Explosion und dann?. Hady Jako

Читать онлайн.
Название Explosion und dann?
Автор произведения Hady Jako
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783347145870



Скачать книгу

Krankenhausentlassung den Staat um Hilfe: Einen Rentenantrag stellte ich, alle möglichen Ämter in Mossul und Tal Afar suchten wir auf; Papiere, Formulare mussten ausgefüllt werden. Wochenlang dauerte das Warten auf Entscheidungen. Dann erhielt ich die Absage: „Hady Jako hat nichts für den Staat getan, also kann er auch keine Rente bekommen.“

      In der Nacht überkamen mich wieder und wieder diese Bilder und raubten mir den Schlaf: Ich befinde mich mit Freunden bei der Rekrutierungsstelle. Es geht um die Heimat und die wollen wir schützen … Die Explosion … mein Freund, Blut, Leichen, Dunkelheit … Ein amerikanischer Arzt sagt: „Er lebt noch!“ Hastig macht er einen Luftröhrenschnitt: „Er soll nicht in die Kühlkammer, schickt ihn ins Krankenhaus, vielleicht gibt es eine Chance, vielleicht!“

      In meinem Kopf kreisten die Zahlen: Zu 95 Prozent bestand die Wahrscheinlichkeit zu sterben, nur fünf Prozent Hoffnung gab es. Doch Hoffnung auf was? Hoffnung auf ein Leben mit Schmerzen, mit Behinderung und ohne Perspektive, ohne Einkommen und ohne staatliche Unterstützung – sollte das der Sinn der Hoffnung sein?

      Aber meine Familie und ich gaben nicht auf, drei Jahre lang nicht! Wir versuchten, was wir konnten. Es musste doch Hilfe geben!

      Abgelehnt! Antrag abgelehnt – wieder und wieder. Aber ich war doch Iraker! Und ich wurde im von mir geplanten Einsatz für den irakischen Staat verwundet. Von welchem Einkommen sollte ich jetzt weiterleben? Und wofür sollte ich leben? Lähmende Aussichtslosigkeit ergriff mein Gemüt: Ein Angehöriger einer Minderheit – ein Ezide – so einer war einfach nicht erwünscht. Ein behinderter Angehöriger dieser Minderheit wurde schon gar nicht gebraucht. Meinem Heimatstaat war es nie auch nur in den Sinn gekommen, mich und die Eziden anzuerkennen oder gar zu unterstützen; das war uns nun klar geworden. Diese politische Haltung war bitter und sehr, sehr deprimierend.

      Nur wenn die Schmerzen unerträglich waren, kroch ich zum Arzt und ließ mir mit dem Geld, das meine Geschwister zusammenkratzten, Medikamente geben. Meine Familienangehörigen finanzierten nun mein Leben, jedes Brot, jede Kleidung, jede Medizin. Sie beschworen, dass sie das alles wirklich gerne für mich taten – aber mich machte das unendlich traurig. Ich verstehe das bis heute nicht: Ich hatte alles für meinen Staat riskiert, war verwundet worden und bekam nun nichts. Keine Worte, keine Hilfen.

      Das konnte so nicht weitergehen. Doch es ging – insgesamt drei Jahre lang, in denen ich auf den Taschen meiner Geschwister lag. Scham und Langeweile mischten sich zu einem elendigen Brei, der mich im Alltag vergiftete. Die Tage waren eine Last, die Nächte eine Qual. Schlaftabletten, Alkohol und die Angst, zu allem Übel auch noch verrückt zu werden, waren meine ständigen Begleiter. Meine arme Mutter hatte solches Mitleid, dass auch sie ins Elend fiel und Nacht für Nacht schaute, ob ich endlich eingeschlafen sei. „Mein Sohn, was kann für ich tun?“ Doch da gab es leider nichts, wir fanden weder Hilfe noch Trost.

      Da wäre es vielleicht doch besser gewesen, ich wäre gestorben? Doch das wollte sie nicht hören – Mutter, mein Engel. Sie sei froh, dass ich am Leben sei und sie wolle mich in der Familie haben und pflegen, solange es eben sein musste. Ich sei doch wiedergeboren! Das haben die Frauen eigentlich feiern wollen, aber das war ja wegen der vielen Toten und Vermissten um uns herum nicht möglich gewesen. Nun wolle sie sich zufrieden geben und für meine Zukunft sorgen und beten.

      3: Raus aus der Sackgasse – Mit Hoffnung im Gepäck

      Immer quälender wurde meine Gegenwart. Ein behinderter Ezide im Irak – statt Respekt und Anerkennung vom Staat gab es nur Diskriminierung und Verachtung. Mein Herz blutete, mein Lebensmut litt. Wäre ich besser doch gestorben? Gab es denn überhaupt eine lebenswerte Zukunft für mich? Meine Sorgen waren die Sorgen aller. Gab es einen Ausweg, einen Weg, den wir ganz alleine schaffen würden? Weitergehen konnte es so jedenfalls nicht. Ich konnte nicht für den Rest meines Lebens nur auf Kosten der Familie, ohne Arbeit und ohne eigenes Einkommen zu Hause bleiben.

