Explosion und dann?. Hady Jako

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Название Explosion und dann?
Автор произведения Hady Jako
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783347145870



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ein Umzug nicht erlaubt. Das Asylrecht besagt, dass man an das Bundesland gebunden ist, in dem man registriert wurde. Und das war bei mir Bayern. Ich durfte also nur in Bayern umziehen, ich durfte nicht in das Bundesland ziehen, in dem meine Cousine wohnte. (*) Das war hart für mich und meine Integration. Verletzt an Körper und Seele, entwurzelt aus der Heimat und so fern von der Familie – da wäre Verbindung und Nähe zu meiner Cousine wertvoll gewesen!

      Stattdessen war ich weiterhin auf mich alleine gestellt. Fünfzig Tage später wurde ich nach Neu-Ulm in das Asylheim an der Eckstraße verlegt. Diesmal belastete mich der Umzug sehr. Wieder war alles komplett neu und fremd: das Bürgerbüro, die Ärzte, die Menschen. Wieder waren keine Helfer für Übersetzungen und Deutschunterricht für mich da. Wie konnte ich sagen, was ich brauchte, was für meine Behinderungen notwendig war – ich hatte ja nicht nur den linken Arm verloren, sondern ich brauchte auch regelmäßige Nachsorge für mein krankes Auge und Ohr, vielleicht würde ich ein Hörgerät benötigen! Doch niemand hatte Zeit und Geduld mit mir. Die Menschen sagten, es täte ihnen leid, aber sie könnten mich nicht verstehen und mir daher auch nicht helfen. Das Deutsch-Lernen wurde also immer dringender!

      Ich begann so gut ich konnte zu recherchieren und erfuhr, dass man erst mit der offiziellen Anerkennung des Asylantrags einen Deutschkurs besuchen darf. Na, bravo! Aber ich brauchte die Sprache jetzt, ich musste doch mit dem Arzt reden, die Formulare bearbeiten und bei den Ämtern vorsprechen. Es musste also ein Dolmetscher her, solange ich keinen Deutschkurs bekam. Aber woher sollte ich den nehmen?

      In meiner tiefen Sorge schickte mir der Zufall Hilfe: Salah, ein Iraker; wir waren uns eher zufällig begegnet. Der Frisör aus Nasria hatte bei unserer Begegnung angeboten, dass ich mich melden dürfe, wenn ich mir die Haare schneiden lassen wollte oder Hilfe brauchte. Und die brauchte ich jetzt. „Das mache ich gerne für dich, ruf mich einfach an, wenn du Termine hast. Dann komme ich und übersetze für dich.“

      So ein Segen! Salah war da, als ich ihn brauchte. Ich war tief gerührt und dankbar. Er nahm sich Zeit, manchmal sehr viel Zeit. Dann überließ er den Frisörsalon seinen Angestellten und kam mit mir zum Arzt und manchmal auch in die Krankenhaus-Ambulanz. Die Ärzte in Deutschland hatten viel gesehen, was sie bei mir noch verbessern konnten. Ich bekam ein Hörgerät, eine Brille, und als mein kaputtes Auge sich buchstäblich in Tränen auflöste, bekam ich ein Glas-Auge. Damit war nun endlich der ewige Augenschmerz weg, die Sehfähigkeit dieses Auges war ja eh schon verloren gewesen. Auch eine Prothese für meinen Arm sollte gebaut werden – dazu später mehr.

      Jetzt begleitete mich Salah erst einmal überall hin, wo ich sprachliche Unterstützung brauchte. Ich teilte ihm mein Bedauern darüber mit, dass er wegen mir immer wieder stundenlang den Salon verließ, aber das wollte er nicht hören. „Amr – Khidma. Befiehl – ich diene!“ So sagen wir zu Familie und Freunden, und so wollte er es. „Ich helfe dir gerne, wenn ich kann.“ Sogar den Ärzten im Krankenhaus sagte er das, und er würde auch beim Bezahlen helfen. Mir wird ganz warm, wenn ich daran zurückdenke. So ist es bis heute: Das Haareschneiden ‚darf‘ ich nicht bezahlen! Ungefähr vier Monate später waren meine Sprachkenntnisse endlich gut genug, so dass ich mehr und mehr Termine selbstständig erledigen konnte. Aber zum Haareschneiden gehe ich immer noch zu Salah, und ich freue mich jedes Mal, wenn ich ihn wiedersehe!

      5: Anerkannter Asylant – Endlich Zugang zum Sprachkurs

      Endlich, nach ungefähr zwei Monaten, war mein Antrag bearbeitet und ich erhielt offiziell Asyl. Das bedeutete: Ich erhielt die Erlaubnis zum Besuch eines Sprachkurses! Jetzt konnte ich richtig loslegen, Grammatik und Co lernen! Die Freude hielt sich doch in Grenzen, denn die deutsche Sprache ist wirklich sehr anspruchsvoll. Entsprechend schwierig war der Einstieg, und noch schwieriger war das Lernen mit ‚schlecht hören und schlecht sehen‘. Manchmal verstand ich die Wörter ohne Hörgerät gar nicht, und mit Hörgerät verstand ich sie falsch. Frustrierend war das. Aber die Lehrerin war sehr nett, ich durfte ganz vorne an der Tafel sitzen und es wurde alles für mich wiederholt, was ich fragte.

