Krähenflüstern. Regine Kölpin

Читать онлайн.
Название Krähenflüstern
Автор произведения Regine Kölpin
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264447



Скачать книгу

in der Küche etwas Essbares zu zaubern. Das war mit einem jammernden Fünfjährigen am Bein gar nicht so einfach.

      In der elektrischen Kühlbox fand sie etwas Käse und in der einen Küchenkiste eine Flasche Dornfelder, etwas Apfelsaft und ein Baguette zum Aufbacken. Klang gut, nur wurde der Backofen erst morgen angeschlossen. So hatte sie die Wahl, entweder pappweiches Baguette zu essen oder Sinje schon wieder um einen Gefallen zu bitten.

      Es klingelte. Laut und schrill. An diese Klingel musste sie sich erst noch gewöhnen. In Jever hatte sie einen Gong gehabt, der weich und dezent darauf hinwies, dass sich Besuch ankündigte. Sie hätte darauf achten sollen, hier auch so einen zu bekommen; nun war es zu spät.

      »Willkommen im neuen Zuhause!« Die Nachbarfamilien standen vor der Tür. Sie waren dabei, einen Kranz aufzuhängen, und überreichten ihr ein kleines Säckchen Salz und etwas hartes Brot.

      »Das ist ja toll, aber … ich kann euch gar nichts anbieten!« Linda zuckte mit den Schultern und lächelte die Meute verlegen an. »Ich könnte jetzt den Pizzaservice anrufen und ihn bitten, eine Flasche Grappa mitzubringen …«

      Die Frauen der Nachbarn hoben abwehrend die Hände.

      »Aber ich glaube, da hier noch das totale Chaos herrscht, dass ich mich jetzt einfach bedanke und …«

      In dem Augenblick quetschte Laurin seinen blonden Kopf zwischen die Knie seiner Mutter: »Was wollen die Leute?«, plapperte er. »Wir haben gar nix zu essen. Nur Pappebrot!«

      Linda zuckte mit den Schultern. »Sag ich doch!«

      »Macht nichts«, grinste Hanno. »Ich glaube, wir hätten euch vorwarnen sollen, aber ich dachte, Thiemo wüsste, dass am ersten Abend die Nachbarn mit einem Kranz kommen.«

      »Thiemo ist gar nicht da«, sagte Linda. Nach dem betretenen Schweigen, das sie damit auslöste, wurde ihr die Absurdität ihrer Lage erst richtig bewusst. Ihr Ehemann wusste um die Sitten des Dorfes, sagte aber nichts und kreuzte an dem entscheidenden Einzugstag gar nicht erst auf.

      »Er hat einfach so viel um die Ohren in der letzten Zeit«, versuchte Linda ihn in Schutz zu nehmen. Sie merkte selbst, wie hilflos und unehrlich ihre Worte rüberkamen.

      »Ich bin übrigens Linda … wer mich noch nicht kennt …« Sie lachte, es klang schrill und sie wünschte sich eine dunkle Stimme, wie Sinje sie hatte. »Ich lade euch alle ein, wenn wir hier fertig sind. Versprochen.«

      »Das ist doch ein Wort!«, rettete Hanno die Situation. Er schaute aufmunternd in die Runde. »Da können wir heute wohl verzichten, was?«

      »Ich wusste echt nicht, dass ihr kommt. Ich habe nicht mal Schnaps hier – leider!«

      »Macht wirklich nichts. Wenn du es nachholst! Wir wünschen noch einen schönen Abend!«

      Linda schloss die Tür. »Thiemo hätte mich vorwarnen müssen!«, schimpfte sie leise. Dann hätte sie etwas dagehabt und sich nicht schon am ersten Tag vor den Nachbarn blamiert.

      Linda ging zurück in die Küche und befand, dass das ganze Haus grässlich neu roch. Da half nur eines: Es musste in Besitz genommen werden, und zwar schnell. Obwohl sie zweifelte, dass sie diese stur in weiß gehaltenen Räume jemals als gemütlich empfinden würde. Sie hatte ein zartes Terracotta für die Wohnzimmerwand vorgeschlagen, aber Thiemo meinte, er wolle schließlich nicht in einem Tontopf wohnen. Diese warmen Farben hätte er schon den ganzen Tag auf der Arbeit um sich.

      Nachdem Linda noch drei andere Variationen vorgeschlagen hatte und er ihr jedes Mal so dumm gekommen war, hatte sie sich dem Weiß gefügt und fühlte sich so manches Mal wie in einem ausgekleideten Sarg. Aber wenigstens hatte sie beim Aufstellen der Möbel freie Hand und konnte so eine gelungene Atmosphäre schaffen.

