Grundlos heiter. Harald Malz

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Название Grundlos heiter
Автор произведения Harald Malz
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783934900516



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von mir zu erhalten, wie sie ihre Macht zum Wohle aller in ihren jeweiligen Ländern einsetzen könnten und ich spendete meine Honorare der SPD.

      Ludwig, Alfred und ich

      Neulich haben wir wieder zusammengesessen. Ludwig, Alfred und ich. Also Ludwig van Beethoven, Alfred Brendel und ich. Brendel spielt. Auf meinem bescheidenen Bechstein – Klavier. Nein, das stimmt nicht. Eigentlich habe ich eine CD aufgelegt. Eine Klaviersonate von Ludwig, Nr. 21, »Waldstein«. Ich höre den beiden zu, ich singe mit. Ludwig ist entsetzt, er zischt und legt den Zeigefinger der rechten Hand auf die Lippen. Ludwig ist auch nicht wirklich da. Aber Brendel zitiert den Geist Beethovens, nein er beschwört ihn, und so leuchtet sein Charakterkopf gespenstisch im Halbdunkel unseres Wohnzimmers; oder sollte ich Salon sagen? Brendel spielt den ersten Satz zu langsam. Beethoven ist unzufrieden. Immer wieder fordert er ihn wild gestikulierend zu höherem Tempo auf. Bei mir zu Besuch ist der alte Beethoven, vielleicht der von 1825. Grau, löwenköpfig und er müffelt. Er riecht nach einer Mischung aus Ungewaschen und Mottenkugeln. Er hört nicht mehr gut, eigentlich ist er fast taub. Aus irgendeinem Grund weiß Ludwig aber, dass man eine Stereoanlage lauter stellen kann, und spornt mich an, die Musik sehr laut zu drehen. Die Weingläser im Schrank fangen an zu vibrieren. Der Rotwein in meinem Glas schlägt konzentrische kleine Wellen. Brendel spielt ekstatisch und mir ein bisschen zu wirkungssicher theatralisch. Obwohl: Beethoven und ich sind uns jetzt einig!

      Brendel spielt wirklich gut. Friedrich Gulda schaut vorbei. Nickt anerkennend, macht eine großmäulig freche Bemerkung, ist aber schon wieder weg. Glenn Gould taucht auf. Hallo, Glenn, rufe ich, hast du gehört, dass hier gute Musik gespielt wird? In den Taschen seines abgeschabten Cord-Jacketts klappern die Tablettenschachteln. Er wirkt verlangsamt. Winkt mit den unglaublich schlanken, langen Pianistenfingern und löst sich unmerklich in einem fahlen pfirsichblütenfarbenen Schein an der Zimmerdecke auf. Alfred Brendel wird feurig. Er ist jetzt am Ende des letzten Satzes: Prestissimo! Ich bin auch befeuert. Das muss bei mir am Rotwein liegen. Ludwig will auch noch ein Glas. Sein drittes.

      Er macht Gesten, denn Alfred ist nicht nur sehr schnell, sondern auch fortissimo, sehr laut. Brendel kommt auf einem knackigen C-Dur-Akkord zum Schluss. Überschwänglich loben wir den Pianisten. Die Anstrengung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Alfreds Stirn ist feucht und er atmet schwer. Mein Gott, Alfred, in deinem Alter. Er ist gerade 81 Jahre alt geworden. Er möchte einen Kaffee. Wird gemacht, Maître. Als ich mit dem Kaffee zurückkomme, frage ich Ludwig, wie er nach Hause komme. Draußen warte sein Boot aus Mondlicht, antwortet er. Oder sagt er »Mondschein«? Ich schaue hinaus. Und richtig: Der Mond ist aufgegangen und hat einen winzigen Teil seines Lichts in Form einer Barke in unserem Garten aufgehäuft.

      Alfred hat seinen Kaffee ausgetrunken. Als Österreicher ist er Besseres gewohnt als unsere Maschinenbrühe. »Nimmst du mich mit?« fragt er Ludwig. Beethoven nickt ein wenig unwillig. Da er aber von Alfreds Spiel beeindruckt ist, kann er schlecht nein sagen. Ich bringe die beiden vor die Tür. Es ist sehr kalt geworden. Ich bedanke mich bei Ludwig und Alfred und sage, es wäre schön, wenn sie mal wieder vorbeischauen würden.

      Beide setzen sich in Ludwigs Mondboot und entschwinden in einer flirrenden Lichtexplosion.

      Es war ein schöner Abend.

      Der kleine Nöck

      Im Steinhuder Meer hatte ein Seeadler, es kann auch ein Fischadler gewesen sein, versehentlich einen kleinen Nöck gefangen. Er wollte damit seine Brut auf dem nahe gelegenen Brutbaum füttern. Nöcke sind Wassergeister, die von alters her unsere Seen, Bäche und Flüsse bewohnen und Schabernack mit den Menschen treiben, sie ins Wasser ziehen, unter Mühlrädern wohnen oder Flussfurten bewachen. Im Zeitalter der Brücken, Flussbegradigungen, elektrischen Getreidemühlen, Regenrückhaltebecken, und an Flüssen liegenden Atomkraftwerken ist ihre Zahl stark zurückgegangen. Sie stehen auf der Liste der bedrohten Geistarten, genauso wie Baumgeister, Luftgeister, Wichtelmänner und Kobolde, Gnome und Süntelgeister.