      Gut ein Jahr nach dem Anschlag in Mosul kam es zu einer weiteren Katastrophe (*): In den ezidischen Städten Siba Sheikh Khedir (und ähnliche Schreibweisen; arabisch: Al-Jazirah) und Tel Azer (Til Ezer und verschiedene weitere Schreibweisen; arabisch: Al-Qahtaniyah) wurden zwei Lastwagen voller Sprengstoff durch jihadistische Selbstmordattentäter (Al Qaida) in die Luft gejagt. Wieder gab es Tote, über 2000 wurden geschätzt, und zahllose Verletzte in einer zerstörten Heimat. Chaos herrschte, Verzweiflung griff um sich – und doch gab es Hoffnung:

      In Deutschland war schon vor Jahren von offizieller Seite her Zuflucht angeboten worden; hier bekamen Eziden als Verfolgte Asyl. Hier gab es eine Chance auf Zuflucht vor Terror und Mord. Schutz für uns, für mein Volk - also auch für mich! Ich würde in Deutschland Schutz, Anerkennung und vielleicht eine lebenswerte Zukunft bekommen!

      Ich sprach mit meiner Familie. Meine Mutter und einige Geschwister hatten auch schon an meine Emigration gedacht. In die vage Hoffnung hatte sich bereits Angst gemischt: Wie sollte ich ohne die Hilfe der Familie zurechtkommen – ohne dass sie für mich kochten, wuschen …

      Wir wälzten die Gedanken hin und her, immer wieder. Eine meiner Cousinen machte uns Mut. Sie lebte schon seit über zehn Jahren in Deutschland und meinte: „Hier wärest du sicher, Hady. Hier gibt es Anerkennung und gute Ärzte. Ob es aber Arbeit für dich gibt, Arbeit mit nur einem Arm, das weiß ich nicht, Hady.“ Wir berieten uns. Am Ende stand fest: Ich brauchte ein Visum für Deutschland! Nun stellte ich den Antrag auf ganz legale Weise, so, wie es die Regierung vorschrieb. Doch wieder musste ich einen seelischen Schlag einstecken: abgelehnt! Herr Hady Jako bekommt kein Visum. Selbstverständlich, diese Regierung will mich quälen; es gab für mich kein würdiges Leben im Irak, aber auch keine Hoffnung auf Ausreise! Legal war eine Ausreise nicht möglich.

      Wir waren sprachlos und ratlos. Welche Möglichkeiten hatte ich jetzt noch? Eine illegale Ausreise, eine Flucht mit Hilfe von Schleppern, war das die einzige Chance? So etwas ist gefährlich, das wussten wir. Viele Menschen waren auf der Flucht schon umgekommen: Verhungert, verdurstet, erschossen, ertrunken, erwischt, eingesperrt und dann zurückgeschickt.

      Und doch, wir wollten es versuchen. Im Irak befand ich mich ohne Hoffnung auf eine Zukunft in einer Sackgasse. Also suchten wir im Geheimen nach einer Möglichkeit des Entkommens. Mein Bruder war es, der eine Möglichkeit fand: Illegal und gefährlich – außerdem teuer! 12.000 US-Dollar Schlepperkosten plus 400-500 USD für Verpflegung mussten gezahlt werden. Dieses Geld mussten wir zunächst einmal zusammenkratzen. Wir verkauften Schafe, liehen uns Geld bei Freunden, kratzten unser Erspartes zusammen und reduzierten unsere Ausgaben. Es dauerte ein ganzes Jahr, bis wir das nötige Geld gesammelt hatten!

      Dann wurde alles konkret organisiert und es hieß zu warten, warten auf den Anruf des Schleppers. Mich zerriss es innerlich: Einerseits hüpfte mein Herz vor Freude auf ein neues Leben, ein Leben in Sicherheit und Würde mit staatlicher Anerkennung, medizinischer Unterstützung und Hoffnung auf Arbeit. Andererseits drückten mich Angst und Sorge nieder: Meine Mutter, meine Geschwister, Freunde und Nachbarn – würde ich sie jemals wiedersehen? Würde es jemals Frieden unter den Religionen und Völkern geben? Würde es jemals Reisefreiheit und eine Wiedervereinigung geben? …

      Dann kam der Anruf des Vermittlers meiner illegalen Ausreise. Wir weinten und beteten. Mein Herz war schwer, sehr schwer. „Bitte, weint nicht, ich muss gehen.

      Ich reise in ein Land, in dem es Hoffnung gibt!“ Tiefe Gefühle umspülten uns. Letzte, lange Umarmungen verschmolzen unsere Abschiedsschmerzen miteinander zu unsterblicher Treue. „Komm gut an, mein Sohn - Gott segne deinen Weg!“

      Schweigend fuhr mein Bruder mich bis zur türkischen Grenze. Dort übergab er mich dem Schlepper. Jetzt sprach er doch - letzte Worte für mich: „Sei stark Hady. Ich vertraue darauf, dass du auf dich aufpassen kannst. Und ich vertraue auf Gott, dass er dich beschützen wird!“ Das war alles, dann verschwand er im Dickicht. Der Schlepper zeigte auf einen Lastwagen; ich kletterte in den Laderaum, dann wurde es dunkel.

      Das war am 27. März 2009, auf den Tag genau drei Jahre nach dem Bombenanschlag, der mein Leben so radikal durcheinandergewirbelt und verändert hatte. Meine quälend anstrengende Reise nach Deutschland begann: versteckt, illegal, todesmutig. Fünf Personen plus Schlepper waren wir.

      Einmal wurden wir in einem LKW transportiert, ein anderes