Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus. Jürgen Dittberner

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Название Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus
Автор произведения Jürgen Dittberner
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783838275116



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kleine unbedeutende Geschäfte, einen Laden, in dem man für DM Alkohol, Zigaretten, Parfüms kaufen kann. Für unser Geld ist dies billig (eine Flasche Wodka 2,50 DM). Die Ausfuhr ist natürlich, wie überall, beschränkt.

      Am Sonnabend, 23.9., sind wir morgens über Jellin, Pielburg zunächst nach Lubow gefahren und hier zum Bahnhof. In Lubow stehen die Häuser wohl alle wie früher, keine Neubauten mit Ausnahme einer Gaststätte, schräg rüber vom früheren Gasthof. Als wir den Wagen dort parkten, sprach uns ein Mann in fließendem Deutsch an. Er hatte lange in Danzig und auch in Rackow gelebt. Durch ihn ließen wir uns Mittag bestellen – eine Tomatensuppe, Quetschkartoffeln, ganz wenig Fleisch (kleine Stücke wie Gulasch) und etwas Weißkohl. Dazu drei halbe Bier, ein Sodawasser: 85 Zloty. Umtausch in Polen ist 1:15. Ein Essen mit Getränken für uns kostet 2 DM; es hat aber auch nicht geschmeckt, und Fleisch soll es in Polen wohl selten geben. Das hat man auch in den Fleischgeschäften gesehen, wo die Leute lange anstanden und manche sich Strickzeug mitgebracht hatten, um vermutlich die Wartezeit zu überbrücken. Der Danziger erzählte uns u.a., dass es in Tempelburg und Neustettin keine Brauereien gibt, nur in Polzin ist eine, dass es in zwei Kasernen in Neustettin je eine polnische und eine russische Einheit gibt und dass in Groß-Born die Russen stationiert sind. Wir sahen in Lubow auch Russen.

      In der Gaststätte Kratzke ist ein Kino. Der Bahnhof ist in allem unverändert: Im Warteraum ist ein defekter Kachelofen von früher, die Toiletten mit den Holzsitzen sind noch da, auch der Bahnsteig. Ich stelle mich vor den Wartesaal, Silke macht eine Aufnahme, und plötzlich waren ein Polizist und der Bahnvorsteher bei uns: „Dokumente!“ Der Vorsteher sprach deutsch: „Objekte fotografieren verboten, Film herausnehmen!“ Derweil notierte der Polizist unsere Personalien und ließ sich auch die Autopapiere zeigen. Ich wurde gefragt, wo ich früher gearbeitet hatte und so haben wir versucht, klarzumachen, dass wir nur eine Erinnerung an den Bahnhof mitnehmen wollten, von welchem wir früher nach Berlin gefahren sind und auch Andor sei als kleines Kind dort mehrmals abgefahren. ‚Fotografieren verboten, Film muss raus!‘ Immer wieder versuchten wir, das zu verhindern und dann meinten wir, dass wir ja das Bild nur vom Bahnhof ungültig machen könnten. Ich knipste in die Luft, darauf: Gut, Film kann drin bleiben! Ich glaube aber, die Polen haben bemerkt, dass wir sie übers Ohr gehauen haben, denn ich habe ja nur weitergedreht und mein Bild behalten. Als wir zum Wagen kamen, sprach uns wieder ein Mann in gutem Deutsch an und meinte, dass dort alles verboten sei.

      Dann ging es nach Rackow. Bis zu den Fichten beidseitig Ackerland, dann bis zu Dohnichts Fichten. Dohnichts Gehöft steht nicht, auch die Mühle ist weg. Erste Aufnahmen am Transformatorenhaus: jetzt die Gehöfte Ost, Weier, Jahn, Radke, Passoth, Stolp links und rechts. Passoth ist ein Kaufmannsladen. Bei Erichs Haus fehlt vorn die Treppe, die Tür ist zugemauert. Dahinter hatte sich der Polizist, der dort wohnt, ein Bad eingebaut. Vorn an der Straße hier ist ein Lattenzaun.

      Wir schauten hinüber und sahen einige Personen. Unser Haus, in dem ich geboren wurde, kam mir unscheinbar vor. Ich hatte es kaum erkannt. Eine ältere Frau holte aus dem Brunnen Wasser. Einen Zaun oder eine Mauer gibt es nicht. Ich konnte mit in die Küche kommen. Die Treppe nach hinten fehlt. Das Haus hat von außen kaum Farbe, auch die Tordurchfahrt ist ohne Farbe. Auf dem Hof sind dicker Morast und keine Wiese mehr – kein Blumengarten vor der Tür. Der Kirschbaum ist weg. Nichts ist erneuert. Es kam später noch der Großvater, und ich sollte mir alles genau ansehen.

      Da wir uns nicht gut verständigen konnten, führte uns die Großmutter zur Bürgermeisterin in Meiers Haus. Sie vermittelte uns noch eine Besichtigung des Grundstückes Erich, und dort fragte man mich, ob wir Stolps seien und was Martha macht. Bei Meiers wurde ich nach Martha Bäskow-Hinterbrich – befragt. Die Scheune ist abgerissen, ca. 5 m weiter hinten neu aufgebaut. Der dicke Baum ist weg.