      Linda räumte die Kiste mit den Tellern leer und stapelte sie in den Küchenschrank, als Laurin zu maulen anfing, weil er Hunger hatte und kein Pappbrot essen wollte. Das Baguette lag in Folie eingeschweißt vor ihr. Als sie es auspackte, war es biegsam wie Gummi.

      »Pass auf, Laurin«, seufzte Linda. »Wir gehen zu Sinje und fragen, ob sie uns das Brot aufbackt.«

      »Ich bleibe hier!«

      »Kannst du das denn schon? Allein bleiben?«

      Laurin nickte eifrig. »Bin doch schon groß!«

      Linda schlüpfte in ihren blauen Blouson und stapfte durch die Baustraße.

      Der Rohbau auf dem Nachbargrundstück war verwaist. Er wirkte trutzig und klobig. Vielleicht, weil die Vorderfront nur eine senkrechte Reihe kleiner Fenster über der Haustür hatte, die bislang außerdem nur dunkle Löcher in der Klinkerwand waren.

      »Da kann später keiner reinschauen«, dachte Linda und warf einen Blick zurück. Laurin balancierte gerade über die Umzugskisten in der Stube.

      Sinjes und Hannos gemütliches Haus war ein krasser Kontrast zu dem hohläugigen Bau nebenan, der in Linda immer ein leichtes Frösteln hervorrief. Sie hatte von den Menschen, die es bauten, noch nie etwas gesehen.

      Hannos und Sinjes Garten war vollständig gezähmt. Noch hatte hier nicht der Alltag die Zügel in der Hand, der die zunächst akkurat und penibel angelegten Gärten meist doch recht bald in gemütlich angewilderte Gefilde übergehen ließ. Aber bei Hannos Pedanterie war das sicher nicht zu befürchten.

      Probst stand auf dem Keramik-Klingelschild, das an der rotgeklinkerten Hauswand angebracht war. Darunter wanden sich in einem riesigen Blumenkübel Efeuranken zwischen blühenden Primeln. Später würde sich die untergehende Sonne rötlich in den Sprossenfenstern spiegeln.

      Sinje und Hanno hatten es wirklich perfekt, aber sie waren auch kinderlos und mussten sich neben ihrem Beruf nicht um das Wohlergehen eines Fünfjährigen kümmern.

      Als Linda die Klingel betätigte, ertönte ein angenehmes Summen.

      Sinje öffnete. »Scheinst ja wirklich Sehnsucht nach uns zu haben. Wir haben uns doch eben erst gesehen. Habe leider nicht viel Zeit, muss gleich noch einkaufen.« Sie zuckte mit den Schultern und lachte. »Ebbe im Kühlschrank. Bei euch gab’s ja nichts!«

      »Ich wusste ja nicht …«

      »War ein Spaß. Was brauchst du denn?«

      »Ich wollte eigentlich nur …« Linda trat einen Schritt zurück, aber von der Auffahrt aus war es ihr unmöglich, in eines ihrer Fenster zu blicken.

      »Ich seh schon.« Sinje hatte das Paket mit dem Brot unter Lindas Arm entdeckt. »Na, gib schon her!«, sagte sie und griff danach. »Das mit dem Pappbrot hat Laurin ja laut genug verkündet. Ich backe es euch auf, kein Ding.«

      »Danke.« Linda renkte sich noch immer den Hals aus, um nach ihrem Sohn zu sehen. »Ich komme gleich wieder und hole es mir, weil … Laurin ist allein und …«

      »Hier in Neustadtgödens kommt keiner weg. Hier kennt jeder jeden und so klein ist er doch nicht mehr. Wenn du aus dem Erkerfenster im Wohnzimmer siehst, kannst du übrigens in eure Küche gucken.«

      Linda atmete auf. Sie machte sich wirklich immer viel zu viele Sorgen um Laurin.

      Sinje hielt ihre langen Locken mit der einen Hand nach hinten, als sie das Brot in den Backofen schob, der jetzt leise vor sich hin summte. Sie richtete sich auf und warf das Haar noch einmal mit einer kräftigen Handbewegung zurück. »Nimmst es nachher einfach raus und ziehst die Haustür hinter dir zu, okay?«

      »Das ist echt total nett. Ich bin völlig aufgeschmissen wegen des Essens«, sagte Linda.

      »Brauchst du noch Wurst? Die habe ich nämlich da. Ich war vorhin noch beim Dorfschlachter und habe etwas geholt. Aber sonst … Wird Zeit, dass ich etwas besorge.« Sinje griff nach einem Stapel Klappboxen. »Also, wenn du was Wurstiges brauchst …«

      Linda schüttelte den Kopf. »Das Brot reicht, ich habe noch Käse.«

      Sinje schob ihr einen Stuhl hin. »Setz dich. Es dauert ja einen Moment, bis das Brot kross ist.«

      Linda ließ sich auf