Grundlos heiter. Harald Malz

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Название Grundlos heiter
Автор произведения Harald Malz
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783934900516



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abzufangen.

      Oberstleutnant Dennis Firestarter konnte das Objekt identifizieren und meldete das Gesehene über Bordfunk an seine Bodenstation: Fliegender Flügel mit pianistischem Piloten. Dort lachte man herzlich. Uns trennten nur noch wenige Kilometer von meinem Haus. Wir setzten sehr behutsam zur Landung an, weil ich den Flügelbeinen nicht viel zutraute. Mein alter Sauter, nein es war kein Steinway, die können das nicht, rumpelte auf seinen Platz, und ich strich ihm liebevoll über den Rim, seine kurvige Seite, und sagte »Gute Nacht«.

      Die neue Hose

      Unlängst war ich in einem ganz normalen Kaufhaus und kaufte mir eine Hose aus grünem Denim in Bundweite 38 für 69,95 Euro. Ja, ich weiß, eine recht große Größe für meinen nicht mit Idealmaßen punktenden Leib, der meinem Geiste Wohnung gibt. Trotz redlicher Versuche in meinem Fitnessstudio. Bei meiner Figur ist es ratsam, Hosenträger zu tragen, obwohl es, rein sprachlich betrachtet, absurd ist, Einrichtungen, die Träger heißen, zu tragen. – Sonst rutscht die Hose, auch mit Gürtel. Ich erinnere an dieser Stelle gern an den Sanitätsgefreiten Neumann: Ein dreifach Hoch, …, …, dem Sanitätsgefreiten Neumann, der, schon lange her, die Hosenträger hat erfunden. Früher musste man sich plagen, seine Hosen selber tragen. Heute wendet jedermann Neumanns Hosenträger an.

      Dies alles ging mir durch den Kopf, als ich auf der Außenterrasse eines Cafés saß und ein nicht ganz kleines Speiseeis mit Sahne verzehrte. Ich hatte schon besseres Eis gegessen, aber heute war der Tag, an dem ich mir vorgenommen hatte, die Welt, so gut es ging, positiv zu sehen. Am Nebentisch saß eine schöne Frau, die nach ihrem eleganten Zigarettenetui griff, um sich eine Zigarette – sagt man noch »Lungenstäbchen«? – anzuzünden. Hilfesuchend schaute sie sich um, denn sie hatte weder Zündhölzer noch ein Feuerzeug. Ich dachte bei mir: »Ach hätte ich doch ein goldenes Feuerzeug, um der schönen Dame aus ihrer Kalamität zu helfen.« Daraufhin meldete, regte sich zu meiner Überraschung etwas in meiner neuen Hose. Nicht, was jetzt einige denken. Zügeln sie sich. Auch war es nicht der Vibrationsalarm meines Handys. Ich griff in die Hosentasche, zog einen Gegenstand ans Licht und es war – ja – ein goldenes Feuerzeug. Ich reichte der Frau mit einer zierlichen, aber doch männlichen Bewegung von Arm und Hand Feuer und versuchte, auch Glut in meinen Blick zu legen. »Ist Ihnen nicht gut?« fragte die Dame besorgt. Doch letztlich wurde ich mit einem warmen, dankbaren Lächeln auf ihrem ebenmäßigen Gesicht für meinen Einsatz belohnt.

      Das war jetzt was! Ich hatte verstanden, dass ich mich im Besitz einer magischen Hose befand. Doch man darf sie nicht überfordern. Ein Porsche Panamera oder einen Steinway-Flügel sind ein No-Go. Sie lieferte aber schon einen Nagelknipser, ein gekochtes Ei, fünfhundert Euro in Hunderteuroscheinen, einen Nasenhaartrimmer mit Batterie. Außerdem eine Tüte Gummibärchen. Manchmal klopfe ich auf meinen Po und frage: »Wisst ihr, was das ist?« Wenn keine Antwort erfolgt, und das passiert in den überwiegenden Fällen, sage ich: »Das ist meine Spendierhose!« Und die Menschen wissen nicht, wie nahe das der Wahrheit kommt. Im Südosten der Türkei, da wo eine kleine Textilfabrik steht, in der meine Hose angefertigt wurde, gibt es noch Überreste eines vorislamischen, hethitischen Zaubers, der so wirkmächtig ist, dass von Zeit zu Zeit eine magische Hose das Werk verlässt.

