Explosion und dann?. Hady Jako

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Название Explosion und dann?
Автор произведения Hady Jako
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783347145870



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ich nicht. In unregelmäßigen Abständen wurde uns Wasser oder ein Brot gereicht. Bezahlt wurde ein Vielfaches der Normalpreise. Wir durften ein Versteck niemals verlassen und wir durften auch auf keinen Fall miteinander sprechen. Nur warten mussten wir, warten auf den nächsten Wegabschnitt, auf die nächste Rast. Manchmal dauerte es sehr lange bis zur nächsten Pause, so lange, dass die Atemluft knapp wurde. Die Lebensgefahr fuhr ständig mit: Einmal lagen wir 17 Stunden unter einem LKW zwischen den rasenden Reifen versteckt! Die Anweisung hatte gelautet: NICHT herauskriechen, auch nicht bei Fahrtunterbrechung, denn das könnten Polizeikontrollen sein.

      Im Kopf hatten wir Berichte über schreckliche Unfälle, erstickte Flüchtlinge, verhungert, verdurstet. Im Herzen tobte der Mut der Verzweiflung, eine Mischung aus Todesangst und dem Willen, durchzuhalten. So erregt wir innerlich waren, so regungslos verhielten wir uns äußerlich: Stundenlang verharrten wir in einer Position, manchmal gab es keine Möglichkeit, sich zu drehen. Schmerzliche Schockstarre überkam uns, nicht einmal Tränen liefen. Aber die Notdurft, die lief schließlich doch. Meine Wunden schmerzten unerträglich, das Gesicht und der Bauch fühlten sich roh und blutig an. War das vielleicht doch die Reise in den Tod? In dieser Ungewissheit war er auf jeden Fall allgegenwärtig. Es war eine Elendsreise, doch ein Gedanke gab uns Mut: Raus! Raus dem Irak! Wir mussten durchhalten, und dann würde ein Leben in Frieden und Freiheit beginnen.

      So kamen wir tatsächlich an: dreckig, stinkend und am Ende unserer Kräfte. Meine vier Mitreisenden und ich kletterten aus dem Laderaum des letzten LKW – und im selben Moment waren sie weg. Weg, untergetaucht! Ich sah sie nie wieder. Auch der Lastwagen verschwand. Ich stand alleine an der Straße. Wo war ich? War das Deutschland? In welcher Stadt war ich? „Allemagne?“, fragte ich einen Passanten. Inzwischen weiß ich, dass er mir gute Informationen gab, aber damals konnte ich nichts verstehen. Von einem Araber erfuhr ich schließlich, dass ich in Deutschland war, in der Stadt München. Ich wollte meinen Bruder anrufen und meiner Familie mitteilen, dass ich lebe – doch sein Handy wollte der Mann mir nicht geben. „Geh zur Polizei, dort wird dir weitergeholfen.“ Ich verlief mich trotz seiner Wegbeschreibung und der U-Bahn-Karte. Ich irrte in dieser großen Stadt herum, dreckig, stinkend und hungrig. In einer Pizzeria kaufte ich von dem Rest Geld, der mir geblieben war, etwas zum Essen (geblieben waren 40 € von ca. 450 € Verpflegungsgeld). Ich aß und trank und schöpfte neue Kraft.

      Ein Mann aus Afrika brachte mich zu einer Telefonzelle und ich konnte meinen Bruder erreichen. ENDLICH! Mein Anruf brachte ihm Erlösung, das Warten und Bangen hatte ein Ende. Ich spürte seine Gefühle so deutlich, als stünde er neben mir, als würde ich innig von der ganzen Familie gedrückt!

      Da wurde mir etwas leichter ums Herz und ich suchte weiter nach einer Registrierungsstelle für Flüchtlinge in München. Ein Polizist schickte mich weg, er verstand ja nicht, was ich wollte. Sicher dachte er, ich bin ein Verrückter, so dreckig und stinkend wie ich war.

      Und wieder sprach ich zu einem anderen Polizisten: „I am Iraki, I am new here, I have no papers. And I will not go back! I will stay here with you.“ Der Polizist telefonierte, es dauerte eine Viertelstunde, dann durfte ich mit ihm im Auto zur Polizeistation fahren. Dort wurde ein Dolmetscher für mich bestellt, doch ich war längst auf meinem Stuhl eingeschlafen. Die Strapazen der Flucht krochen mir aus den Knochen. Später erfuhr ich, dass drei Stunden vergangen waren, als mich ein arabischer Gruß weckte. „Salam Aleikum!“ Ich blickte verwirrt in freundliche, dunkle Augen. Der Mann war Ägypter und half mir, meine Geschichte zu erzählen: Wer ich bin, wann und wo ich geboren wurde: Mein Alter glaubte er mir nicht: „24? Du siehst eher aus wie 124!“ Das wollte er später noch kontrollieren. Jetzt sollte ich erst einmal erzählen, woher ich gekommen war und warum ich in Deutschland bleiben wollte.

