Nira und der Kristall des ewigen Wassers. Elchen Liebig

Читать онлайн.
Название Nira und der Kristall des ewigen Wassers
Автор произведения Elchen Liebig
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783347082724



Скачать книгу

alles mithörte, wusste nicht, was sie denken sollte. Sie verstand überhaupt nicht, worüber ihr Großpapo sprach, aber sie hatte jetzt auch keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Ihr war sehr heiß unter ihrem Wollpullover und er begann auf ihrer Haut zu kratzen. Sie merkte, wie ihr die Hitze in den Kopf schoss, und ihre Wangen anfingen zu glühen. Nira verfolgte mit ihren Augen die Schritte ihres Großpapos, der nachdenklich im Zimmer hin und her ging und sich dabei an seinen grauen Bart kratzte. Er blickte kurz zum Fenster, und obwohl Nira sich schnell duckte, hatte sie das Gefühl, dass ihr Großpapo sie bemerkt hatte. In diesem Moment war es sehr still in dem Zimmer und Verzweiflung und Wut hingen in der Luft. Keiner sagte ein Wort, bis Großpapo weitersprach. „Glaubt mir, Nira ist ein kluges Kind. Sie ist schon sehr reif für ihre zehn Jahre und außerordentlich mutig und sie lässt sich nicht so schnell beirren wie andere Kinder ihres Alters!“ Großpapo nahm auf seinem Stuhl Platz und redete weiter. „Sie ist meine Enkelin, mein ein und alles und ich werde alles dafür tun, dass sie heil nach Hause kommt.“ Nira, die sich wieder traute, in das Zimmer hinein zu schauen, sah zu ihrer Mamo, die sich einfach nicht beruhigen konnte und unentwegt in ihr Taschentuch schnäuzte. Papo, der rechts neben ihr saß, nahm seine Frau liebevoll in den Arm. „Unser Kind wird es schaffen. Habe Vertrauen. Er weiß, was er tut“, sagte Niras Papo mit einer ruhigen Stimme. Großpapo klatschte kurz mit der flachen Hand auf den Tisch. „Damit ist das jetzt beschlossen. Ich werde morgen alle Vorkehrungen unternehmen und mit dem Kind am Abend reden.“ Großpapo stöhnte leise. Auch ihm war seine Entscheidung nicht recht, seine kleine Nira für das Wohl des Dorfes wegzuschicken. Was hätte er alles getan, um selbst zu gehen. Jo räusperte sich und schaute seinem Großpapo tief in die Augen. „Diese Nachricht wird mit Sicherheit morgen das tollste Geburtstagsgeschenk für Nira sein“, sagte Jo ironisch. Er war so wütend auf seinen Großpapo. „Und was ist, wenn sie gar nicht will? Hast du dir darüber mal Gedanken gemacht? Wie willst du dafür Sorge tragen, dass Nira wieder gesund nach Hause kommt? Auch wenn du hier der Bürgermeister bist und das Sagen hast, glaube ich nicht, dass du jetzt gerade weißt, ob oder welche Gefahren dort lauern! Kannst du es verantworten, ein kleines Mädchen in eine fremde Welt zu schicken, die keiner von uns kennt? Kannst du ihr sagen, wo sie genau den Kristall des ewigen Wassers findet? Und bist du dir ganz sicher, dass du die vier Welten nicht mehr betreten darfst?