Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell

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Название Begegnungen mit Bismarck
Автор произведения Robert von Keudell
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806242683



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setzte als bekannt voraus, daß – wie er später einmal sagte – „Regimenter nicht von Diätarien kommandiert werden könnten“.

      Umgekehrt aber dachten die meisten Abgeordneten, daß nach den heißen Kämpfen um die gesetzlichen Bedingungen der Heeresreform diese nicht ausgeführt werden könne ohne ein neues Gesetz. Sie wurden in ihrem Irrtum dadurch bestärkt, daß Patow in der Kommission erklärte, es handle sich um ein Provisorium, welches den in Betreff der Dienstzeit und der Landwehr geäußerten Wünschen nicht präjudizieren werde. Allerdings blieben diese beiden Fragen offen; aber weder der Ausdruck „Provisorium“ war zutreffend noch die daran geknüpfte Betrachtung, daß, wenn der Landtag später zur definitiven Organisation seine Zustimmung versage, „alles wieder auf den früheren Stand gebracht werden könnte.“

      Diese Erklärungen nahm jedoch Vincke als Referent in den Kommissionsbericht auf, und unter starker Betonung ihrer bindenden Kraft empfahl er die Bewilligung des verlangten Kredits.

      Im Plenum modifizierte nun zwar – vermutlich auf den Rat des Kriegsministers – Patow seine früheren Aeußerungen dahin: „Die Umgestaltungen im Heerwesen, welche erforderlich wären, um die waffenpflichtigen Mannschaften auch waffenfähig zu machen, würden nur in dem Sinne provisorisch sein, daß zu ihrer definitiven Regelung die Zustimmung des Landtages notwendig wäre.“ Das Haus aber schien keine Notiz von dieser Erklärung zu nehmen. Der anwesende Kriegsminister fand keinen Anlaß, den Worten Patows, welche verständlich auf die zur Ausbildung von 63.000 statt 40.000 Rekruten notwendigen neuen Cadres hinwiesen, etwas hinzuzufügen.

      Vincke kam dem Finanzminister augenscheinlich entgegen, indem er sagte, die Bewilligung des Kredits habe keine Gefahr, denn, wenn beispielsweise zehn Kavallerieregimentskommandeure ernannt und ihre Stellen später nicht genehmigt würden, so „kämen sie auf den Aussterbeetat“.

      Daß der Berichterstatter der Kommission in diesem Falle nur für seine Person gesprochen hätte, konnte niemand vermuten; die Regierung hatte daher Grund, aus Vinckes Worten zu schließen, daß die Majorität erwartete, es würden viele neue Regimenter formiert werden. Die Minister wurden auch durch die ungewöhnliche Beschleunigung der Verhandlungen, sowie durch vertrauliche Mitteilungen einzelner Abgeordneter in den Glauben versetzt, daß es ihrer im Hause maßgebenden Partei erwünscht wäre, über den in der Heeresreformfrage hervorgetretenen peinlichen Gegensatz schnell und möglichst geräuschlos hinwegzukommen. Man täuschte sich gegenseitig; aus diesen Täuschungen aber erwuchs der verhängnisvolle Konflikt. Man kann sagen, derselbe sei entstanden, weil Minister wie Abgeordnete ihn hervorzurufen scheuten. Nach meiner Auffassung lag jedoch die Hauptursache des Konflikts in Unterlassungen des Ministeriums.

      Hätten die leitenden Männer, die Auerswald und Schwerin, die unermeßliche Tragweite der Heeresreform für das Land und für ihre Partei gewürdigt, wären sie mit ganzem Herzen dafür eingetreten, so hätten sie vor Einbringung der Vorlagen Vincke und andere Führer wahrscheinlich dafür zu gewinnen vermocht. Vom Finanzminister Patow, der für die damals beanspruchten jährlich 9 ½ Millionen noch keine sichere Deckung hatte, war das nicht zu verlangen; die anderen populären Minister aber hätten die Sache von langer Hand her einleiten und vielleicht retten können. Stattdessen überließen sie die Vertretung des gewaltigen Projekts dem noch unbekannten, des Konservatismus verdächtigen Roon.

      Nachdem nun, wie zu erwarten gewesen, die Kommission Herabsetzung der enormen Ausgabesteigerung verlangt und populäre Schlagworte dafür gestempelt hatte, schien die Sache unrettbar verfahren.

      Da begingen die Minister die zweite Unterlassungssünde, nämlich, nicht zu sagen, daß ihre Ansicht über die Notwendigkeit eines neuen Wehrgesetzes sich geändert hatte. Ich möchte jedoch dem nachmals von den Patrioten aller Farben gepriesenen Kriegsminister auch als ein großes historisches Verdienst anrechnen, sein Gewissen mit dieser Reticenz belastet zu haben, da ohne ein solches „Kunststück“ die für den Entscheidungskampf um Deutschland notwendige Heeresreform bei dem damaligen Stande der öffentlichen Meinung wahrscheinlich nicht ausführbar gewesen wäre.