      Der Polizist und der Dolmetscher waren nette Menschen, und sie folgten meinen Erzählungen. Ganz still wurden sie, nur ab und zu stellten sie eine Frage. „Die ezidische Minderheit hat im Irak keine Rechte. Schauen sie, was sie mit mir und so vielen anderen gemacht haben. Es gibt keine Hilfe, keine Hoffnung auf ein würdiges Leben für mein Volk!“. Da hatten sie keine Fragen mehr und keine Kommentare zu meiner illegalen Einreise. Was war einem Eziden ohne Visum auch anderes übrig geblieben!? Ob ich die 12.000 Dollar an meinen Bruder zurückzahlen müsse? Nein, beteuerte ich, das hatte er von Anfang an nicht gewollt. Ich spürte das Mitgefühl dieser beiden Männer. Ich durfte duschen, bekam eine warme Mahlzeit und ein Nachtlager. Am nächsten Morgen erhielt ich vorläufige Papiere. Ich wurde zusammen mit einigen anderen Geflüchteten in ein Aufnahmelager gebracht.

      Dort erhielt ich am nächsten Abend Besuch: Es war Mashal, ein Verwandter, der schon seit längerer Zeit in Deutschland lebte. Er brachte mir ein Handy, Kleidung und etwas Geld. Er war von meinem Bruder im Irak informiert worden und war sofort gekommen. Wir schauten einander an und fielen uns in tiefer Verbundenheit in die Arme. Ein Vertrauter in der neuen Heimat war für mich da, das bedeutete Unterstützung, Hoffnung. Unbeschreiblich fühlte sich das an – ja, jetzt war ich angekommen, jetzt war ich hier, in sehnsuchtsvoller Erwartung meines neuen Lebens und gleichzeitig mit sehnsüchtigen Gedanken an meine Lieben in Ghobal. Mit aufgewühltem Herz legte ich mich in dieser ersten Nacht in Deutschland schlafen. Diese erste Nacht in meiner neuen Heimat bescherte mir wilde, schöne alte und unbekannte neue Träume.

      4: Vom Aufnahmelager bis zur eigenen Mietwohnung

      Am nächsten Morgen ging meine Reise in ein Aufnahmelager in Zirndorf bei Nürnberg weiter. Dort war ich mit vielen Menschen aus verschiedenen Ländern zusammengewürfelt worden. Die meisten schienen sehr verunsichert, alle sprachen schlechtes Deutsch. Auch meine Sprachkenntnisse waren quasi bei Null – ich nutzte Hände und Füße und versuchte geduldig und flexibel zu bleiben, auch dem Essen gegenüber, das ich sehr gewöhnungsbedürftig fand. Wir kochten im Flüchtlingsheim anfangs heimische Gerichte und gewöhnten uns erst nach und nach an das deutsche Essen. Inzwischen möchte ich das hiesige Essen nicht mehr missen. Besonders die schwäbischen Spätzle mit Wienerle und Linsen haben es mir angetan. Ich bin halt doch ein echter Schwabe geworden.

      Mein Zimmer teilte ich mit mehreren Personen. Es gab Regeln, wie Pünktlichkeit und Ordnung. Nachmittags ging ich manchmal spazieren. Ich hatte inzwischen einige Eziden kennengelernt. Wir trafen uns gelegentlich im Park und tranken ein Bier zusammen. Da machte ich eine interessante Feststellung: Einige Menschen waren sehr nett zu mir, von anderen fühlte ich mich irgendwie diskriminiert. Ich war der Behinderte, mit mir wollten sie nicht zusammen gesehen werden. Das machte mich traurig! Doch es regte sich auch Widerstand in mir! Nein, ich wollte mich nicht wieder von Ablehnung und Diskriminierung beeindrucken lassen, nie wieder! Was ich in der Heimat erlitten hatte und dass ich nicht mal Hilfe vom eigenen Staat bekam, das sollte mich nie wieder niederdrücken. Ich dachte: „Das ist mir wurscht. Ich werde hier in Deutschland nette Menschen kennenlernen und auch Arbeit finden!“

      Also sprach ich auch bei meinen Anrufen zu Hause nur von meinen positiven Erlebnissen. Meine Mutter und meine Schwestern freuten sich. „Wie gefällt dir Deutschland?“ „Sehr gut. Nur bin ich momentan noch ein bisschen wie stumm und taub, weil ich die deutsche Sprache noch nicht kann. Aber die werde ich schon noch lernen und dann werde ich mir damit meine neue Zukunft aufbauen!“

      Soviel stand fest: Egal wie schwer diese Sprache sein würde, ich würde niemals aufgeben. Deutschland, seine Sprache und die Menschen hier – das war jetzt meine Heimat, meine Zukunft.

      Einmal stellte ich bei einem Arztbesuch in Zirndorf in Bayern fest, dass auf dem Krankenschein mein Geburtsdatum nicht stimmte. Ich ging zur Ausstellungsbehörde und meldete das. „Entschuldigen Sie, da steht 1975, aber ich bin 1985 geboren. Ich bin doch nicht zehn Jahre älter!“ Die Dame verwies auf den Polizisten aus München, der meine Ankunft in Deutschland als erster aufgenommen hatte. Der Fehler von dieser Aufnahme war noch nicht korrigiert worden. Das gab eine große und komplizierte ‚Verwaltungsschleife‘, doch mit viel Unterstützung erhielt ich nach einigen langen Wochen mein korrektes Geburtsdatum zurück. Puh, Glück gehabt!

      Nach ungefähr zwei Monaten bekam ich einen Termin wegen meines Asylantrags. Ich wollte gerne nach Stuttgart ziehen, weil dort meine Cousine wohnte. Sie könnte mir sicher gut helfen, auch mit Übersetzungen. Ich brauchte ja weiter medizinische Unterstützung und auch Hilfe bei Verwaltungsangelegenheiten. Es gab so viel zu lesen und zu schreiben, Anträge und Formulare auszufüllen. Da sagt man wohl: typisch