      Zeichen

      Bei einer Radtour durch den jungen Frühling sah ich das erste Zeichen auf der Chaussee liegen, ganz nah am Randstreifen bewachsen mit zaghaften Gräsern und aufblühendem Löwenzahn. Es war ein silberner Esslöffel, schon viele Male von grausamen Reifen aller Art geplättet und verbogen. Von Bussen, LKWs, Autos verschiedenster Marken von Maserati bis Honda Civic, die hier aber nur stellvertretend für so viele Herstellernamen stehen sollen. Immer wieder hatte er sich aufgebäumt, hatte schlimme Verformungen und Verbiegungen erleiden müssen, bis ihn ein gnädiges Schicksal außerhalb der Reichweite der wütenden Pneus geschleudert hatte. Bruchteile von Sekunden nur war er in meinem Blickwinkel, während ich und mein Bike eine langgezogene Steigung am Rand des geheimnisumwitterten Deisters zu bewältigen hatten. Die Sonnenstrahlen fielen durch eine Fügung, die nur ein Mächtigerer als wir arrangiert haben konnte, so auf das helle Metall des Löffels, dass ich, der Auserwählte, ihn wahrnehmen konnte. Wie kam er hierher? Wem konnte er einstmals gehört haben? Einem Bettler, einem Edelmann? König Artus fehlte er vielleicht an seiner Tafelrunde? Könnte Artus, nachdem er das Schwert Excalibur aus dem Stein gezogen hatte, daheim das Tafelsilber gezählt und gerufen haben: »Mir fehlt ein Löffel!« In Gedanken ging er die Namen der Gefährten durch: Könnte ihm jemand seiner Getreuen den Löffel gestohlen haben, der gute Lancelot vielleicht, oder Parceval, Galahad oder Tristan? Artus schämte sich seiner Gedanken. – Und auch ich zügelte meine Fantasie, die mit mir durchzugehen drohte. Während des unermüdlichen Auf und Ab der Pedale meines Stahlrosses, natürlich ohne elektrischen Antrieb, strömten neue Eindrücke des erwachten Frühlings auf mich ein: das wie hingetupfte Gewölk im zarten Blau des Himmels, die Blattknospen; »das Grün bricht aus den Zweigen, wir wolln das allen zeigen, dann wissen sie Bescheid«, wie schon Wolf Biermann sang. Und die Motorradrotte, die mit ihren blank geputzten Bikes knatternd, polternd und surrend an mir vorbeischoss. Ich vergaß ihn einfach wieder, den Löffel, das erste Zeichen.

      Es mag eine Woche später gewesen sein, da zog es mich an anderer Stelle erneut in den altehrwürdigen Deister, diesmal zu Fuß. Meinen Gedanken nachhängend war ich schon eine Weile gegangen, als ich ein vielleicht zwei Meter, also mehr als ein Klafter langes, altes, rostiges Eisenrohr mit einem Durchmesser von geschätzt zwei Zentimeter an eine alte Eiche gelehnt sah. Es war über die ganze Länge spiralförmig umwunden von einem rostigen dünnen, wenige Millimeter starken Draht. Sofort stellte sich bei mir die Vorstellung eines Herrschaftsstabes ein, wie ich ihn einmal auf einer Darstellung der Göttin Hera gesehen hatte. Es war das zweite Zeichen. Denn blitzartig fiel mir der grotesk verformte Löffel wieder ein. Nur in welchem Zusammenhang standen die beiden: Der Löffel vom Hofe des Königs Artus und der Herrschaftsstab einer Göttin. Hera, die große Mutter, konnte ohne Zeugung Kinder hervorbringen. So hatte sie Ares, den Kriegsgott und Hephaistos, den Gott des Feuers geboren. Oder war es nur der Herrschaftsstab der Grafen Hallermund? Wie ging das alles zusammen. Nachdem ich das Zepter wiegend in die rechte Hand genommen, gehalten und dann aber wieder an den Eichenstamm gelehnt hatte, schritt ich grübelnd weiter durch den sich in frischem Grün zeigenden Wald und wieder musste ich an die Verse Wolf Biermanns aus seinem Lied »Ermutigung« denken, das Grün bricht aus den Zweigen. Von dort war es nicht weit zu seinem »Von mir und meiner Dicken in den Fichten«, in dem er von seinen sexuellen Heldentaten erzählt. Ich musste meine Gedanken unter Kontrolle bringen; was brodelte und waberte nicht alles durch meinen Kopf.

      Bis jetzt hatte ich sie gar nicht wahrgenommen. Die Vögel sangen bis an ihre Leistungsgrenze. Buchfinken antworteten den Rivalen über weite Entfernungen, Zaunkönige rollten und knirschten, dass es eine Freude war, und der Zilpzalp sang sein eintöniges Lied. Ich empfand den Vogelgesang als Wohlklang, und wusste doch, dass hormongeschwängerte Männchen ihr Revier verteidigten, auf Brautschau waren, und die Weibchen aufgrund der sanglichen Qualitäten der Männchen Hinweise auf die Leistungsfähigkeit und Gesundheitszustand eines Bewerbers erhielten.

      Mein Weg führte mich bergan. Meine Oberschenkel brannten, mein Atem ging schwer. Der Sonne gelang es immer wieder, in der aufgebrochenen Wolkendecke Lücken zu finden und hindurch zu scheinen. Vom Rand einer großen Lichtung aus, die von hohem, chlorophyllgesättigtem Gras bewachsen war, drang ein goldener Widerschein in mein Auge, sicher mindestens zweihundert Meter entfernt im angrenzenden Baumbestand. Ich konnte nicht anders, ich musste an eine große, blinkende Goldmünze denken und näherte mich dem Phänomen. Als ich nahe genug herangekommen war, entpuppte es sich als der goldfarbene Deckel eines Marmeladenglases, das in schrägem Winkel im Waldboden lag und die Sonne hatte ihn goldenes Licht reflektieren lassen. Das Marmeladenglas Wilhelms des Zweiten, der während eines Besuchs im Saupark zu Springe ein Picknick mit seiner Entourage im Wald gemacht hatte, und eben dieses Glas war beim Aufbruch liegen geblieben. Im Inneren befand sich eine magische braune Masse. Das dritte Zeichen. Nun fügte sich alles zu einem Bild: Löffel, Eisenrohr und Marmeladenglas. Sie bildeten ein Dreieck auf der Landkarte. Und im Schnittpunkt der Winkelhalbierenden dieses Dreiecks befand sich mein Haus. Ich war der Weise, dessen Zeichen Löffel, Rohr und Marmeladenglas waren.