      Die neun Millionen wurden fast einstimmig bewilligt. Beim Schlusse der Session dankte die Thronrede hierfür in Worten, welche erwiesen, daß der Prinzregent überzeugt war, der Landtag habe durch diese Bewilligung die Ausführung der geplanten Formationen genehmigen wollen.

      Im Sommer und Herbste wurden die Cadres für 36 neue Infanterieregimenter, 9 Füsilierbataillone und 10 Kavallerieregimenter geschaffen, die anderen Truppengattungen angemessen verstärkt, die Offiziere und Unteroffiziere ernannt und die erforderlichen Fahnen und Standarten verliehen.

      Da ging durch weite Kreise im Lande der Ruf: „Wir sind betrogen; statt provisorischer Einrichtungen, für welche das Geld bewilligt war, hat man unabänderliche geschaffen. Das wird unerträgliche Steuererhöhungen verursachen.“ Bei zwei Stichwahlen entschieden sich die früher gemäßigt-liberalen Wahlmänner für zwei Führer der äußersten Linken: Waldeck und Schulze-Delitzsch.

      Am 2. Januar 1861 wurde König Friedrich Wilhelm IV. von seinen Leiden erlöst; König Wilhelm bestieg den Thron.

      Bald darauf gelangte an das neue Abgeordnetenhaus ein Etat; in welchem die durch die neuen Regimenter bedingten Erhöhungen der Militärausgaben erschienen, als wäre alles in Ordnung und ein neues Wehrdienstgesetz überflüssig. Die bezüglichen Verhandlungen verliefen im Abgeordnetenhause merkwürdig ruhig, weil die Majorität den Sturz des Ministeriums herbeizuführen scheute. Nur ein Abgeordneter (Hoverbeck) nannte das Verfahren der Regierung, wenn auch vielleicht legal, so doch „nicht loyal“. Es wurde aber die für die neuen Regimenter im laufenden Jahre erforderliche Summe nur als „einmalige außerordentliche“ Ausgabe bewilligt und ein Antrag Vinckes, die Regierung zur Vorlegung des – zu Einberufung der jüngsten Jahrgänge der Landwehr als Reservisten unerläßlich notwendigen – Wehrdienstgesetzes aufzufordern, einstimmig angenommen.

      Im Sommer bildete sich die demokratische sogenannte Fortschrittspartei. Mißtrauen und Haß gegen die Minister verbreitete sich in immer weitere Kreise. „Es mögen gute Leute sein,“ sagte man, „aber sie lassen sich mißbrauchen, die Kastanien aus dem Feuer zu holen für die Junkerpartei, welche sie nach Hause schicken wird, sobald sie diesen Dienst geleistet haben.“ Eine große Zahl der bis dahin ministeriellen Abgeordneten näherte sich der Fortschrittspartei, und diese erfocht bei den im Dezember stattfindenden allgemeinen Wahlen glänzende Siege.

      Dem neuen Hause wurde im Januar 1862 ein Etat vorgelegt, in dem die Mehrforderungen für die Heeresreform als ordentliche Ausgaben figurierten, obgleich nicht anzunehmen war, das jetzt überwiegend demokratische Haus würde Ausgaben als fortdauernde genehmigen, die das frühere, gemäßigt-liberale nur als einmalige bewilligt hatte.

      Ein kurzer Gesetzentwurf, betreffend Abänderungen einiger Bestimmungen des Kriegsdienstgesetzes, in welchem die Reservedienstzeit auf vier statt fünf Jahre bemessen und die Landwehrdienstzeit um drei Jahre verkürzt war, ging zuerst dem Herrenhause zu und kam, von diesem genehmigt, im Februar an das Abgeordnetenhaus, gelangte aber hier nicht zur Verhandlung, weil das Haus wegen eines anderweiten regierungsfeindlichen Beschlusses schon im März aufgelöst wurde. Alle als liberal bekannten Minister traten zurück und wurden durch konservative ersetzt; nur Roon und Bernstorff blieben auf ihren Posten und von der Heydt, bis dahin Handelsminister, übernahm die Finanzen.

      Bei den Neuwahlen machte die Demokratie noch weitere Fortschritte; die Zahl der Konservativen sank bis auf elf.

      Im Juni wurden dem neuen Hause die Etats für 1862 und 1863 vorgelegt, worin die Kosten der Heeresreform wieder als ordentliche Ausgaben erschienen; ein Wehrgesetz aber, „mit dessen Diskussion die Sommersession nicht belastet werden sollte,“ stellte man für den Winter in Aussicht.

      Der Finanzminister hatte mit bewundernswürdiger Kunst Ersparnisse im Militäretat von etwa zwei Millionen und zugleich den Wegfall gewisser, 1859 eingeführter Steuerzuschläge ermöglicht. Diese wesentlichen Erleichterungen machten jedoch auf das tief erregte Haus keinen merklichen Eindruck.

      Im September kam es wegen des Militäretats zu einer mehrtägigen Redeschlacht. Die seit zwei Jahren durch mancherlei Rücksichten verdeckte Glut des Hasses gegen die Militärverwaltung schlug jetzt in hellen Flammen auf. Die Landwehrfrage trat zwar jetzt nach Vinckes