Die Pest. Kent Heckenlively

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Название Die Pest
Автор произведения Kent Heckenlively
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783962571924



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und eine Wache hereinkam, waren alle Gefangenen angehalten, sich sofort hinzusetzen. Ein paarmal war Mikovits die einzige Person, die noch stand. Sie begriff nicht, warum alle anderen aus unerfindlichen Gründen das Spiel „Die Reise nach Jerusalem“ zu spielen schienen. Die Gefangenen wurden auch zum Mittagessen und zum Abendessen aus ihren Zellen geholt. Obwohl sie nichts von dem Mittagessen zu sich genommen hatte, dachte sie, sie sollte jetzt doch versuchen, etwas von dem Abendessen zu verzehren, vielleicht nur eine Scheibe von dem mysteriösen Eiweiß, damit sie bei Kräften blieb. Das Abendessen bestand aus einem Hamburger, und sie nahm ihn, schob den Bratling vom Brötchen herunter und aß nur das Hackfleisch. Es schmeckte wie das Pappende einer alten Haferflockendose, aber sie musste etwas essen.

      Nach dem Abendessen, als ihre Zellengenossin schon wieder schlief, wanderten Mikovits’ Gedanken zurück zu der Kette an Ereignissen, die dieses Desaster verursacht hatten. Sie versuchte positiv über Harvey Whittemore zu denken, aber ihre Entrüstung bekam die Oberhand. Wie konnte er dies tun, wo sie doch vor Kurzem noch im Kampf für die gleiche Sache verbündet gewesen waren? Wie konnte er sie wie ein Familienmitglied behandeln und dann so etwas tun? Hatten sie in den letzten fünf Jahren nicht begriffen, wer sie war? Sie spürte wieder, wie die Wände der Zelle sie umzingelten. Dann betete sie, dass Harvey und Annette zur Vernunft kommen und diesen Wahnsinn stoppen würden.

      Mikovits erinnerte sich an ihr letztes Gespräch mit Annette Whittemore einige Monate zuvor auf der Ottawa Conference im September 2011. „Ich werde dabei nicht mitmachen“, hatte Mikovits gesagt, nachdem sie erneut erklärt hatte, dass der diagnostische Test auf XMRV nicht klinisch validiert sei und sie ihn daher nicht vorzeitig verkaufen sollten.3

      Mikovits erzählte Annette, dass sie als Projektleiterin des Forschungsprojekts mehr als bereit war, die Verantwortung für die früheren Fehler zu übernehmen. „Aber das betrifft die Vergangenheit. Ich werde keine Verantwortung dafür übernehmen, dass ich hier nicht die Leitung innehatte“, fuhr sie fort. „Wir müssen das Richtige tun, alles stoppen, bis wir das herausbekommen haben!“ Das waren die letzten Worte, die sie Annette persönlich sagte.

      Mikovits war klar, dass ihre Worte und ihr Ton gegenüber Annette hart gewesen waren, aber sie wusste, dass sie ehrlich waren. Wenn sie hätte zurückgehen und sie hätte besänftigen können, hätte sie dies wahrscheinlich getan, aber ihre zugrunde liegende Botschaft bliebe unverändert: Sie konnten diesen ineffektiven Test nicht guten Gewissens verkaufen.4 Und die Frage, die unbeantwortet blieb und an deren Erforschung die wissenschaftliche Gemeinde wenig interessiert war, bestand darin, warum all diese Menschen an Krankheiten wie Krebs, ME/CFS und Autismus erkrankten.

      Für Mikovits war das Vorgehen ganz klar. Eine Wissenschaftlerin sollte Krankheiten untersuchen, versuchen, ihre Geheimnisse zu lüften, und wenn ihr das gelingt, sollte sie schnellstmöglich Wege finden, um den Betroffenen Linderung zu verschaffen. Alle anderen Probleme waren zweitrangig.

      Die wichtige Frage war, was man mit den Kranken machte, die jetzt litten. Alles, was Patienten mit ME/CFS einen Tag länger in ihren abgedunkelten Räumen hielt, was Kinder mit Autismus davon abhielt, die Gedanken auszusprechen, die durch ihre überreizten Gehirne blitzten, oder ehrliche Wissenschaftler ins Gefängnis brachte, konnte nur mit einem einfachen Begriff bezeichnet werden: das Böse.

      KAPITEL 4

      Ein Retrovirus beim Chronischen Erschöpfungssyndrom?

      Es ist ein klassisches Gamma-Retrovirus, aber es ist völlig neu. Niemand hat es jemals zuvor beobachtet. Sein nächster Verwandter kommt in der Tat von Mäusen, und deshalb bezeichnen wir es als ein xentotropes Retrovirus, weil es eine andere Spezies als Mäuse infiziert … Wir haben es jetzt bei vielen Patienten getestet, und wir können sagen, dass es sich alles um unabhängige Infektionen handelt.

