Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus. Jürgen Dittberner

Читать онлайн.
Название Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus
Автор произведения Jürgen Dittberner
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783838275116



Скачать книгу

Kriegen werden Verlierer nicht selten aus ihrer Heimat vertrieben: Diese Menschen hätten sich andernfalls niemals „auf die Reise“ begeben.

      Gegen ihren Willen verändern auch diejenigen ihren Ort, die verschleppt werden: So erging es den „Sklaven“, die von Afrika nach Amerika gebracht wurden; so kann es noch heute politisch Missliebigen geschehen, wenn sie widerrechtlich entführt werden.

      Ständig treibt tatsächliche oder empfundene Not daheim Menschen in die Ferne: Sie werden so zu Flüchtlingen.

      Künstler (auch Sportler, Schriftsteller und andere) müssen in der Regel „auf Tournee“, um ihre Leistungen überall zu verkaufen.

      Politiker reisen hin und her, um die Interessen ihrer Länder (und auch ihre eigenen) zu vertreten.

      Das scheinbar Edelste zu Schluss: Wissenschaftler, Propheten, Freigeister und Missionare überschreiten Grenzen, um ihre Ideen zu verbreiten. Oder wollen sie Andersdenkende unterdrücken?

      Warum bleiben andere Menschen wiederum dort, wo sie sind? Warum reisen sie nicht?

      Sie kennen sich in ihrem Umfeld aus. Alles ist ihnen vertraut. Warum sollten sie das aufgeben? Ihre Freunde und Verwandten sind vor Ort. Sie haben ihr Auskommen und wissen nicht, was sie anderswo erwartet. Dort herrschen womöglich Sodom und Gomorra. Sie bleiben lieber. Alle Ahnen haben es vor Ort ausgehalten; also gehören auch sie hierher.

      „Heimische Krisen muss man durchstehen, ‚Fahnenflucht‘ wäre feige“, denken die Sesshaften. Viele von ihnen haben zudem Angst vor dem Fremden, vor den anderen Speisen, Bräuchen, Sitten, Dialekten oder gar Sprachen. Wer weiß außerdem, was reisen oder gar auswandern kostet: Wer soll das bezahlen? – Viele sind sich sicher: „Ob Ost, ob West: To Hus is‘ am best!“

      Aus China hörte man einst, dass die Menschen stolz waren, im „Reich der Mitte“ zu leben. Wer in der Mitte ist, glaubt sich am Ziel. Doch in neuerer Zeit wurden immer mehr Schichten des Riesenvolkes neugierig auf das, was an den Rändern dieser Erde geschieht: Globalisierung aus Fernost!

      Das industrielle Zeitalter hat das Reisen kommerzialisiert: Der „Tourismus“ wurde erfunden.

      Vorsichtig schnupperten die ersten Reisenden ganz früh an einem beliebigen Dorf, etwa in der „Lüneburger Heide“. Dann entdeckten sie Gegenden wie den „Westerwald“, „Büsum“, „Oberbayern“ oder „Amrum“. Sie reisten in Bussen an. Später fuhren die meisten Deutschen ins Sehnsuchtsland Italien, – im „VW“ über den „Brenner“. Es folgten „Paris“, „London“ oder „Kopenhagen“. Manchmal brachte sie auch die Bahn ans Ziel. Dann wechselten sie die Automarken. Im „Opel“ ging es womöglich nach Spanien und im „Daimler“ vielleicht sogar nach Griechenland. Schließlich wurden Inseln modern: „Lesbos“, „Mallorca“ oder die „Kanaren“. Das ging natürlich nur mit dem Flieger.

      Geschäftsleute machten sich jetzt über die Sache her. Es entstanden Firmen wie „TUI“, „Neckermann Reisen“ oder „Studiosus“. Die Pauschalreise wurde erfunden. Anfangs galt das Fliegen als elitär, dann schossen Billigflieger wie Pilze aus dem Boden. Die ganze Welt lag vor der Haustür, bis hin nach Neuseeland. Autos mietete man mittlerweile vor Ort.

      Früher galt die Regel: „Einmal im Jahr machen wir Urlaub.“: Die ganze Familie zog los. Drei Wochen dauerte der Spaß. Die ersten vierzehn Tage dienten der Regeneration, die letzten sieben der puren Freude. Dafür gab es den „Jahresurlaub“, dafür wurde gespart.

      Später kam der „Zweiturlaub“ hinzu: „Nur weg hier!“, lautete die neue Devise.

      Die Flugzeuge flogen in die ganze Welt. Unterschiedliche „Terroristen“ aber fingen an zu stänkern. Seitdem gab es Sicherheitskontrollen auf allen Flughäfen. Das dauerte: Zwei Stunden vor Abflug mussten sich die Reisenden – (nun allgemein „Touristen“ genannt) - einfinden. Es wurde immer voller – auf den Flughäfen und auch an den Reisezielen.