      Unser Seeadler also wollte seine Beute zu seinem Horst bringen. Der kleine Nöck quengelte und schrie so sehr, auch weil er sein Element, das Wasser, entbehren musste, dass der Adler nicht unbedingt ein Einsehen hatte, aber den kleinen hässlichen Kerl wieder loswerden wollte. Er flog bis zum nicht weit gelegenen Springe, wobei er noch den Deister überqueren musste, warum, weiß der Chronist nicht zu sagen, und ließ den kleinen Kerl direkt über unserer Regentonne fallen. Es machte einen mittelheftigen Platsch, der aber im allgemeinen Gebrumm von Rasenmähern, dem Rauschen der nahen Bundesstraße und dem nie enden wollenden Hundegebell unterging.

      Hier war er also: Der kleine Nöck, Arthur mit Namen, seine Freunde nannten ihn Atze, und saß nun im Regenfass fest. Seine Mutter, die Nixe Gwendoline, vermisste ihn wahrscheinlich schon. Sein Vater, der Wassermann, war schon vor langer Zeit unbekannt verzogen. Obwohl Arthur schon mehrere hundert Jahre alt war, war er doch noch ein Junge, in Menschenjahren noch keine sechs. Arthur hatte Hunger. Er öffnete sein Mäulchen mit den niedlichen, grünen Fischzähnchen, bekam aber nur ein paar winzige Mückenlarven zu fassen, die an der Wasseroberfläche zappelten und auf ihren ersten Flugtag warteten. Wasser war ja schon mal gut, aber zu wenig davon da. Was sollte nur aus dem Nöck werden? Die Tonne verlassen, ging nicht. Wassergeister sterben, wenn sie sich zu lange außerhalb ihres Elementes aufhalten. Also dableiben und Hungers sterben. Er malte sich schon die Schlagzeilen nach seinem Ableben in der Neuen Deister-Zeitung aus:

       Seltsamer Kadaver in Regentonne gefunden! Experten vom Zoologischen Institut der Leibniz-Universität Hannover ratlos!

      »Springe. Ein ungewöhnlicher Fund in der Regentonne einer angesehenen Springer Familie. Der Institutsleiter Professor Sigmund Callustus spricht von einem chimärischen Eigenschaftsgemisch. Die Obduktion des Springer Fundes ergab ein Mixtum compositum aus Säugetier, Reptil und Fisch. Der Kadaver kann noch keiner bekannten Lebensform zugeordnet werden.«

      Arthur hatte eine ziemlich genaue Vorstellung von der Fantasielosigkeit deutscher Professoren. Arthur versuchte, seine negativen Gedanken einzufangen. Er suchte nach einem Ausweg. Was die wenigsten wissen: Wassergeister haben die Fähigkeit, willentlich in eine Art Hibernation, also Winterstarre, zu fallen, die über viele Jahre anhalten kann. Und so geschah es.

      Da es in den vergangenen Wochen immer mal wieder geregnet hatte, gab es keinen Grund für irgendjemandem im Haus in die Regentonne zu schauen. Und so hatte Arthur seinen Stoffwechsel heruntergeregelt und verschlief viele Tage und Nächte. Eines Tages weckte er sich selber oder wurde geweckt – so genau weiß man das nicht – und hörte, wunderschön auf einem Piano gespielt, dessen Klänge aus einem geöffneten Fenster drangen, die Regentropfen-Etüde von Frederic Chopin. Nun sind Tanz, Gesang und Musik die Freude der Nixen. Etwas knackte und rauschte im Leib des Nöck, etwas streckte sich, seine Lungen weiteten sich, er tat einen tiefen Atemzug, er stieg triefend aus seinem Wasserfass, er hatte altmodische Schnürstiefel und lange Stricksocken an, eine Popeline-Hose und eine beige Strickjacke. Arthur ging vorsichtig und steifbeinig auf einen herrlich duftenden, tief blauen Phlox zu und schnupperte ehrfürchtig an den Blüten. Er sah aus wie ein altes Kind und stand plötzlich auf dem Rasen in meinem Garten (und tauchte in einer anderen meiner vielen Geschichten auf).

      Die magische Trompete

      Am späten Abend sah der junge Mann in der Unterführung des Hauptbahnhofes, da, wo der Urin noch frisch war und Lachen auf dem schmutzigen Boden gebildet hatte, eine alte Trompete am Boden liegen. Der junge Mann hob sie auf und schaute sich das Instrument aus Messing an. Der Schalltrichter war zerknittert, die Röhren waren verbeult und verbogen, doch die Mechanik funktionierte noch. Vielleicht war der unglückliche Besitzer, zornig über seine eigene Talentlosigkeit, auf ihr herumgesprungen und hatte die Trompete zertrampelt. So sah sie jedenfalls aus. Ein Mundstück gab es nicht. Der junge Mann beschloss, sie aus keinem bestimmten Grund mit nach Hause zu nehmen.

      Der junge Mann hatte die Trompete auf den Küchentisch gelegt, als er endlich um drei Uhr in der Frühe nach Hause gekommen war. Sein Vater, der Kommissar, entdeckte sie am Morgen, verbeult und angelaufen wie sie war. Er musste nicht zum Dienst, denn