“ Seine Lippen zitterten vor Aufregung. Jo hatte Angst um seine geliebte Schwester. Mit seinen achtzehn Jahren war es das erste Mal, dass er es wagte, seinem Großpapo zu widersprechen und schaute erst zornig und dann verlegen zur Seite. Großpapo lehnte sich gelassen in den Stuhl zurück und sah seinen Enkel an. „Ja, du hast recht mein Junge und deine Sorge ist berechtigt. Ich will dir kurz etwas erzählen. Es herrschte vor vielen Hundert Jahren schon einmal eine Wassernot. Auch damals war der wertvolle Wasserkristall auf geheimnisvolle Art verschwunden und man wusste nicht, warum. Meine Vorfahren schickten meinen Ururgroßvater in die nördliche Welt. Er kam zwar nicht ganz unversehrt, aber nach einigen Tagen mit einem der kostbaren Steine zurück. Nun, wie ihr wisst, wurde bisher nicht viel darüber gesprochen, wenn ein Auserwählter meist war es der Bürgermeister, der in eine der vier Himmelswelten reiste. Aber jeder Auserwählte gab sein Wissen an den Nachfolger weiter. Und somit weiß ich, dass es die Wasserkristalle in der nördlichen Welt gibt. Dort im - Reich der tausend Lichter - wird Nira sie finden. Und das ist schon ein wichtiger Anhaltspunkt, an den sie sich halten kann.“ „Pah … Hoffentlich ist es nicht einer der erfundenen Geschichten von damals. Du glaubst ja gar nicht, wie viele es davon gibt, Großpapo“, antwortet Jo. Er verschränkte die Arme und schüttelte ungläubig den Kopf. „Na, ich denke schon, dass es seine Richtigkeit hat, mein Junge. Denn innerhalb der Familie wird sich immer die Wahrheit gesagt. So glaube mir auch, dass alle fünfzig Jahre die vier Mächte der Himmelsrichtungen eine Person aus unserer Mitte auserwählen, die diese Welten betreten darf, wenn wir hier Hilfe benötigen. Ich wusste schon damals in der Schneezeitnacht, dass das alte Weib die Wahrheit sprach, denn ich hatte nur noch wenige Jahre als Auserwählter vor mir. Ich hoffte für unsere Kleine, dass sie viel Zeit haben würde, zumindest bis sie erwachsen wäre. Doch nun wird Nira früher gebraucht, als ich erwartet habe, und ich versichere dir, meine Dauer als Auserwählter ist leider vorbei.“ Großpapo stieß einen tiefen Seufzer aus und sprach weiter. „In diesen vielen Sonnenmonaten gab es nie Regen und wir können auch nicht darauf hoffen. Die Dürre der Felder und das fehlende Trinkwasser lässt uns keine Zeit noch länger zu warten. Nira wird im Norden auf alles eine Antwort bekommen und ihr wird dort auch geholfen. Da bin ich mir ziemlich sicher, denn die Himmelsmächte werden es nicht zulassen, dass wir hier alle verenden.“ Großpapo holte tief Luft. „Ich habe noch eine Bitte an euch. Weint nicht, wenn sie geht. Sprecht ihr Mut und Vertrauen zu. Und seid auch selbst voller Zuversicht, dass sie es schaffen wird, das Dorf zu retten.“ Eine kurze Pause entstand, bevor Großpapo ein letztes Wort an seine Familie richtete. „Nun, ich denke, es ist alles gesagt. Wir sollten uns jetzt schlafen legen, denn wir haben morgen alle einen anstrengenden Tag vor uns.“ Die Familie musste sich damit abfinden, dass es der letzte Ausweg war, Nira in die nördliche Welt zuschicken. Bis auf Großpapo erhoben sich alle vom Tisch und verabschiedeten sich bei ihm mit einem „Gut Nachtwohl“ und langer Umarmung. Nira, die draußen am offenen Fenster alles mitbekommen hatte, glitt die Hauswand herunter. Sie war schweißgebadet und ihr Wollpullover pikste unangenehm auf ihrer Haut. Sie war völlig durcheinander und versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Großpapo wollte sie wegschicken? Sie ganz allein sollte einen neuen Wasserkristall herholen? Und wie war das mit der Alten, dem Weib? Nira bereute es in diesem Augenblick, nicht einfach im Bett geblieben zu sein. Vielleicht war es nur ein