      Und dann lernte ich Tag und Nacht. Ich hatte mir gleich mehrere Bücher besorgt, darunter befanden sich auch Kinderbücher, die waren sprachlich einfach, und es waren Spenden, also hatte ich die Bücher kostenlos erhalten. Das war gut für den Anfang. Ich musste das einfach schaffen, ich musste unbedingt mein eigener Übersetzer werden. Jeden Nachmittag las ich in Wörterbüchern und schrieb Sätze in die Schulhefte. Die zeigte ich am Tag darauf der Lehrerin. Sie unterstützte mich und machte mir Mut: „Super, Hady, so wird dein Deutsch langsam besser. Aufgeben gibt es nicht. Ich helfe dir gerne, du kannst mir weiter alle Übungen bringen.“

      Wie gesagt, es gibt Menschen, die uneigennützig helfen. Toll! So konnte ich nach ein paar Monaten schon ein bisschen reden, wenn auch behelfsmäßig. Die Sprachanwendung fand allerdings nur in der Schule statt. Deutsche Freunde hatte ich noch nicht.

      Bei Amts- oder Arztterminen gelang die Verständigung langsam besser, das merkten auch die Beschäftigten dort. Zu meiner Augenärztin in der Klinik begleitete mich einmal ein Englisch-Dolmetscher. Die Ärztin sprach zu ihm in Englisch und er übersetzte für mich in Ezdiki (*). Mit mir sprach sie zusätzlich Deutsch und merkte, dass ich sie ganz gut verstand. Super sei das, ich verstünde ja schon ziemlich viel, das sei vor ein paar Monaten noch ganz anders gewesen. Als ich an der Reihe war, schlug sie vor, dass mein Englisch-Dolmetscher im Wartezimmer bliebe. „Den brauchen wir nicht!“, strahlte sie. So machten wir es dann auch. Wir verzichteten auf den Übersetzer und ich versprach ihr, dass es beim nächsten Mal sogar noch besser klappen würde. Ich war auf mich und auf meine Lehrerin stolz. Immerhin war sie es, die mich bestärkt hatte, nicht aufzugeben. Beim Ausfüllen der Papiere für die Ämter halfen mir Renate Koch und Sigrid Grüninger von der Diakonie. Sie sagten, sie machten das gerne für mich und ich dürfte ruhig mit allem kommen, was nötig ist. Mit der Sprache klappe es ja schon prima, meinten sie, und das Ausfüllen von Formularen würde ich schon noch lernen. Na, ja, Amts-Deutsch ist bis heute schwierig für mich. Doch wie ich gelernt habe, ist es das für viele Deutsche auch. Man denke nur an die Steuererklärung oder Ähnliches. Da sind sie schon ‚ein bisschen verrückt‘, die Deutschen: ALLES muss man schriftlich erledigen: Formulare, Formulare, das bin ich von meiner alten Heimat her nicht gewohnt.

      Renate Koch hatte dann noch eine gute Idee: Um eine Sprache zu lernen, braucht man Kontakt, Sprachpraxis, Leute, mit denen man reden kann. Ich hatte ja schon manchmal ein Internet-Café besucht, da konnte man für einen Euro pro Stunde Deutsch-Übungen machen. Außerdem ging ich einkaufen, aber der wirkliche Kontakt zu Muttersprachlern fehlte noch. Ich solle zusätzlich zum Familienzentrum kommen, so lautete Renates Empfehlung. Da gäbe es kostenlose Internet-Möglichkeiten und viele Kontaktangebote, zum Beispiel gemeinsame Koch-Veranstaltungen oder Spielenachmittage. Gesagt, getan. Inzwischen bin ich richtig gut in Mensch-Ärgere-Dich-Nicht und im UNO-Kartenspiel. Eine bunte Auswahl an Möglichkeiten wurde angeboten, das war toll! Seitdem bin ich ein Familienzentrumfreund und ehrenamtlicher Mitarbeiter dort. Ich helfe neuen Geflüchteten beim Übersetzen und Deutschlernen. Auch an Flohmarktverkäufen und wiederholten internationalen Koch-Aktionen beteiligte ich mich schon. Ich wurde sehr für mein Biryani (ezidisches Reisgericht mit Rosinen, Mandeln bzw. Nüssen, Fleisch und Gewürzen) gelobt, das kann ich sogar mit einem Arm kochen! So hatten mir also wieder einmal Menschen Segen beschert! Renate Koch ist inzwischen wie eine Mama für mich, ein wunderbarer Mensch, ich mag sie sehr. Mein Deutsch wurde auf diese Weise praktisch nebenbei besser – und ein paar Jahre später wurde ich sogar Übersetzungshelfer im Nebenjob, finanziert von der Stadt Neu-Ulm. Meine Arzt- und Amtsgänge erledige ich selbstständig und diskutiere mit Fachkräften, um meine Anliegen zu vertreten.

      Mama Koch und Sigrid Grüninger hatten bald zusätzliche Hilfe bei der Wohnungssuche angeboten. Sie würden auch für zwei Menschen suchen, also für mich und einen Mitbewohner, das war manchmal einfacher. Aber ich fand niemanden, der mit mir wohnen wollte. Meine Behinderung war wohl ein Problem für manche Menschen. Es dauerte bis 2010, dann konnte ich das Asylwohnheim verlassen. Endlich, ich war so froh! Sechs Monate lang hatte mein Heimaufenthalt gedauert! Es war doch schwierig, ohne Privatsphäre auszukommen, außerdem hatte ich auch Diskriminierung durch geflüchtete Mitbewohner erlebt. Meine eigenen vier Wände – was für eine Wohltat!

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