      Das war die schöne neue Welt: Von Süd nach Nord kamen immer mehr Flüchtlinge. Junge Menschen wollten ihr Elend verlassen. Immer mehr Touristen aber flogen unbeeindruckt nach Süden. Sie hatten ihre von den Flüchtlingen so angehimmelten Wohlstandsgesellschaften satt, wollten ‘mal „Ursprüngliches“ sehen. Wohlgenährte „Touris“ aus dem Norden kamen in den Süden, und Elendsgestalten aus dem Süden landeten zur gleichen Zeit im Norden.

      Doch damit nicht genug: Nach dem Auto und dem Flieger kam das Schiff. Es gab Flussfahrtschiffe, die schippern auf dem Rhein oder auf der Wolga.

      Es kamen aber auch Ozeanriesen auf (schwimmende Hotels); die fuhren über die Weltmeere bis nach Fernost oder bis in die Karibik. Wenn so ein Schiffsriese in den Hafen von Venedig fuhr, überragte er jeden Palazzo, brachte Menschenmassen herbei, die schnell weiterzogen.

      Auf so ein „Schiff“ aber gingen viele nicht rauf: Der Tourismus war schon ein mächtiger und rücksichtsloser Wirtschaftszweig geworden, überall auf der Erde.

      Da traten Umweltschützer auf. Sie sagten, Flugzeuge und Schiffe stießen zu viel CO2 aus und versauten das Klima. Es werde immer wärmer auf der Erde. Die Polkappen würden abschmelzen, Eisbären hopsten von einer verbliebenen Eisscholle zur nächsten, die Malediven und Holland würden bald im Meer versinken, und Brandenburg würde zur Wüste.

      Das sei „menschengemacht“, und es müsse gegengesteuert werden: Der Flugverkehr sollte eingeschränkt werden. Inlandsflüge gehörten verboten. Wer dennoch über Landesgrenzen hinweg flöge, sollte Ablass an Umweltorganisationen leisten müssen. Die Ozeanriesen sollten umweltfreundlicheren Treibstoff verwenden oder am besten überhaupt nicht mehr gebaut werden.

      Nahte das Ende des Massentourismus?

      Es sah nicht so aus. Die Zahl wohlhabender Rentner im Norden dieser Erde nahm zu. Ihre Arbeitgeber und die Zentralbanken versorgen sie reichlich mit Geld. Wenn auch die Welt zu Scherben brach: Sehr, sehr viele wollten sie vorher noch sehen. Also flogen sie möglichst nicht im Inland; bis zur Landesgrenze schaffte es ja der Bus allemal. Einige zahlten sogar den Umweltablass; das machte ein gutes Gewissen. Und wenn die Reedereien weiterhin große Schiffe vom Stapel lassen: Wer konnte das schon beeinflussen?

      Plötzlich setzte ein bislang vollkommen unbekannter „Gegentourismus“ ein. Neuartige und unerforschte „Wesen“ eroberten ihrerseits die Erde. Für ihre „Reisen“ benutzten sie Schiffe, Bahnen, Flugzeuge. Doch diese „Wesen“ zogen nicht von West nach Ost, sondern in die entgegengesetzte Richtung von Ost nach West. Sie waren Viren, und bildeten eine tödliche Gefahr für die Menschen. Ihr Name war „Corona“, und sie lösten eine Pandemie aus. Gekommen waren sie aus dem Tierreich.

      Die Welt der Menschen zerfiel in die alten Nationalstaaten. Die meisten dieser Staaten verordneten einen „Lockdown“. Fast alle Menschen gingen in Quarantäne und fanden den staatlich angeordneten Stillstand richtig.

      Da war die Blase des Massentourismus jäh geplatzt. „Urlaubsländer“ wie Italien waren plötzlich dicht. Airlines (gestern noch mit stolzen „Vögeln“) starben wie die Fliegen. Veranstalter und Agenturen des Tourismus brachen zusammen, Hotels schlossen, Reisebüros machten zu, „Einheimische“ Helfer des Tourismus wurden arbeitslos, Traumstrände verwaisten.

      Ein bis dahin stets wachsender Industriezweig brach zusammen. Niemand reiste mehr: Wie gewonnen, so zerronnen.

      Geschädigte forderten, der jeweilige Staat sollte für die Einbußen einstehen. Können die das leisten? Es ging um Milliarden, Millionen waren nur noch Peanuts.

      Schon nach wenigen Wochen holte sich die Natur einiges von dem zurück, was der Tourismus ihnen genommen hatte: Delphine tobten wieder am Strand, Rehe