      — Dr. Joseph DeRisi: „Hunting the Next Killer Virus“, Februar 2006, Monterey, CA, TED Talks1

      Incline Village, Nevada – Sommer und Herbst 2006

      Die Tage in Nevada bekamen eine produktive Routine. Mikovits sah durchschnittlich fünf bis sechs von Petersons Patienten pro Tag in der Sierra Internal Medicine.2 Sie und ihr Team nummerierten jeden Patienten nach dem Zufallsprinzip und nahmen ihn in die Datenbank auf. Die Randomisierung diente dazu, die klinischen Informationen zu blinden, die sie als Nächstes erhoben. Dann nahmen sie etwa 30 bis 40 Milliliter Blut ab. Für die DNA-Analyse trennten und aliquotierten (portionierten) sie das Blut in Plasma, Seren und Blutplättchen. Danach vermischten sie die Proben mit Trizol, einer chemischen Lösung, die die Nukleinsäuren und Proteine beim Einfrieren konservierte.

      Trizol war seit 1987 im Einsatz und wurde für viele Forscher zur bevorzugten Methode für die RNA/DNA/Protein-Extraktion. Obwohl Trizol einen extrem starken und üblen Geruch hatte, bevorzugte Mikovits es, weil damit die RNA und die Proteine intakt blieben und es gleichzeitig Zellen und Zellkomponenten auseinanderriss. Wenn man eine Probe untersuchte, die vor Jahren oder gar Jahrzehnten mit Trizol konserviert worden und nicht tiefgefroren war, dann konnte man relativ sicher sein, dass es kaum oder gar keinen Abbau der Nukleinsäuren oder Proteine gegeben hatte. Um Längsschnittforschung bei einer Epidemie wie ME/CFS zu betreiben, bedeutete dies, dass das Blut des Patienten wie eine Momentaufnahme in der Zeit der Pathogenität erfasst werden konnte.

      Zusätzlich zur Konservierung der Proben mit Trizol nahm Mikovits’ Team einige Zellen, konservierte sie in DMSO (Dimethylsulfoxid), das als Kälteschutzmittel benutzt wurde, um Eisbildung zu verhindern, die den Zelltod verursacht. Dann lagerten sie die Zellen in flüssigem Stickstoff, sodass sie zu einem späteren Zeitpunkt aufgetaut werden konnten, um sie in Kulturen zu züchten. Petersons Patienten sollten regelmäßig alle drei Monate in die Praxis kommen, um mit ihm zu sprechen, und dies gab Mikovits die Möglichkeit, weitere klinische Daten über jeden Patienten zu erheben und zusätzliche Blutproben zu entnehmen. Sie hoffte, am Ende fünf oder sechs Proben von jeder Person zu haben, da ihre Symptome je nach Jahreszeit, Stress und weiteren Faktoren schwankten. Dies war wichtig für die Jagd nach dem Erreger, denn es trug dazu bei, die natürliche Neigung von Krankheitserregern, sich dem Nachweis zu entziehen, zu umgehen, sowie Proben zur Reproduktion jeglicher Ergebnisse zur Verfügung zu stellen.

      Neben der Erhebung der klinischen Informationen und der Aufbewahrung von Proben in das neue und verbesserte Archiv ließ Mikovits die Proben auf Zytokine testen (Zytokine sind Signalmoleküle für die Kommunikation unter den Zellen, die eine Art Krankheits- „Fingerabdruck“ erzeugen können), untersuchte sie mit einem Durchflusszytometer, um die jeweiligen Arten von Immunzellen zu bestimmen, und betrachtete weiße Blutkörperchen unter dem Mikroskop. Mit Hilfe von Spenden erwarb Mikovits eine teure Datenbank, die auch in großen Krankenhäusern wie dem Sloan-Kettering Cancer Center in New York City (dem ältesten und größten privaten Krebszentrum der Welt) verwendet wurde. Die Datenbank konnte die Ausgangsprobe und dann die Aliquots (ein Teil der ursprünglichen Probe), die bei jeder Untersuchung verwendet wurden, nachverfolgen. Dadurch konnten Proben bis zum exakten Aliquot aus der Ausgangsprobe zurückverfolgt werden. Weil Konservierung alles war, blieb die ursprüngliche Probe von allem unberührt, was sie hätte kontaminieren können.

      Mikovits war entschlossen, dass niemand jemals ihr Archiv so betrachten und seine Organisation infrage stellen würde, wie sie es getan hatte, als Byron Hsu sie zu Petersons ursprünglichem Archiv geführt hatte.

      * * *

      „Es war, als ob die große Pest von Stadt zu Stadt zog und alle sechs Monate zuschlug“, erinnerte sich Paul Cheney später. „Zuerst gab es den Ausbruch am Lake Tahoe in den Jahren 1984 bis 1985, dann den in der kleinen Stadt Yerington, Nevada, vierzig Meilen südöstlich, dann sechs Monate später einen in Placerville, Kalifornien, vierzig Meilen südwestlich.“3

      Diese neue Krankheit war eine Freak-Show von körperlichen Anomalien, die ihre seltsamen, ausgesprochen merkwürdigen Symptome in einem langsamen Marsch durch ruhige Städte rund um Lake Tahoe und in der Sierra Nevada vorführte. Es war der Ort, an dem die berühmte Donner Party [eine Gruppe von Siedlern, die auf dem Weg in den Westen der USA waren] im Jahr 1846 auf schreckliche Katastrophen einschließlich Hunger, Winterkälte, Krankheit, Unterkühlung und Kannibalismus