      Alle Räume werden gezeigt. Rechts wohnen die alten Leute, links die jungen mit zwei Kindern. Die Böden sind alle ausgelegt – Fernseher, Zentralheizung. Alles ist sehr gut in Ordnung. Als wir fotografieren, baten sie um ein Bild. Wir haben die Adresse aufgeschrieben und werden eins schicken.

      Erich war vor drei Wochen dort gewesen, auch andere Familienmitglieder.

      Die Schule steht. Unterricht findet in Lubow statt. In der Schule ist ein Kaufmann, Maurers Gaststätte ein Kindergarten und gegenüber von Ost Fritz, Schaukeln, Klettergerüste pp.

      An der Straße nach Bewerdick stehen alle Häuser. Bei Ferdinand Bäskow ist das Haus neu überholt – Stall pp wie früher. Auf einem Starkstrommast ist ein Storchennest zwischen Mauerers und Ziesemers, direkt an der Straße.

      Der Friedhof ist bewaldet. Wir haben beim Absuchen keine alten Kreuze oder Tafeln gefunden. Der Weg zum Karzsee und Rackow Mühle ist beidseitig mit ca. 3 m hohen Fichten bewachsen. Golz‘ Grundstück ist weg. Der Karzsee ist ringsum mit Schilf und Fichten bewachsen, gen auso der Rackow- und der Kämmerersee. Ans Wasser kommt man kaum. Nur am Kämmerersee in der Kurve nach Bewerdick kann man ans Wasser. ....“

      Hier endet der Bericht leider.

      Nachtrag: An dem Abend nach dem Besuch in „Rackow“ gingen sie ins Hotel zu einer Tanzveranstaltung. Es gab gekochten Weißfisch in Aspik. Alkohol floss reichlich. Am nächsten Tag waren vor allem Vater und Sohn etwas duhn, aber mithilfe knallroter und saftiger Äpfel von „Meiers“ legte sich das allmählich. Alle kamen heil im heutigen zu Hause wieder an.

      (1978)

      1. Minister in der Lüneburger Heide

      Seine allererste Reise machte Andor als 16-Jähriger mit einer Gruppe Gleichaltriger in die Lüneburger Heide. Das Jugendamt hatte das eingefädelt. Die Jugendlichen kamen in ein „Lager“, das aus Baracken bestand und von einer Dame geleitet wurde, die als „Tante“ anzusprechen war. Irgendwie war das Jugendamt politisch motiviert, denn kaum angekommen, mussten sie eine „Lagerregierung“ bilden, die den Urlaub regeln sollte. Die „Regierung“ wurde ganz demokratisch gewählt, und Andor erhielt so das Amt eines Ministers. Er war der Minister für Ernährung, musste also den Speiseplan mit der Lagerleitung abstimmen, die Essenszeiten an- und durchsetzen und dafür sorgen, dass genügend viele „Lunchpakete“ zur Verfügung standen, wenn ein Ausflug vorgesehen war. – Das war die erste und letzte Reise, auf der Andor ein „Regierungsamt“ ergatterte.

      Als Andor Student war, kannte er seine Silke schon. Sie studierte an derselben Universität wie er, allerdings ein anderes Fach.

      Eines Tages entschlossen sich die beiden, eine Reise zu machen: Hamburg-Bremen und zurück. Aber wie? Die beiden hatten kein Auto, und Bahn oder Bus erschienen ihnen viel zu teuer. Was blieb übrig? –Trampen.

      Am Ortsausgang von Hamburg standen zwei Studenten und winkten stadtauswärtsfahrenden Autos zu. Hielten welche, ging die Frage an den Fahrer: „Können Sie uns ein Stück mitnehmen Richtung Bremen?“ Einige konnten, aber immer nur ein Stückchen, nicht gleich ganz bis Bremen. Stück für Stück kamen Silke und Andor Richtung Westen voran, und wieder standen sie an der Landstraße. Da hielt ein Dreiradauto mit einer offenen Ladefläche hinten. „Da könnt Ihr rauf; ich fahre bis Bremen!“ Beglückt sprangen die beiden auf den Minilaster, da entdeckten sie, dass sie bei weitem nicht die einzigen Passagiere waren. Unendlich viele junge Dackel reisten mit. Und jeder von ihnen wollte den beiden Menschen die Ohren ablecken. Die ließen es schließlich geschehen, denn der Wagen sauste strickt nach Bremen, und an einen vorzeitigen Stopp war gar nicht zu denken.

      Gründlich abgeschleckt kamen die Nachwuchswissenschaftler in der Weserstadt an. Als sie ihr Domizil, eine Jugendherberge, erreicht hatten, fragten sie sogleich, wo man sich das Gesicht waschen könne.

      Der „Herbergsvater“ zeigte alles: die Waschräume, die Schlafsäle und die große Küche. Hier mussten die beiden Unmengen von Kartoffeln schälen, bevor es Abendessen gab.

      Am