Traum? Nein, im Traum pikst und kratzt kein Pullover so fürchterlich auf der Haut. Nira schüttelte mit ihrem Kopf hin und her, als wenn sie sich wachrütteln wollte, und war schnell wieder bei Verstand. „Ich muss sofort hier weg, bevor sie mich entdecken“, dachte sie. Sie richtete sich wieder auf und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie war enttäuscht und wütend zugleich. „Wie können sie nur über mich bestimmen? Ich hätte genauso gut heute Abend bei dem Gespräch dabei sein können und dann hätte ich von vornherein gesagt, dass ich niemals in so eine komische Welt reisen will. Ich will hier nicht weg!“, schrie Nira innerlich. Sie erschrak, als plötzlich etwas Feuchtkaltes sie am Bein berührte, und sie erkannte ihren kleinen Freund Berry. „Berry, was machst du denn hier? Du hast mich eben ganz schön erschreckt!“, flüsterte sie schniefend und scheuerte sich dabei an den Armen. Der Pullover war durch die Wärme kaum auszuhalten. Berry wedelte vor Freude mit seiner Rute hin und her. „Da bist du ja. Sehe ich richtig? Du hast gelaust? Das tut man doch nicht und außerdem bist du ohne mich weggegangen. Warst nicht in deinem Zimmer. Mittig in der Nacht“, knurrte Berry etwas vorwurfsvoll. „Berry, das heißt gelauscht. Ja, ich weiß, aber du warst nicht da! Ich hätte dir sonst erzählt, dass … Ach egal. Ich bin froh, dass du mich gefunden hast. Aber jetzt komm erst mal mit. Wir müssen schnell hier weg, bevor sie uns erwischen. Ich erzähle dir gleich alles unter meiner Bettdecke in Ordnung?“, flüsterte Nira panisch. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihre Familie aus dem Haus ihres Großpapos kommen würden. Berry guckte sie belustigt an. „Aha … Uns erwischen, sagst du? Eher dich als mich. Ich bin mal gespannt, was du zu deiner Verteidigung zu sagen hast. Außerdem, warum hast du denn dein Schneekaltzeitpullover übergezogen? Deine Nase glüht ja bis zum Himmel. Dass kann ich sogar im Mondlicht sehen. Das wirst du mir alles gleich erklaren müssen! Ich bin sehr gespannt. Aber gut, dann mal losdilos!“ „Losdilos? Was ist das denn für ein neues Wort von dir?“ Nira schüttelte mit dem Kopf. Hätte sie bessere Laune gehabt, hätte sie bestimmt darüber gekichert. „Ich werde dich nachher erst mal verbessern!“, sagte Nira trotzig. Sie hatte keine Lust dazu, sich von Berry eine Standpauke anhören zu müssen. Jetzt galt es, sich so schnell wie möglich von Großpapos Haus zu entfernen. Im Hintergrund hörte Nira schon die Stimmen ihrer Familie und sie lief mit Berry, ohne sich umzudrehen, schnellstens zu ihrem Elternhaus zurück. Geschwind kletterte sie mit Berry die Holztreppe zu ihrem Dachzimmer hoch. Durch die runde Dachluke fiel der helle Mondschein ins Zimmer. Verschwitzt schmiss sie ihre Schuhe und ihre Kleidung in die Ecke und zog sich ein leichtes Nachthemd über. Nira hüpfte in das gemütliche Bett und kroch unter ihre bunte Schlafdecke, wo Berry bereits auf sie wartete. Sie war ganz außer Atem. Ihr Mund war trocken und sie hatte furchtbaren Durst, was Berry sofort bemerkte. „Hier meine Kleine, ich habe dir mein Tröpfelblatt aufs Bett gelegt. Leg es dir gleich unter die Zunge und es wird dir sofort besser gehen“, sagte Berry fürsorglich. „Danke Berry, aber du brauchst es selbst. Ich habe doch meins auf meiner Kommode liegen.“