian hatte eine Teilung des Reiches vorgeschwebt, er hatte erkannt, daß Gebiete von solch riesigem Ausmaß niemals von einer Person regiert werden konnten. Obwohl er sich seinen Enkeln gegenüber wahrscheinlich nicht äußerte, gibt es genügend Hinweise dafür, daß er der Ansicht war, beide Enkel sollten das Weltreich erben, jeder nach seinen Ambitionen. Merkwürdigerweise war es für Karl selbstverständlich, daß er über Spanien und die überseeischen Gebiete regieren wollte; er hatte aber nicht die Absicht, auf Teile des heutigen österreichischen Gebietes zu verzichten. So wollte er vor allem die Herrschaft über Tirol ausüben, ein Land, das durch seine Silbervorkommen zu den reichsten Gebieten im Alpenraum gehörte. Freilich konnte Karl mit dem Silber kaum rechnen, obwohl er an allen Ecken und Enden Geld brauchte, um seine Wahl zum Kaiser gegen den König von Frankreich durchzusetzen, denn seit den Tagen Maximilians waren die Silberminen von Schwaz an die Fugger verpfändet, die jährlich 200 000 Gulden Einnahmen daraus bezogen. Der Schuldenberg, den Kaiser Maximilian hinterlassen hatten, war unübersehbar hoch, und weder Karl noch Ferdinand wußten, wie sie jemals die Gläubiger befriedigen sollten. Nur guter Willen und verschiedene Privilegien konnten vor größeren Unruhen bewahren.

      Die Brüder einigten sich relativ rasch, welche Aufgaben sie in dem Weltreich übernehmen wollten, das ihnen der Großvater hinterlassen hatte. Ferdinand anerkannte Karl als Kaiser, und dieser teilte das Reich im Vertrag von Brüssel, 1522. Ferdinand wurde außerdem als Statthalter eingesetzt, das heißt, als Vertreter des Kaisers, wenn dieser außer Landes oder auf Kriegszügen war. Dadurch erhielt der jüngere Bruder eine Fülle von Macht, denn die österreichischen Gebiete des Reiches waren sprachlich ein geschlossenes Gebiet, das die Habsburger seit Generationen regierten. Karl hatte dem Bruder schließlich auch Tirol und die Vorlande übertragen; daß Böhmen und Ungarn das Reich im Osten abrunden würden, war im Jahr 1522 noch nicht vorherzusehen.

      Freilich hatte Ferdinand nicht nur Länder übernommen, er war mit einer Bürde von weltgeschichtlicher Bedeutung beladen worden: mit dem Kampf gegen die Türken, den noch seine Kinder und Kindeskinder fortführen mußten. Viel Geld und noch mehr Blut kostete der Krieg gegen die Osmanen, die sich in ihrem Drang nach dem Westen von niemandem aufhalten lassen wollten. Der junge König von Ungarn, Ludwig II., der als König keine eindrucksvolle Rolle spielte, da er zum Spielball zweier machthungriger Parteien geworden war und sich nie eindeutig entscheiden konnte, für wen er eigentlich war, verlor auf dem Schlachtfeld von Mohács 1526 sein Leben, ohne einen Erben zu hinterlassen. Seine junge Witwe Maria, die Schwester Karls und Ferdinands, versuchte in Ungarn noch einige Zeit mit geschickter Hand die habsburgischen Interessen zu vertreten, ohne es natürlich verhindern zu können, daß die Türken immer weiter nach Westen vorrückten und nur durch ein mächtiges Heer aufzuhalten waren.

      Durch den Tod Ludwigs wurde der alte Traum der Habsburger, Ungarn und Böhmen zu erwerben, wahr, und gleichzeitig erfüllte sich auch menschliches Glück. Denn so sehr sich Anna, wahrscheinlich unter dem Einfluß ihres ehrgeizigen Bruders, gegen Ferdinand als Gemahl gestellt hatte, so glücklich wurde die Verbindung ein Leben lang.

      Sie paßten gut zusammen, der eher zierliche, nicht allzu große Ferdinand mit seiner ausgeprägten Unterlippe, dem blonden Haar und den lebhaften, fröhlich dreinblickenden Augen, die Lebensmut und Güte ausstrahlten, und die kleine Königstochter. Die Zeitgenossen überbieten sich geradezu in der Lobpreisung ihrer äußeren Schönheit, und ein venezianischer Gesandter beschreibt sie als »bellissima, onestissima«. Ein Porträt aus dem Jahre 1521 zeigt ein zartes, rundliches Mädchengesicht mit einem kleinen, schönen Mund. Das rötlichblonde Haar und die blauen Augen, für eine ungarische Königstochter eher ungewöhnlich, hatte Anna von ihrer romanischen Mutter geerbt. Sie war auch nicht allzu groß, und so bildeten Ferdinand und sie ein ausgewogenes Paar.

      Auch auf ihre geistige Ausbildung hatte schon ihr Vater Wladislaw Wert gelegt, und als Anna nach dem ersten Wiener Kongreß in Innsbruck weiter erzogen wurde, achtete man darauf, daß sie neben anderen weiblichen Fertigkeiten wie Handarbeiten und Sticken auch geistige Interessen pflegte. Ferdinand schätzte ihre politische Umsicht und ihr Geschick, im richtigen Augenblick das Richtige zu tun, ein Leben lang, er hörte gern auf ihren Rat, setzte sie, wenn er außer Landes war, als seine Vertreterin ein und betraute sie mit der Regentschaft, eine Auszeichnung, die nur wenigen Frauen von Herrschern zuteil werden sollte.

      Nach den Jahren des Erwachsenwerdens in Tirol, die sie mit ihrer zukünftigen Schwägerin Maria verbracht hatte, mit der sie ihr ganzes Leben hindurch eine innige Freundschaft verbinden sollte, feierten Ferdinand und Anna im Jahre 1521 endlich wirklich Hochzeit. Die Stadt Linz war dazu ausersehen, den festlichen Rahmen für dieses große Ereignis zu bilden. Linz sollte auch in Hinkunft immer eine besondere Rolle im Leben Ferdinands spielen.

      Anna wurde in feierlichem Zuge aus Tirol nach Linz gebracht, sehr zum Mißfallen der Tiroler, denn die Innsbrucker hatten sich von der Hochzeit des Kaiserenkels mit der Königstochter großen finanziellen Gewinn erhofft. Der Bräutigam brach aus dem Rheinland auf und nahm mit seinem Gefolge den Weg über Heidelberg nach Augsburg. Er reiste in erlauchter Begleitung; der Salzburger Erzbischof Matthäus Lang und Herzog Ludwig von Bayern gaben ihm die